Mit seinem Vorschlag, die Kassenbeiträge für die ambulante Pflege zu kürzen, hat der Bundesrat in ein Wespennest gestochen. Die Branche hofft auf einen Bumerang-Effekt.
In der Regel sind die fetten Schlagzeilen den Spitälern gewidmet. Zu viele gibt es von ihnen, zu teuer produzieren sie – und fehlerhaft zuweilen. Doch derzeit läuft die ambulante Pflege der stationären Medizin den Rang ab. Auslöser ist der Bundesrat, der sich an seiner letzten Sitzung vor den Ferien mit der Pflegefinanzierung befasst hat.
Einen regelrechten Sturm ausgelöst hat die Ankündigung, die Kassenbeiträge für die Spitex-Pflege um 3,6 Prozent senken zu wollen, derweil jene für die Pflege in den Heimen um 6,7 Prozent steigen sollen. Auf diese Weise soll es gelingen, die Kostenentwicklung gesamthaft zu stabilisieren. Und das Missverhältnis der Stundenansätze zwischen stationärer und ambulanter Pflege etwas auszugleichen.
Jubeln ob dieser Nachricht mögen nur die Krankenversicherer. Pius Zängerle, Direktor von Curafutura (CSS, Helsana, Sanitas, KPT), sagt: «Wir sind hocherfreut, dass es von dieser Seite her zu keinem Prämienanstieg kommen wird.»
Ganz anders tönt es bei Marianne Pfister, Geschäftsführerin von Spitex Schweiz: «Seit Jahren findet eine gewollte Verlagerung in die spitalexterne Pflege statt. Dass nun genau diese Branche Kürzungen in Kauf nehmen soll, ist für uns unverständlich.»
Der Widerstand gegen die vom Bundesrat in die Vernehmlassung geschickten Pläne ist denn auch gewiss. Dabei gibt es objektiv durchaus Gründe für die Verschiebung der Beiträge, welche die Versicherer an die ambulante und stationäre Pflege zu entrichten haben. Der Evaluationsbericht zur 2011 eingeführten Pflegefinanzierung zeigt, dass es bei den Heimen eine Unter- und bei der Spitex eine Überdeckung gibt. Eine Korrektur, die rechnerisch zwar angezeigt ist, faktisch aber gleichwohl schwierig anmutet. Grund ist die Finanzierung der Restkosten – jenes Betrags, der übrig bleibt, wenn Kassen und Versicherte ihre seit der Einführung des neuen Modells unveränderten Beiträge geleistet haben. Nach dem Gesetz sind dann Gemeinden und Kantone gefordert – doch der Evaluationsbericht zeigt auf, dass verbreitet geknausert wird. Mit der Folge, dass die Heime die ungedeckten Kosten mitunter auf die Bewohner abwälzen. Just diese Möglichkeit hat die Spitex nicht.
Deshalb ist für die IG Pflegefinanzierung, in der sich die wichtigsten Player der Branche zusammengefunden haben, klar: «Änderungen der Kassenbeiträge, wie sie der Bundesrat vorschlägt, führen nur zu einer Kostenverschiebung von der Spitex in die Heime, nicht aber zur Beseitigung der Finanzierungslücken.» Die IG kann denn auch nicht verstehen, dass der Bundesrat keine Massnahmen vorschlägt, die dem Restkosten-Problem zu Leibe rückt. Und auf diese Weise verhindert, dass die Spitex am Ende die Zeche für die Versäumnisse in Gemeinden und Kantonen bezahlt.
Diese Sorge treibt auch den Berufsverband der Pflegefachfrauen und -männer (SBK) um. Der Verband setzt deshalb nicht auf den Bundesrat, sondern auf das Parlament, wenn es um die nötigen Verbesserungen geht. Konkret: Die vom Bundesrat ohne Gegenvorschlag abgelehnte Pflege-Initiative steht vor der parlamentarischen Behandlung. Sie will gesetzliche Massnahmen zugunsten von ausreichend und gut qualifiziertem Pflegepersonal. SBK-Präsidentin Helena Zaugg ist zuversichtlich, «dass das Parlament bessere Entscheide treffen wird als der Bundesrat». Und hofft, dass auch für die Finanzierung die richtigen Weichen gestellt werden. Dabei geht es allein für die Non-Profit-Spitex, die knapp 300'000 Klienten betreut, um einen Jahresumsatz von 1,9 Milliarden Franken, zu dem die Krankenversicherer 700 Millionen beitragen. Wobei ihre Beiträge seit 2011 sogar leicht gesunken sind.
Gesundheitspolitikerin und Nationalrätin Ruth Humbel (CVP/AG) anerkennt zwar den Handlungsbedarf und findet die Erhöhung der stationären Tarife ebenso richtig wie die Absenkung der ambulanten falsch. Aber den Zusammenhang mit der Pflege-Initiative sieht sie nicht. Sie setzt sich für einen indirekten Gegenvorschlag auf Gesetzesebene ein, um die Pflege – und insbesondere jene in der Spitex – zu stärken. Ein solcher könnte nach Ansicht von Humbel mehrheitsfähig sein.
Die Kostenbeteiligung der Krankenversicherer an den Spitex-Leistungen ist nicht die einzige Baustelle, die in der Gesundheitsbranche derzeit zu reden gibt. Für rote Köpfe sorgt ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das eine Klage der Krankenversicherer gutgeheissen hat. Demnach gehören Pflegematerialien aus der Mittel- und Gegenständeliste (MiGeL) nicht mehr zu den Pflegeleistungen und können deshalb nicht länger über die Krankenpflegeversicherung separat abgerechnet werden. Die Kosten bleiben also bei der öffentlichen Hand – je nach dem an Kantonen und/oder Gemeinden – hängen. Doch damit nicht genug: Einige Krankenkassen machen für die Jahre 2015 bis 2017 Rückforderungen geltend, andere verzichten darauf. Politisch wird die Suppe so heiss gegessen, wie sie angerichtet wurde: CVP-Nationalrätin Ruth Humbel hat einen Antrag auf Einreichung einer Kommissionsmotion eingebracht, um die rechtlichen Voraussetzungen für die Kostenübernahme durch die Krankenkassen zu schaffen. Dies, um Pflegeheime, Spitex und Patienten vor weiteren Belastungen zu schützen. So, wie es viele Kantone, Städte, Gemeinden und Institutionen ebenfalls verlangen. Und siehe da: Am Freitag hat die nationalrätliche Gesundheitskommission einstimmig die Einreichung der Motion beschlossen. (bbr)