Heinz Höhener ist Chef des grössten Schweizer Fahnenherstellers, der Heimgartner AG in Wil SG. Vor dem 1. August hält sich der Stress in Grenzen. Auch, weil 80 Prozent der Schweizer Fahnen Importware sind.
Interview Hans Graber
Heinz Höhener, als Laie denkt man sich, dass die Fahnenhersteller jetzt unmittelbar vor dem 1. August Hochsaison für Schweizer Fahnen haben. Ist das so?
Höhener: Nein, das kann man nicht so sagen. Fahnen werden das ganze Jahr über verkauft, wobei es im Frühling eine Spitze gibt, wenn Schrebergartenbesitzer oder Beizer sehen, dass die alte Fahne keine schöne Falle mehr macht und sie sich aus diesem Grund eine neue anschaffen. Da wartet man in aller Regel nicht bis zum 1. August. Ein bisschen spürbar ist unser Nationalfeiertag zwar schon, aber das betrifft mehr Zusatzartikel wie etwa Stabfähnchen für Blumenkisten, Tischfähnchen, Fahnenketten und dergleichen, weniger die klassischen Fahnen.
Dann hoffen Sie auf sommerliche Gewitterstürme, welche die alten Fahnen zerzausen und eine Neuanschaffung nötig machen.
Höhener: (lacht) Nein, böswillig bin ich nicht. Ich mag allen schönes Wetter gönnen.
Schweizerisches hat in den letzten Jahren grossen Auftrieb erhalten, die sogenannte Swissness ist eine trendige Marke. Spüren Sie das auch bei den Fahnenverkäufen?
Höhener: Wenig. Ich glaube deshalb, weil die Schweizer Fahne immer einen grossen Stellenwert hatte und immer präsent war. Sie ist ein besonderes Symbol, und das zeigt sich ja eben auch darin, dass das Schweizer Kreuz für unzählige Produkte herhalten muss.
Heimgartner stellt Fahnen aller Art her, hinzu kommen Werbebeflaggungen, Fassaden- und Werbetücher oder Kirchenschmuck und Paramente. Welche Bedeutung hat in dieser Firmenpalette die Schweizer Fahne?
Höhener: Sie ist nach wie vor die meistverkaufte Fahne, sie hat den höchsten Stellenwert, und sie ist natürlich ein Referenzprodukt unserer Firma, zumal unsere Schweizer Fahnen wirklich schweizerisch sind was man nicht von allen Schweizer Fahnen sagen kann.
Wie viele werden importiert?
Höhener: Rund 80 Prozent. Importierte Fahnen sind eben billiger. Schweizer Qualität wird zwar gerne gepriesen, aber weil diese etwas mehr kostet, werden viele dann halt schnell «fahnenflüchtig». (lacht) Aber das betrifft nicht nur unsere Branche, und wir müssen damit leben.
Täusche ich mich, oder wird im öffentlichen Raum generell weniger beflaggt als früher?
Höhener: Ich glaube, Sie täuschen sich. Ob Gemeindehaus oder Bundeshaus, alle sind beflaggt, ebenso wie viele Sehenswürdigkeiten, die Schiffe auf dem Vierwaldstättersee, die Berggipfel, die Luzerner Seebrücke. Da gehören Fahnen einfach dazu. Weil das so selbstverständlich ist, nimmt man sie möglicherweise nicht immer wahr. Aber schauen Sie sich nur mal um, nicht nur im öffentlichen Raum, auch in Gärten und noch mehr in Schrebergärten findet man Fahnen zuhauf.
Speziell in Schrebergärten dominiert aber nicht die Schweizer Fahne.
Höhener: Das kann ich bestätigen. In diesem kleinen und meist normierten Reich zeigt man häufig anders Flagge und setzt mit der Fahne ein individuelles Zeichen. Man weist darauf hin, aus welchem Kanton oder Land man stammt, mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass ein Besucher oder notfalls auch man selber immer weiss, wo man zu finden ist. Uns ist das auch recht, wir stellen Fahnen aller Art her. Am liebsten haben wir natürlich jene, die gleich mehrere Fahnen miteinander hissen, zuoberst das Land, dann der Kanton und als dritte vielleicht auch noch die Fahne mit dem Familienwappen. (lacht)
Wie bei Ihnen zu Hause?
