Noch trotzt Bundesrat Ueli Maurer der Zermürbungstaktik aus den eigenen Reihen

Seit sich der Finanzminister für den Steuer-AHV-Deal ins Zeug legt, verweigert ihm seine Partei die Gefolgschaft. Er wird zum «halben SVP-Bundesrat». Die Fäden im Hintergrund zieht Christoph Blocher.

Eva Novak
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Bundesrat Ueli Maurer hat sich in der Herbstsession für den AHV-Steuer-Deal stark gemacht - dadurch fiel er bei seiner Partei in Ungnade. (Bild: Alessandro della Valle/Keystone (Bern, 12. September 2018)

Bundesrat Ueli Maurer hat sich in der Herbstsession für den AHV-Steuer-Deal stark gemacht - dadurch fiel er bei seiner Partei in Ungnade. (Bild: Alessandro della Valle/Keystone (Bern, 12. September 2018)

Die Stimmung war ausgelassen an jenem Mittwoch vor bald sechs Jahren im Hotel Bellevue in Bern. Mit frenetischem ­Applaus feierte die SVP-Prominenz ihren ehemaligen Präsidenten Ueli Maurer, der soeben zum Bundespräsidenten gewählt worden war. Nur Christoph Blocher und seine Frau Silvia trugen demonstrativ schlechte Laune zur Schau, selbst als die Pfannenstiel-Gruess-Kapelle den «Bundesrat-Blocher-Marsch» blies. Offensichtlich machte dem SVP-Übervater zu schaffen, dass sein einst als «Ueli der Knecht» verspotteter Mitstreiter erreicht hatte, was ihm selber nicht vergönnt gewesen war. Blocher wurde abgewählt, bevor er Bundespräsident werden konnte.

Nun ist es Maurer, dem die gute Laune abhanden geht. Kurz vor seinem zweiten Präsidialjahr mehren sich die Anzeichen, dass er nach Johann Schneider-Ammann und Doris Leuthard ebenfalls den Bettel hinschmeissen könnte. Obwohl er immer wieder betont, für eine weitere Legislatur antreten zu wollen. Letztmals am Freitag. Er bleibe – im Einverständnis mit seiner Partei, wie er beteuerte.

Die SVP-Grundwerte «verraten»

Der Finanzminister betont dies, weil er sich wegen seiner Steuervorlage 17 mit der Partei überworfen hat. Um die Fiskalreform an der Urne mehrheitsfähig zu machen, hatte er die Familienzulagen erhöhen wollen. Doch die ständerätliche Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) schlug einen anderen Handel vor: Die AHV sollte einen Milliardenzustupf in der Höhe der Steuerausfälle erhalten, teils finanziert über Lohnprozente. Nach anfänglichem Zögern zeigte sich Maurer begeistert von der Idee, wie sich Kommissionsmitglieder erinnern. Und legte sich dafür richtig ins Zeug.

Zuerst schien es, als dürfe er auf Sukkurs der eigenen Partei hoffen. Sie könne mit einem solchen Paket leben, denn «es hätten alle etwas davon», sagte SVP-Vizepräsidentin Magdalena Martullo-Blocher im Juni dem «Sonntags-Blick». Anders Fraktionschef Thomas Aeschi. Der Zuger war von Anfang an überzeugter Gegner, ebenso wie der Zürcher Roger Köppel. Ende August warf Letzterer Maurer vor versammelter SVP-Fraktion vor, die SVP-Grundwerte zu verraten, indem er für eine Vorlage weible, welche die direkte Demokratie ausschalte.

Doch wenige Tage später vollzog Martullo-Blocher die entscheidende Wende. Sie ging auf Distanz zum Deal, nachdem die WAK des Nationalrats das Projekt ihrer Schwesternkommission ­abgesegnet hatte. Beide Teile des Pakets seien unbefriedigend, und die Kombination überfordere den Stimmbürger, befand die Unternehmerin nun. Plötzlich war ein grosser Teil der SVP gegen die Vorlage, welche der SVP-Finanzminister inzwischen als seine eigene vertrat.

Maurer droht die dritte grosse Niederlage

Die treibende Kraft hinter diesem Positionswechsel ist Christoph Blocher, wie Recherchen zeigen. Der SVP-Vordenker hielt sich mit öffentlichen Äusserungen zum Steuerdeal zwar zurück. Doch in ­seiner Internet-Sendung «Teleblocher» nannte er ihn einen «aufgelegten Schwindel». Es sei nicht sicher, dass ausländische Firmen die Schweiz verlassen, wenn der Bund auf die Steuerreform verzichte. Gemäss Insidern möchte Blocher die Lösung den Kantonen überlassen – und den Widerstand der SVP gegen den «Kuhhandel» zur Mobilisierung im Wahlkampf einsetzen, nach dem bewährten Motto: eine Partei gegen alle anderen.

Pikanterweise soll es Blocher gewesen sein, der Maurer gut zugeredet hat, als dieser den Bettel hinschmeissen wollte, wie zwei Quellen bestätigen. Dass ihm die eigene Partei nicht nur die Gefolgschaft verweigert hatte, sondern sogar offen in den Rücken gefallen war, machte Maurer schwer zu schaffen. Wozu das öffentliche Zerreden seiner Vorlage führen kann, ist ihm sehr wohl bewusst. Unter anderem deswegen hatte er seine erste grosse Abstimmung verloren, jene über den Kauf des Kampfjets Gripen. Die Geschichte droht sich zu wiederholen, Maurer muss sich auf die dritte Niederlage nach dem Nein zur Unternehmenssteuerreform III einstellen.

