MIGRATION: Asylpolitische Mission in Nordafrika

Die Schweiz soll in Tunesien Auffanglager für abgewiesene afrikanische Asylbewerber finanzieren: Dies schlägt SVP-Nationalrat Thomas Aeschi vor nach einer Reise durch das Land. Doch Tunesien ist skeptisch.

Kari Kälin
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Ihr Ziel ist, so schnell als möglich nach Europa zu gelangen: SVP-Nationalrat Thomas Aeschi unterhielt sich in den vergangenen Tagen mit Migranten, die in einem Lager des Roten Halbmondes in Tunesien untergebracht sind. (Bild: Privatarchiv Thomas Aeschi (Medinine, 26. Juli 2017))

Ihr Ziel ist, so schnell als möglich nach Europa zu gelangen: SVP-Nationalrat Thomas Aeschi unterhielt sich in den vergangenen Tagen mit Migranten, die in einem Lager des Roten Halbmondes in Tunesien untergebracht sind. (Bild: Privatarchiv Thomas Aeschi (Medinine, 26. Juli 2017))

Kari Kälin

«Ich will nach Europa!!!» Die Botschaft, die der Mann dem Zuger SVP-Nationalrat Thomas Aeschi auf einem Zettel entgegenstreckt, ist unmissverständlich. Die Szene spielte sich letzten Mittwoch in einem Lager in der tunesischen Stadt Medinine ab, in welcher der Rote Halbmond ein Lager mit derzeit rund 200 gestrandeten Migranten aus der Subsaharazone betreibt. Die meisten haben bereits einmal oder mehrmals versucht, mit dem Boot von Libyen nach Italien zu gelangen, wurden aber von der tunesischen Küstenwache aufgegriffen. Aufgeben, erfährt Thomas Aeschi im Gespräch mit ihnen, ist keine Option. Sie seien sich zwar einig, dass sie in Tunesien gut behandelt würden und nicht an Leib und Leben bedroht seien. Auch der Gefahren der Flucht nach Europa seien sie sich bewusst. Doch der Traum von Europa, wo alles viel besser sei, wische solche Bedenken weg, sagt Aeschi. Die Menschen, mit denen er gesprochen habe, wollten ausschliesslich aus ökonomischen Gründen nach Europa gelangen, sagt er.

Thomas Aeschi befindet sich derzeit auf einer mehrwöchigen privaten und selbstfinanzierten Reise durch Tunesien und Algerien. Unterwegs ist der 38-jährige Nationalrat in migrationspolitischer Mission. Was kann die Schweiz tun, damit sie weniger attraktiv wird für Wirtschaftsmigranten? Liesse sich in Nordafrika allenfalls ein sicherer Ort finden, an den man abgewiesene afrikanische Asylbewerber zurückschicken könnte? Nach zahlreichen Gesprächen kommt Aeschi zum Schluss: Die Schweiz soll in Tunesien ein Auffanglager für abgewiesene afrikanische Asylbewerber finanzieren. Der Zuger Nationalrat verspricht sich davon viel. Zum einen werde die Schweiz als Asyldestination unattraktiver, wenn Wirtschaftsmigranten die umgehende Ausschaffung nach Tunesien drohe. Zum anderen könne die Schweiz dank sinkenden Asylzahlen Geld sparen.