Höhener: Nein, ich habe zwar eine Höhener-Fahne, mit einem Hirsch drauf, ein tolles Geschenk der Mitarbeiter übrigens, aber im Garten hängt nur eine grosse Schweizer Fahne, 3 mal 3 Meter, an einem 12 Meter hohen Mast.
12 Meter? Sie gehen hoch hinaus.
Höhener: Es stehen noch Bäume rundum, und die Fahne muss man natürlich schon sehen können.
Hängt sie immer oben, oder machen Sie da regelmässig Fahnenaufzüge?
Höhener: Nein, die hängt immer, 365 Tage im Jahr, bei Wind und Wetter.
So können Sie auch gleich schauen, was die Fahne aushält.
Höhener: (lacht) Dass unsere Fahnen gut sind, weiss ich, es braucht da keinen speziellen Produkttest bei mir zu Hause. Ein wenig Genugtuung spüre ich zwar schon, wenn Nachbarn sagen, dass sich meine Fahne besser hält als ihre, aber ich weiss auch, dass man Vergleiche mit Vorsicht geniessen muss. Der Standort trägt massgeblich zur Lebensdauer bei. Schwachstelle sind die Ecken, je nach dem, wie windexponiert die Fahne ist, desto eher leidet sie. Meine hält in der Regel drei Jahre. Das ist ein guter Wert bei Ganzjahresgebrauch.
Schlägt das Herz noch höher, wenn Sie eine Schweizer Fahne sehen?
Höhener: Ich bin schon stolzer Schweizer, aber es ist nicht so, dass ich in meinem Garten oder bei jedem Gang durch die Firma einen erhöhten Puls habe. Aber so auf einer Wanderung, wenn man stundenlang marschiert ist und dann von Ferne an einem Berghaus eine Schweizer Fahne sieht, kribbelt es nach wie vor. Ebenso kommen bei mir Emotionen hoch, wenn ich irgendwo im Ausland eine Schweizer Fahne entdeckte. Das empfinde ich wirklich als schön.
Also ein glühender Patriot.
Höhener: Glühend? Nein. Patriot ist ohnehin ein vieldeutiger Begriff. Ich denke, dass ich ein bodenständiger Patriot bin, gleichzeitig aber offen und tolerant. Was mir wichtig ist: Längst nicht jeder, der eine Schweizer Fahne im Garten hat, steht politisch rechts.
Das Schweizer Kreuz hat genau vorgeschriebene Proportionen (siehe Kasten). Gibt es auch genaue Vorschriften, wie das Rot zu sein hat?
Höhener: Die gibt es, die Farbe ist klar definiert. Aber diese Regeln gelten nur für offizielle Fahnen. Wenn Sie Fan der Nationalmannschaft sind, können Sie selber eine Fahne machen mit einem Rosarot und einem Kreuz, bei welchem die Vorgaben nicht stimmen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Bedenklicher ist, wenn in gewissen Sportarten Nationalteams auftreten, auf deren Trikots man ein Schweizer Wappen mit falschen Farben und falschen Proportionen sieht. So etwas kommt leider immer mal vor und tut zumindest uns Fachleuten in den Augen weh.
Die Schweizer Fahne scheint vergleichsweise einfach. Was sind besonders anspruchsvolle Fahnen?
Höhener: Die grosse Mehrheit sind heute ja gedruckte Fahnen. Sie bieten selbst bei sehr komplizierten Sujets kaum Probleme, wenn die zu druckende Vorlage korrekt ist. Anders ist es bei sogenannt eingesetzten Fahnen, bei welchen verschiedenfarbige Stoffe zusammengenäht werden, und die Sujets zum Teil gestickt werden müssen, zum Beispiel bei einer ganzen Reihe von Ähren, die in einem Gemeindewappen enthalten sind. Da geht es dann schon sehr ins Kunsthandwerkliche hinein. Entsprechend ist da auch der Preis einiges höher, dafür auch die Optik besser: Eine solche Fahne hat Konturen, hat mehr Leben.