Die «Weltwoche» setzte vergangene Woche noch eins drauf. In einer Titel­geschichte über «Ueli Maurers Waterloo» sprach sie von einer totalen Entfremdung zwischen dem Finanzminister und seiner Partei und nannte ihn nur noch einen «halben SVP-Bundesrat» – und gebrauchte damit die Bezeichnung, mit der Blocher einst Samuel Schmid bedacht hatte. «Ich bin nicht in unkritischer Distanzlosigkeit mit der Partei verheiratet», meint dazu «Weltwoche»-Chef ­Roger Köppel. Und nimmt ansonsten Maurer in Schutz: In der Frage des Steuerdeals habe er zwar die falsche Position eingenommen und sich ohne Not die Verknüpfung zu eigen gemacht. Sonst aber sei er ein guter Finanzminister.

Zu schaffen macht SVP-Politikern auch, dass Maurer keine Berührungsängste zur «Abtrünnigen-Partei» BDP kennt. Die ehemalige persönliche Mitarbeiterin von Eveline Widmer-Schlumpf machte er zur Generalsekretärin, ihre Weg­gefährtin Barbara Janom Steiner zur ­Nationalbankpräsidentin. Obwohl doch die BDP-Bundesrätin, welche 2007 Blochers Regierungsstuhl übernommen hatte, in der SVP bis heute als Verräterin gilt.

Schlägt bald die Stunde von Magdalena Martullo-Blocher?

Christoph Blocher (links) und seine Tochter Magdalena Martullo-Blocher sind gegen den AHV-Steuer-Deal, den SVP-Finanzminister Ueli Maurer mit grosser Überzeugung vertritt. (Bild: Pascal Mora/Keystone)

Christoph Blocher (links) und seine Tochter Magdalena Martullo-Blocher sind gegen den AHV-Steuer-Deal, den SVP-Finanzminister Ueli Maurer mit grosser Überzeugung vertritt. (Bild: Pascal Mora/Keystone)

Trotzdem, noch gibt man sich nach aussen geeint. Der Berner Nationalrat Adrian Amstutz, der als ehemaliger Fraktionschef über grossen Einfluss verfügt, verweist auf handfeste Interessen: «Ueli Maurer muss bleiben, weil sonst die ­Gefahr zu gross ist, dass das Finanzdepartement in linke Hände kommt.» Und der Luzerner Nationalrat Franz Grüter findet, es gebe keinen Grund, warum Maurer gehen sollte, da er nicht nur als Finanzchef einen guten Job mache, sondern auch «sportlich und fit» wirke.

Doch ist der bald 68-Jährige, der ­regelmässig von seinem Wohnort im Berner Oberland ins Bundeshaus radelt, wirklich fit genug, um notfalls auch ohne Hausmacht zu regieren? Immer mehr zweifeln daran. Er werde nicht die Kraft haben, nochmals anzutreten, glaubt ein einflussreicher Beobachter zu wissen. Dann würde die Stunde von Magdalena Martullo-Blocher schlagen. Sie könnte antreten, um die Ehre der ­Familie Blocher zu retten und ihrem ­Vater späte Genugtuung zu verschaffen.

Militär erstmals in Frauenhand?

Noch ist im Rennen um die beiden frei werdenden Sitze im Bundesrat fast alles offen. Erst recht die Frage, welche Ressorts die neuen Mitglieder der Regierung übernehmen werden. In der Organisationsverordnung für den Bundesrat heisst es einzig: «Nach der Gesamterneuerung des Bundesrates oder der Wahl eines neuen Mitglieds verteilt der Bundesrat in seiner neuen Zusammensetzung die Departemente.»

Entscheiden wird der Bundesrat wohl am 7. Dezember an einer informellen Sitzung, ohne Bundes- und Vizekanzler. Und ohne Protokoll, weshalb wenig über die Ausmarchung zu erfahren sein wird. Es sei denn, Direktbeteiligte melden sich später zu Wort. «Ich war am Boden zerstört», erinnerte sich alt Bundesrat Arnold Koller in seinen Memoiren. Der damalige Justizminister lieferte sich am 11. März 1993 mit seinem CVP-Parteikollegen Flavio Cotti ein vierstündiges Ringen um den Wechsel ins Aussenministerium, das durch den Rücktritt von René Felber frei wurde. Cotti schwang obenaus. Das andere Extrem geht auf 2008 zurück: Nach der Ersatzwahl für Samuel Schmid einigte sich der Bundesrat bereits beim Aperitif darauf, dass das neue Regierungsmitglied Ueli Maurer von seinem Vorgänger das VBS übernimmt.

Mit dem Rücktritt von Doris Leuthard richtet sich das Augenmerk vor allem auf das Uvek. Dieses dürfe nicht in SP-Hände fallen, fordert bereits die SVP. Ihrem Bundesrat Guy Parmelin werden Gelüste nachgesagt, vom VBS ins Wirtschaftsdepartement zu wechseln. Das Militärressort könnte so einem der beiden neuen Bundesratsmitglieder zufallen und damit erstmals einer Frau. Ueli Maurer und Ignazio Cassis dürften ihre Departemente (Finanzen und Äusseres) behalten. Hingegen könnten die beiden SP-Regierungsmitglieder Alain Berset (Inneres) und Simonetta Sommaruga (Justiz) einen Wechsel ins Auge fassen. (bpp)