In diesem Jahr kandidieren so viele Frauen wie noch nie für die Grosse Kammer. Anteilsmässig stagnieren sie jedoch.
Lukas Leuzinger
Das Mandat als Nationalrat ist beliebt: Für die 200 Sitze bewerben sich dieses Jahr so viele Kandidierende wie noch nie, nämlich 3788. Darunter sind 1308 Frauen – auch das ist ein Rekord.
Mit 34,5 Prozent liegt der Frauenanteil etwas höher als vor vier Jahren, wie aus den gestern publizierten Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) hervorgeht. Im langjährigen Vergleich stagniert er allerdings (siehe Grafik). Bei denen, welche die Wahl in den Nationalrat schaffen, liegt der Frauenanteil unter 30 Prozent (im Ständerat sind es sogar nur knapp 20 Prozent). Das bedeutet: Frauen kandidieren nicht nur seltener, sie haben im Schnitt auch schlechtere Wahlchancen als Männer.
Werner Seitz, Leiter der Sektion Politik, Kultur, Medien beim BFS, sieht zwei Gründe für die Stagnation. «In den 1990er-Jahren, nachdem das Parlament der SP-Politikerin Christiane Brunner die Wahl in den Bundesrat verwehrte, wurde die Untervertretung der Frauen breit diskutiert, und die Parteien fühlten sich in der Pflicht», erklärt er gegenüber unserer Zeitung. In der Folge seien deutlich mehr Frauen gewählt worden. «Inzwischen hat das Thema – auch in den Medien – an Bedeutung verloren.»
Einen zweiten Grund sieht Seitz bei den Parteien. Bei SP und Grünen seien rund 50 Prozent der Kandidierenden Frauen, und auch die Gewählten seien etwa zur Hälfte weiblich. Auch bei der CVP entspricht der Anteil der Frauen unter den Kandidierenden in etwa jenem im Parlament. Bei FDP und SVP hingegen würden anteilsmässig deutlich weniger Frauen in den Nationalrat gewählt als kandidierten. Auf den SVP-Listen stehen seit den 1990er-Jahren immer 20 Prozent Frauen. In der Nationalratsfraktion machen sie jedoch nur knapp 12 Prozent aus.
Dabei müsse die Gleichstellung nicht zwingend ein rot-grünes Thema sein, betont Seitz. «Die FDP hatte sich beispielsweise stark für das Frauenstimmrecht eingesetzt, und nach dessen Einführung stellte sie zusammen mit der CVP und der SP markante Frauen in den Parlamenten. Die SP hatte in den 1970er-Jahren nicht mehr Frauen in den Parlamenten als CVP und FDP.»
Die Bürgerlichen seien erst später gegenüber den linken Parteien in Rückstand geraten.
Im europäischen Vergleich liegt die Schweiz im Mittelfeld, was den Frauenanteil im Parlament angeht. An der Spitze liegen die skandinavischen Länder: Im schwedischen Parlament sind knapp 44 Prozent der Abgeordneten Frauen. Die Niederlande, Spanien und Deutschland liegen ebenfalls vor der Schweiz. Dagegen sind die Parlamente in Frankreich, Grossbritannien und vielen osteuropäischen Ländern deutlich männlicher.
Wird der Frauenanteil im Nationalrat nun steigen, nachdem der Anteil auf den Listen zugenommen hat? «Ich würde diesen leichten Anstieg nicht überinterpretieren», sagt Werner Seitz vom BFS. Langfristig braucht es aus seiner Sicht einen kulturellen Wandel, damit die Frauen im Parlament stärker vertreten sind.
«Es gibt genug fähige Politikerinnen in den Gemeinden und Kantonen», sagt Werner Seitz. Diese müssten aber von den Parteien und den Medien sichtbar gemacht werden.
Seitz: «Die Untervertretung der Frauen beschränkt sich allerdings nicht auf die Politik, sondern ist ein gesellschaftliches Problem.»