Welches ist die teuerste Fahne, die Heimgartner je hergestellt hat
Höhener: Eine Schweizer Fahne, 120 mal 120 Meter, Kostenpunkt über 100 000 Franken.
Es gibt Leute, denen Fahnen grundsätzlich zuwider sind nicht primär der Fahne wegen, sondern der Leute, die Fahnen irgendwelcher Art hinterherlaufen. Können Sie das verstehen?
Höhener: Nein. Wenn man partout etwas Negatives sehen will, so kann man das schon, aber wenn eine Fahne Identifikation stiftet, empfinde ich das sicher nicht als grundsätzlich schlecht. In Luzern gibt es doch auch viele Touristengruppen, vor welchen einer mit einem Fähnchen läuft. Speziell wenn mehrere Gruppen gleichzeitig unterwegs sind, ist dieses Fähnchen eine Orientierungshilfe, es sorgt dafür, dass man nicht verloren geht. Dasselbe gilt bei Bataillonsfahnen im Militär (Anm. Höhener war in der Armee Hauptmann). Das ist für den Soldaten ein Feldzeichen der Zusammengehörigkeit. Als die EU entstanden ist, hat man auch eine Fahne kreiert, mit den Sternen, die zeigen, wie viele Länder dabei sind. Was ich sagen möchte: Eine Fahne ist immer ein Symbol für eine Gemeinschaft.
Aber es ist nicht wegzuleugnen, dass speziell in totalitären Regimen ein grosser Fahnenkult betrieben wird.
Höhener: Auswüchse kann es wie überall geben, aber deswegen Fahnen prinzipiell abzulehnen, ist eine sehr extreme Haltung. Jedes Land hat seine Fahne, totalitäre Staaten ebenso wie friedliche. Die Fahne ist ein Symbol und stiftet Identifikation. Was man daraus macht und was man darin sehen will, ist den Menschen überlassen, dafür kann man nicht die Fahne verantwortlich machen.
Gibt es in der Schweiz speziell fleissige Fahnenhisser?
Höhener: Es fällt auf, dass bezogen auf Kantone am meisten Walliser Fahnen bestellt werden, gefolgt von Berner und Bündner Fahnen. Das sind übrigens auch die, die am meisten gestohlen werden.
Und die Innerschweizer?
Höhener: Wir führen keine Statistik, die die Anzahl Einwohner eines Kantons berücksichtigt, es ist aber wahrscheinlich so, dass in den Urkantonen mehr Fahnen aufgehängt werden als etwa in Luzern.
Wie sind Sie als Architekt überhaupt auf die Fahnen gekommen?
Höhener: Durch die Heirat mit meiner Frau, sie ist eine Heimgartner. Die Firma gibt es seit 1948. Leider ist mein Schwager, der im Geschäft tätig war, früh verstorben, meine Frau war dadurch der einzige Nachkomme. Als der Schwiegervater starb und man das Unternehmen in der Familie behalten wollte, bin ich vor bald 20 Jahren ein bisschen wie die Jungfrau zum Kind dazugekommen.
Widerwillig?
Höhener: Nein, ich brauchte sicher eine gewisse Eingewöhnungszeit, aber ich habe schnell entdeckt, dass man auch in dieser Branche kreative Seiten ausleben kann. Dass heute drei meiner vier Söhne im Unternehmen tätig sind, erfüllt mich mit Stolz und Freude.
Ist Ihr Hobby Fahnenschwingen?
Höhener: Ich hab es noch nie probiert, vielleicht kommt auch das noch. Ehrlich gesagt, stehen mir aber Skifahren und im Sommer Wandern schon einiges näher.
Wandern mit einem Schweizer Fähnchen hinten am Rucksack?
Höhener: Nein, nein, ohne Rucksack und ohne Fähnchen. Ich zeige sonst schon genug Flagge.