NACHTLEBEN: «Eine Massnahme allein bringt nichts»

Mit verschiedenen Massnahmen sollen Exzesse im Nachtleben bekämpft werden. Dabei komme es auf die richtige Mischung an, sagt Präventionsexperte Martin Hafen.

Alexander von Däniken
Drucken
Sperrzonen und Verkaufsverbote für Alkohol allein helfen nicht: Jugendliche bei einem Saufgelage in Genf. (Bild: Keystone/Salvatore di Nolfi)

Sperrzonen und Verkaufsverbote für Alkohol allein helfen nicht: Jugendliche bei einem Saufgelage in Genf. (Bild: Keystone/Salvatore di Nolfi)

Nachtruhestörungen, Littering, Alkoholexzesse: Die Auswirkungen der 24-Stunden-Gesellschaft sind weder zu übersehen noch zu überhören. So auch auf dem Luzerner Bahnhof- und Europaplatz, wo die Probleme im letzten Sommer regelmässig für Schlagzeilen gesorgt haben. Genug, sagt CVP-Kantonsrat und KKL-Präsident Pius Zängerle: «Diese Probleme müssen mit einem Mix von Massnahmen gelöst werden.» Die Hauptursache der Probleme sei aber der übermässige Alkoholkonsum: «Dieser führt zu mehr Gewalt, mehr Littering und mehr Vandalismus.» Darum fordert er in einer Motion die Errichtung von Rayons, in denen kein Alkohol mehr konsumiert werden darf (Ausgabe vom 28. November 2012). Der Vorstoss ist noch hängig.

Jetzt hat auch Ludwig Peyer einen Vorstoss eingereicht. Darin wird die Regierung aufgefordert, Massnahmen auf ihre Machbarkeit zu prüfen, welche der Schweizerische Städteverband kürzlich präsentiert hat (siehe Kasten). Die Städte sind jedoch auf Schützenhilfe der Kantone angewiesen, um einige dieser Massnahmen umzusetzen. Zum Beispiel beim Durchsetzen eines örtlich beschränkten Alkoholkonsumverbots, wie es Zängerle fordert, oder bei einem nächtlichen Alkoholverkaufsverbot, wie es der Kanton Genf bereits kennt und der Städteverband als Massnahme vorschlägt.

Mehr Alkohol, mehr Schlägereien

Die Forderungen der CVP und des Städteverbands kommen nicht von ungefähr. Gemäss der Studie «Suchtmonitoring Schweiz» des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) haben sich 4,6 Prozent der 15- bis 29-Jährigen im letzten Ausgang ungebührlich verhalten, 2,5 Prozent waren in eine Schlägerei verwickelt. Mit zunehmendem Alkoholpegel steigt die Wahrscheinlichkeit einer Schlägerei: 6,1 Prozent der Jugendlichen, welche exzessiv Alkohol konsumieren (Frauen mindestens 4 Gläser Alkohol, Männer mindestens 5), geraten gemäss dem BAG in eine Schlägerei.

Dass die Städte die Diskussion um die Auswirkungen des Nachtlebens auf die politisch nächsthöhere Ebene hieven wollen, machte kürzlich auch Adrian Borgula, Sicherheitsdirektor der Stadt Luzern, deutlich (Ausgabe vom 19. Februar). Über ein nächtliches Alkoholverkaufsverbot sagte er: «Ein solches Verbot wäre durchaus eine Option. Es müsste allerdings auf kantonaler Ebene diskutiert werden.»

Repression und Prävention

Aufgrund der CVP-Vorstösse kann sich Yvonne Schärli, Justiz- und Sicherheitsdirektorin des Kantons Luzern, nur allgemein zu den Problemen des Nachtlebens äussern. Sie sagt: «Die Probleme sind uns bekannt und seit je her auch ein Thema im Sicherheitsausschuss, den Stadt und Kanton nach der Zusammenlegung der beiden Polizeikorps ins Leben gerufen haben.» Zudem würden Stadt und Kanton in einer Arbeitsgruppe zusammenarbeiten, deren Ziel es sei, weitere Interessengruppen in diese Diskussion einzubinden. Einige Massnahmen seien bereits eingeführt worden: Gegen Littering, vermehrte Wegweisungen, mehr Polizeipräsenz an den Brennpunkten. «Aber auch die Bereitschaft der Geschäfte in den Bahnhöfen, kein Billigbier mehr zu verkaufen, ist ein Teil im Puzzle», sagt Schärli. Wichtig sei das Zusammenspiel von repressiven und präventiven Massnahmen.

