Die Swiss erhält einen neuen CEO. Doch am Mittwoch wird der Lufthansa-Vorstand wohl noch Entscheidenderes für die Schweizer Fluglinie beschliessen.
Die Spatzen pfeifen es schon lange von den Dächern, am Mittwoch ist es so weit. Der Lufthansa-Aufsichtsrat bestimmt den Nachfolger für Swiss-Chef Harry Hohmeister. Die Personalie wird hierzulande als heisses Thema gehandelt, aber wichtiger für die Zukunft der Schweizer Airline ist das, was an der Tagung des 20-köpfigen Leitungsgremiums sonst noch beschlossen wird.
Es geht um viel. 16 Monate nach seiner Einsetzung als Lufthansa-Chef drückt Carsten Spohr dem Konzern den eigenen Stempel auf. Der 49-jährige Ex-Pilot will der Gruppe eine neue Organisationsstruktur verpassen und die Fluggeschäfte einer jeweils separaten Führung unterstellen. Dahinter verbirgt sich die Absicht, die verschiedenen Airlines und Vertriebskonzepte unter dem Konzerndach stärker zu verzahnen und letztlich vor allem Kosten zu sparen.
Die neue Organisation ist eine Fortsetzung der im Dezember angekündigten Weichenstellungen, mit denen Spohr die führende Marktstellung der Lufthansa-Gruppe zu verteidigen gedenkt. Damals hatte der Konzern 2015 als Jahr der «neuen Lufthansa-Premium-Qualität» ausgerufen und unter anderem die Einführung der neuen Premium-Economy-Klasse für den gehobenen touristischen Reiseverkehr in allen Interkontinentalflugzeugen der Kranichlinie angekündigt. Gleichzeitig wurde das sogenannte Wings-Konzept verabschiedet, nach dem der Lufthansa-Konzern ab Ende dieses Jahres kostengünstige Kurz- und Langstreckenflüge unter dem einheitlichen Markennamen «Eurowings» anbieten wird.
Das Wings-Konzept basiert einerseits auf den bestehenden europäischen Streckennetzen der Lufthansa-eigenen Fluggesellschaften Eurowings und Germanwings. Anderseits wird es ergänzt durch ein neues Langstreckenangebot der Linie Sun Express, einem Gemeinschaftsunternehmen der Lufthansa und der Turkish Airlines.
Das Eurowings-Langstreckenangebot soll ab dem Flughafen Köln/Bonn zunächst für Florida und Ziele im Indischen Ozean und im südlichen Afrika gelten. Es ist die Antwort der Lufthansa auf die Konkurrenz im Interkontinentalverkehr. Etihad, Katar und Emirates, die aufstrebenden Airlines aus den Golfstaaten, überschwemmen den europäischen Markt mit immensen Sitzkapazitäten und versuchen den Interkontinentalverkehr auf ihre eigenen Drehkreuze in Dubai und Doha zu lenken. Auch Turkish Airlines ist in der Offensive. In der Nähe von Istanbul wird in voraussichtlich zwei Jahren der grösste Flughafen der Welt eröffnet.
Mit der Lufthansa und deren Schwestergesellschaften Swiss und Austrian besitzt der deutsche Konzern drei Airlines in der Premium-Klasse. In der neuen Organisationsstruktur sollen diese drei Gesellschaften künftig an einen gemeinsamen Vorstand in Frankfurt berichten. Bislang waren die Verantwortlichkeiten im Vorstand für die sogenannte Lufthansa-Passage, das Passagiergeschäft der Kranichlinie, und der Verbund-Airlines getrennt geregelt. Für die «Passage» zeichnet seit Mai 2014 der 58-jährige Lufthansa-Veteran Karl Ulrich Garnadt verantwortlich, während Swiss-Chef Hohmeister seit Juli 2013 in seiner zweiten Funktion als Lufthansa-Vorstand das Ressort Verbund-Airlines überblickt.
In den in Sachen Lufthansa gewöhnlich gut informierten deutschen Medien bestehen kaum Zweifel darüber, dass der Aufsichtsrat am Mittwoch die organisatorischen Veränderungen entlang den beschriebenen Linien tatsächlich beschliessen wird. Unklar ist indessen, wie die neuen Zuständigkeiten im Vorstand geregelt werden.
