REFORM: Berset droht mit Totalausfall bei der AHV

Auch die junge Generation profitiere von der neuen Altersvorsorge. Bei einem Nein würden sich die Kassen unerbittlich leeren, sagt Bundesrat Alain Berset. Die Gegner der Reform taxieren dessen Drohung als inhaltlich falsch.

Kari Kälin
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Bundesrat Alain Berset eckt mit seinen Aussagen zur Rentenreform an. (Bild: Anthony Anex/KEY (Bern, 14. Dezember 2016))

Bundesrat Alain Berset eckt mit seinen Aussagen zur Rentenreform an. (Bild: Anthony Anex/KEY (Bern, 14. Dezember 2016))

Kari Kälin

Schlecht gedroht ist halb verloren: Das erfuhr im Februar Ueli Maurer (SVP). Das Volk lehnte die Unternehmensteuerreform (USR) III ab, obwohl der Finanzminister vor dem Verlust Tausender Arbeitsplätze gewarnt und ein milliardenschweres Sparpaket angekündigt hatte. Die Liste kontraproduktiver Mahnungen liesse sich verlängern (siehe Zweittext).

Begibt sich jetzt auch Alain Berset (SP) aufs Glatteis? Dass die jüngere Generation zu den Verlierern der Reform der Altersvorsorge gehört, ist bekannt (Ausgabe vom 4. August). In einem gestern publizierten Interview wollte der «Tages-Anzeiger» wissen, wie der Innenminister einen unter 45-Jährigen trotzdem davon überzeugen wolle. Darauf drohte Berset mit einem Totalausfall der AHV-Rente: «Wenn ihr Nein stimmt, könnt ihr nicht sicher sein, dass ihr noch eine AHV-Rente bekommt. Denn die Kassen werden sich langsam, aber unerbittlich leeren.» Er sage dieser Generation ganz klar: «Diese Vorlage ist ein Fortschritt für euch.»

Die Reform der Altersvorsorge, über die das Volk am 24. September entscheidet, sieht unter anderem höhere Lohnabgaben und Mehrwertsteuern, eine Senkung des Umwandlungssatzes in der zweiten Säule und ein Zustupf von 70AABB22Franken in der AHV vor. Das Frauenalter soll von 64 auf 65 Jahre angehoben werden.

Damian Müller: «Die Fakten sprechen nicht für die Reform»

Die AHV schreibt schon heute rote Zahlen. Auch mit der Reform resultiert laut dem Bund ab 2027 ein Defizit (siehe Grafik). Für Damian Müller sind Bersets Aussagen Augenwischerei. «Auch wenn das Volk Ja sagt, müssen wir in fünf Jahren die nächste Reform aufgleisen, weil die Finanzierung der Altersvorsorge nicht nachhaltig gesichert ist», sagt der 32-jährige Luzerner FDP-Ständerat. Berset habe gemerkt, dass die Fakten nicht für die Reform sprechen würden. «Deshalb flüchtet er sich jetzt in Drohungen», sagt Müller. Man müsse die jetzige Vorlage ablehnen, um den Weg für eine zukunftsweisende Reform zu ebnen. «Drohungen sind immer schlecht, man muss das Volk mit sachlichen Argumenten überzeugen», sagt FDP-Ständerätin Karin Keller-Sutter (SG). Die Sozialpolitikerin hält Bersets Aussage inhaltlich für falsch. «Er hätte sagen müssen, dass das Loch in der AHV wegen des Rentenzuschlags von 70 Franken grösser wird, wenn die Babyboom-Generation das Rentenalter erreicht.» Die jungen Familien würden höhere Abgaben entrichten, ohne dass sie – anders als die Beitragszahler ab 45 Jahren – eine Besitzstandwahrung erhielten. Andri Silberschmidt, Präsident der Jungfreisinnigen, findet derweil, es gehöre sich für einen Bundesrat nicht, Drohungen auszusprechen. «Er muss, egal wie das Abstimmungsergebnis ausfällt, versuchen, das Beste für unser Land herauszuholen.»

Der AHV-Fonds schmilzt weg

Wie beurteilen die Befürworter der Reform Bersets Aussage? Beat Jans ist Basler Nationalrat und SP-Vizepräsident. Im Vorfeld der Abstimmung über die Unternehmenssteuerreform III kritisierte er Maurers Mahnungen scharf. Die SVP kündige immer krassere Sparprogramme an, sagte er gegenüber der «NZZ am Sonntag». Und: «Dies ist nur ein weiterer Erpressungsversuch.» Bei Berset fällt Jans ein ganz anderes Urteil. «Seine Aussagen basieren auf unbestrittenen Berechnungen. Man weiss, dass der AHV-Fonds in wenigen Jahren leer ist, wenn die Reform der Altersvorsorge scheitert», sagt Jans. Dies sei ein entscheidender Unterschied zur Argumentation der Befürworter der USR III. «Deren Drohkulisse fusste auf der Vermutung, Unternehmen würden abwandern und es entstünden deshalb Steuerausfälle in Milliardenhöhe. «Das zu behaupten, war nicht seriös», sagt der SP-Vizepräsident.

Anders als bei der USR III glaubt Jans nicht, dass bei einem Nein zur Altersvorsorge 2020 schnell eine Ersatzlösung parat wäre. «Die Alternative wären tiefere Renten oder ein höheres Rentenalter. Das ist nicht mehrheitsfähig.» Auch der Luzerner Nationalrat Louis Schelbert (Grüne) taxiert Bersets Einschätzungen nicht als Drohung, sondern als Wiedergabe der Realität. «Die junge Generation wird mit der Altersreform nicht benachteiligt, weil die Renten damit länger gesichert sind.»

Laut Berechnungen des Bundes ist der AHV-Fonds (derzeit 44,6 Milliarden Franken) ohne Reform bis 2031 komplett aufgebraucht. Mit den Neuerungen wäre er zu diesem Zeitpunkt mit 53,8 Milliarden Franken ausgestattet. Die Aargauer CVP-Nationalrätin Ruth Humbel findet es richtig, «dass Berset die Risiken eines Neins aufzeigt». Nach 20 Jahren Reformstau brauche es einen Schritt zur ­Sicherung der Altersvorsorge.

Bild: Grafik LZ

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