Für Beat Villiger, Sicherheitsdirektor des Kantons Zug, sind die Massnahmen des Städteverbands derzeit kein Thema: «In Zug sind die Auswirkungen der 24-Stunden-Gesellschaft vielleicht nicht so ausgeprägt, wie in anderen Kantonen mit grösseren Zentren.» Die bisherigen Massnahmen wie eine seit zwei Jahren höhere Polizeipräsenz an neuralgischen Punkten hätten sich bewährt.

Verbote gehen Zug zu weit

Trotzdem will der Kanton Zug für eine wirksamere Polizeiarbeit Massnahmen treffen. Demnächst wird laut Villiger ein Litteringgesetz verabschiedet, welches die Polizei ermächtigt, Bussen auszustellen, wenn Leute ihren Abfall auf die Strasse werfen. «Die Polizei wird auch in der Lage sein können, bei Nachtruhestörungen oder Vandalismus unmittelbarer zu ahnden», so Villiger. Ebenfalls in Arbeit sei ein Gesetz, welches die Videoüberwachung von bestimmten problematischen Arealen regelt. Repressive Massnahmen wie ein zeitlich beschränktes Alkoholverkaufsverbot oder ein örtlich beschränktes Alkoholkonsumverbot würden aufgrund der jetzigen Situation im Kanton Zug zu weit gehen.

Martin Hafen, Professor am Institut für Sozialmanagement, Sozialpolitik und Prävention der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit, begrüsst, dass über die Auswirkungen der 24-Stunden-Gesellschaft diskutiert wird. Er warnt aber vor Aktionismus: «Ich kann gut verstehen, dass die Städte verschiedene Massnahmen fordern. Aber das Thema ist sehr komplex. Die Probleme lassen sich nicht mit schnellen Massnahmen lösen.»

Bei jeder Massnahme sei es wichtig, auch die Jugendlichen in die Diskussion einzubeziehen; sei es über die Jungparteien oder Institutionen, welche sich mit Jugendlichen beschäftigen: «Dabei sollte ein Konsens das Ziel sein. Repressive Massnahmen alleine bringen nichts. Sie bergen die Gefahr, die Jugendlichen zu diskriminieren.» Ein Beispiel biete die Stadt Zürich, wo neben repressiven Massnahmen den Jugendlichen auch bewusst Plätze angeboten würden, auf denen sie sich aufhalten dürfen.

«Bevölkerung ist sensibler»

Die Erfahrung habe zusätzlich gezeigt, «dass eine einzelne Massnahme nichts bringt». Einzelne Verbote, Alkoholverkaufsbeschränkungen zum Beispiel, würden schlicht umgangen. Hafen will das Alkoholverkaufsverbot allerdings nicht gleich abschreiben: «Es kann durchaus nützlich sein. Aber nur im Verbund mit anderen Massnahmen.» Welche Zusammensetzung von Massnahmen am besten funktioniert, kann Hafen nicht generell beantworten: «Es gibt kein Patentrezept. Jede Stadt und jede Gemeinde bietet eigene Rahmenbedingungen, wie etwa die Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs oder die Lage der Clubs.» Wichtig sei, die beschlossenen Massnahmen auch durchzusetzen, «um gegenüber den Jugendlichen glaubhaft zu wirken».