Bei der Swiss wünscht man sich innig, dass Hohmeister die Verantwortung für den Bereich Qualitätsairlines erhält. Der 51-Jährige hat den Ruf, in seinen vergangenen sechs Jahren als Swiss-Chef stets hartnäckig auf die operative Unabhängigkeit der Swiss im Lufthansa-Verbund gepocht zu haben. Er wäre damit sozusagen eine Versicherung an höchster Stelle für den Fortbestand der helvetischen Autonomie. Doch mit seiner Unabhängigkeitspolitik hat sich Hohmeister in Frankfurt nicht nur Freunde gemacht, sondern auch viele Neider. Altgediente Lufthanseaten bezeichnen den Manager als «Ehrgeizling» und als einen, der trotz mehr als 14-jähriger Zugehörigkeit zur Lufthansa AG nicht wirklich zum inneren Kreis gehört. Nachdem Hohmeister Ende der Neunzigerjahren die Lufthansa in Richtung Thomas Cook Airlines verlassen hatte, wurde er 2005 bei seinem Eintritt in die Swiss als Aussenstehender gesehen.
Hohmeisters Förderer Christoph Franz ist inzwischen weitergezogen, und Lufthansa-Kenner bezweifeln, dass der Swiss-Chef mit Carsten Spohr eine ähnliche Beziehung aufbauen kann. Ein Beobachter meint vielmehr, Spohr könnte Hohmeister als potenziellen Konkurrenten wahrnehmen und diesem bei der anstehenden Rochade nicht die gewünschte Aufgabe zuweisen. Als Vorstand und Leiter der neuen Premium-Plattform erwarten Kenner in Frankfurt deshalb Garnadt. Dieser weist mit der Lufthansa zwar finanziell schwächere Ergebnisse aus als sein Kollege bei der kleinen Swiss, doch gerade das macht den linientreuen Garnadt unverdächtig. Nicht zuletzt bei den Lufthansa-Piloten hat die Swiss mit ihren rund 20 Prozent tieferen Löhnen keinen guten Stand.
Deshalb wird vermutet, dass der Aufsichtsrat Hohmeister am Mittwoch als Vorstand der neuen Billigsparte ankündigen wird. Mit einem Umsatz von rund 2 Milliarden Euro im Jahr ist der Bereich im Vergleich zur Premium-Sparte (21 Milliarden Euro) noch ein Winzling und sicher kein grosser Karrieresprung für den Swiss-Chef. Was ein solcher Entscheid für die Swiss bedeuten würde, bleibt abzuwarten. Die Schweizer Airline hat sich zehn Jahre nach ihrem Verkauf an die Lufthansa hervorragend entwickelt. Seit dem Eigentümerwechsel hat die Swissair-Nachfolgerin 26 neue Europa- und 6 neue Interkontinentalverbindungen eröffnet, 60 Prozent mehr Passagiere befördert und 1500 zusätzliche Stellen geschaffen. Zur Erneuerung der Flotte hat die Swiss seit 2009 rund 6 Milliarden Franken investiert – und dies notabene auf Rechnung der eigenen Bilanz. Eine solche Zukunft der Swiss erträumten sich vor zehn Jahren nur die grössten Optimisten.
Doch die Zukunft bleibt ungewiss. Der Lufhansa-Konzern wird die Sparschraube anziehen müssen, um seine Rentabilität zu verbessern. 2014 blieb das Unternehmen mit seinen nahezu 120 000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von über 30 Milliarden Euro knapp in der Gewinnzone. Das Konzernergebnis schmolz um 80 Prozent auf nur mehr 55 Millionen Euro zusammen, an eine Dividende war nicht zu denken. Kein Wunder sucht Spohr nun nach Synergiepotenzialen. Inwieweit die Nutzung dieser Potenziale die Eigenständigkeit der Swiss tangiert, wird sich zeigen. SVP-Nationalrat und Ex-Pilot Thomas Hurter glaubt: «Solange es der Swiss gut geht, wird sich die Lufthansa kaum einmischen.» Diese Hoffnung hegt auch der Zürcher Flughafendirektor Stephan Widrig, wenn er sagt: «Die Swiss ist für die Flughafen Zürich AG der wichtigste Partner. Ein Homecarrier ohne gute Basis am Boden funktioniert genauso wenig wie eine Homebase ohne erfolgreiche Airline.»
Für Tobias Pogorevc, Finanzchef bei Helvetic Airways, steht ausser Zweifel: «Wenn die Lufthansa-Gruppe und mit ihr die Swiss die Herausforderungen in der Luftfahrt erfolgreich meistern wollen, müssen die Synergien im Konzern noch viel mehr ausgeschöpft werden. Sonst haben sie es schwer gegen die Konkurrenz der Airlines aus den Golfstaaten.» Nationale Befindlichkeiten hätten in diesem Konsolidierungsprozess wenig zu suchen, meint Pogorevc. «Letzten Endes spielt sich in Europa das Gleiche ab, was in den USA die grossen Fluggesellschaften bereits vor zehn Jahren durchgemacht haben: ein schmerzvoller Restrukturierungsprozess.»
Daniel Zulauf