Ausbildung für abgewiesene Asylbewerber

Die Schweiz und Tunesien haben bereits ein Migrationsabkommen geschlossen. Doch würde Tunesien Hand bieten für einen Deal mit abgewiesenen Asylbewerbern? Aeschi traf am Freitag hochrangige Behördenvertreter in der Hauptstadt Tunis. Sie stünden dem Vorschlag skeptisch gegenüber, sagt er. Aeschi wird den Bundesrat gleichwohl in einem Vorstoss auffordern, einen entsprechenden Vertrag auszuhandeln. Aeschi ist überzeugt: Wenn der Preis stimmt, lässt sich etwas erreichen. Aeschi schlägt vor, Tunesien pro zurückgenommenem Asylbewerber mit einer grosszügigen, einmaligen Pauschale von mehr als 10 000 Franken zu entschädigen. Er sieht eine Win-win-Situation: «Das Schweizer Steuergeld kann in Tunesien viel effizienter eingesetzt werden. Und Tunesien erhält einen Zustupf für seine klamme Staatskasse.» Wer das Lager betreiben soll, lässt Aeschi offen. Der Rote Halbmond wäre für ihn eine gute Lösung. Mittelfristig, schlägt Aeschi vor, soll die Schweiz auch in anderen Ländern, zum Beispiel Jordanien oder Pakistan, solche Auffanglager für Migranten aus Syrien oder Afghanistan schaffen. In den Auffanglagern sollen die abgewiesenen Asylbewerber von Ausbildungen profitieren, um nachher in ihrer Heimat eine Berufskarriere zu machen.

Das für das Asylwesen zuständige Staatssekretariat für Migration (SEM) kommentiert Aeschis Vorschläge nicht. Auf Anfrage unserer Zeitung listet es einige Projekte auf, mit denen man auf die Dramen auf dem Mittelmeer reagiert. So unterstützte die Schweiz im Rahmen eines Projekts der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mehr als 700 Migranten mit 1 Million Franken, damit sie von Libyen in ihre Heimat zurückkehren konnten. Mit dem gleichen Betrag beteiligt sich die Schweiz auch an Massnahmen zur Stärkung der libyschen Küstenwache. Zudem will die Schweiz in Nordafrika bis 2020 total 54 Millionen Franken für Projekte einsetzen, welche die Ursachen der Migration bekämpfen sollen. Dabei geht es unter anderem um Rückkehrhilfe oder finanzielle Unterstützung für ein Flüchtlingscamp in Algerien.

Eduard Gnesa ist ehemaliger Sonderbotschafter für internationale Migrationszusammenarbeit und hat Erfahrung im Umgang mit tunesischen Behörden. Aeschis Idee, im nordafrikanischen Staat mit seinen elf Millionen Einwohnern ein Auffanglager zu schaffen, findet er «interessant». Er glaubt aber nicht, dass sich der Plan umsetzen lässt. «In Tunesien leben eine Million Libyer und zahlreiche andere Migranten. Das Land leidet unter hoher Arbeitslosigkeit und dürfte deshalb kein Interesse haben, zusätzlich abgewiesene Asylbewerber aus der Schweiz aufzunehmen.» Gnesa kann sich zudem vorstellen, dass ein von der Schweiz finanziertes Auffanglager in Tunesien sogar eine Sogwirkung für Asylsuchende haben kann.

Legale Migration als Gegenleistung

Für Gnesa ist klar: Will die Schweiz den Migrationsstrom eindämmen und die Rückschaffung abgewiesener Asylsuchender verbessern, muss sie den afrikanischen Ländern etwas anbieten, zum Beispiel Praktikumsplätze für Jugendliche in der Schweiz und andere Aktivitäten im Bereich der Ausbildung. So habe die Schweiz zum Beispiel im Rahmen ihrer Migrationszusammenarbeit in Tunesien dort nach dem Arabischen Frühling 13 500 Arbeitsplätze geschaffen. Zudem müsse die Schweiz, wenn auch in bescheidenem Mass, Wege für eine legale Migration für Afrikaner öffnen.

Das wiederum kommt für Thomas Aeschi nicht in Frage. Afrikaner könnten bereits im Rahmen der Drittstaatenkontingente in die Schweiz einreisen, sagt er. Von Gnesas Einwänden bezüglich des Auffanglagers lässt er sich nicht beirren. Vielmehr will er in den Reihen der anderen bürgerlichen Parteien möglichst viele Parlamentarier für sein Anliegen gewinnen – letztlich mit dem Ziel, die Ausgaben im Asylwesen zu senken. Mittlerweile sind sie auf jährlich 2 Milliarden Franken gestiegen. «Gleichzeitig muss der Bund in vielen anderen Bereichen, zum Beispiel bei der Bildung, sparen», gibt Aeschi zu bedenken.