Hafen stellt fest: «Die Bevölkerung ist bezüglich Nachtruhestörungen sensibler geworden. Je mehr sie sich an die Ruhe gewöhnt, desto sensibler wird sie gegenüber Störungen. Das habe dazu geführt, «dass sich gewisse Leute bereits an Kinderlärm stören. Hier appelliere ich an die Toleranz und Gelassenheit der Bevölkerung, damit alle Gruppierungen mit ihren Bedürfnissen auf ihre Rechnung kommen.»

Die Städte sagen dem Billigbier den Kampf an

kä. Dem Schweizerischen Städteverband bereitet der Wandel des Nachtlebens und deren Begleiterscheinungen wie Gewalt, Lärm oder Alkohlexzesse Sorgen. Anfang Woche hat er deshalb mögliche Massnahmen vorgeschlagen, um diese Phänomene besser in den Griff zu bekommen.

Einfluss auf Preise

Als Ursache für Konflikte hat der Städteverband die hohe Verfügbarkeit von Alkohol identifiziert. Für den Lausanner Sicherheitsdirektor Grégoire Junod (SP) ist die «Über-Alkoholisierung» in allen Städten ein Problem. Reto Nause (CVP), Sicherheitsdirektor der Stadt Bern, will nicht, «dass es in Bahnhöfen stapelweise Billigbier zu kaufen gibt». Nause fordert vor allem, dass die Städte die Kompetenzen erhalten, auf die Preise des Alkohols bei Bahnhöfen Einfluss zu nehmen, sprich Bier, Wein etc. verteuern zu können. Dass die Nutzung der Bahnhöfe im Eisenbahngesetz geregelt ist, hält Nause nicht von seiner Forderung ab. «Der Bund muss anerkennen, dass die Bahnhöfe im Nachtleben eine zentrale Rolle spielen», sagte er im «Tages-Anzeiger». Die Städte müssten mehr Kompetenzen erhalten.

Freude haben dürfte Nause am Bahnhof Luzern. Dort bietet Coop auf Druck der SBB die billigste Biersorte nicht mehr an. Zunächst ging der Umsatz zurück. Danach stieg er wieder an – dank «gehobener Kundschaft», die mehr andere Produkte kaufte, wie es im Bericht des Städteverbands heisst.

Verkaufsverbot ab 22 Uhr

Massnahmen zur Eindämmung des Alkohols stehen auch auf Bundesebene zur Debatte. Im revidierten Alkoholgesetz schlägt der Bundesrat vor, dass im Detailhandel ab 22 Uhr kein Alkohol mehr über den Ladentisch geht. In der Praxis bedeutet das: An Bahnhöfen oder Tankstellenshops kann man sich künftig spätabens nicht mehr mit Bier, Wein, Schnäpsen und anderen Alkoholika eindecken, sollte das Parlament diese Massnahme gutheissen. Der Lausanner Sicherheitsdirektor Grégoire Junod würde sie auf jeden Fall begrüssen. Zu Gunsten der öffentlichen Gesundheit sei manchmal eine Einschränkung der Gewerbefreiheit nötig.

Bier und Wein erst ab 18 Jahren

Die Totalrevision des Alkoholgesetzes kommt voraussichtlich im Frühling ins Parlament. Derzeit wird sie in der Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) des Ständerats beraten. Neben einem Verkaufsverbot ist vor allem eine Frage von Interesse: Sollen Bier und Wein – wie heute – bereits an Jugendliche ab 16 oder doch erst ab 18 Jahren verkauft werden, wie bei Spirituosen? Der Bundesrat will am Mindestalter 16/18 festhalten. Wie der Luzerner CVP-Ständerat und WAK-Präsident Konrad Graber kürzlich gegenüber der «NZZ am Sonntag» ausführte, könnte die Ständeratskommission das Mindestalter für Bier und Wein aber durchaus auf 18 Jahre erhöhen.

Bei den Schweizerinnen und Schweizern jedenfalls scheint ein solcher Schritt salonfähig. Gemäss einer Umfrage im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit findet eine deutliche Mehrheit von 78,5 Prozent, der Verkauf von Alkohol an unter 18-Jährige sei generell zu verbieten. 57,3 Prozent sind über- dies der Meinung, der Staat solle «Billigalkohol» verteuern.