Zwar steigen die Prämien 2019 moderater als in den Vorjahren. Trotzdem versuchen Parteien, aus dem Thema politisches Kapital zu schlagen.
Im Frühling prognostizierten die Versicherer noch äusserst pessimistisch: Um ganze 4,6 Prozent sollen die Prämien 2019 aufschlagen. Stärker als zuvor. Das langjährige Mittel liegt bei rund 4 Prozent. Am Montag rieben sich wohl so manche verwundert die Augen, als Bundesrat Alain Berset verkündete: Die Prämien aller acht Millionen Versicherten steigen im Schnitt um 1,2 Prozent. So moderat war die Entwicklung seit zehn Jahren nicht mehr.
Zwar hat der Bundesrat die Zahlen etwas beschönigt, indem er heuer die Berechnungsgrundlage geändert hat. Doch darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kosten sich positiver entwickeln als erwartet. Hinzu kommt, dass die Krankenkassen hohe Reserven angehäuft haben und so etwas mehr Spielraum bei den Prämien haben.
Allerdings ruft eine derart moderate Prämienrunde Geister der Vergangenheit hervor. So will den Prognosen niemand so recht trauen. Versicherungsexperte Felix Schneuwly warnt bereits vor «happigen Prämienerhöhungen» in den Folgejahren 2020 und 2021 – sofern der Kostenanstieg nicht nachhaltig gebremst werden könne. Das Jahr 2008 bleibt in schlechter Erinnerung, als auf eine unterdurchschnittliche Erhöhung ein veritabler Prämienschock folgte. 2010 musste der damalige Gesundheitsminister Pascal Couchepin die Prämien um über acht Prozent nach oben korrigieren. Tatsächlich warnten die Versicherer unlängst, die sinkenden Kosten bei den Krankenversicherern als Fakt zu interpretieren. Es gebe wegen der Änderung des Ärztetarifs einen Rückstau bei den Rechnungen. Es sei nur schwer abzuschätzen, wie sich die Kosten bis Ende Jahr noch entwickelten.
Bundesrat Alain Berset will nicht darüber spekulieren, wie nachhaltig diese Entwicklung ist. Er erklärte vor den Medien, das Bundesamt für Gesundheit überwache, wie sich die Kosten in der Grundversicherung entwickeln. Und da zeige sich, dass die vom Bundesrat angeordneten Änderungen des Ärztetarifs Tarmed ihre Wirkung entfalteten. Vor allem habe man nicht feststellen können, dass die Einnahmeeinbussen woanders kompensiert würden, wie das beim ersten Eingriff des Bundesrats der Fall war. Zur Erklärung der Prämienentwicklung verwies Berset auf das Gesetz: «Die Prämien müssen die Kosten decken.»
Alain Berset nimmt den Tarmed-Eingriff auch als Beispiel dafür, dass sich die Politik bewegt: «Das Parlament war entschlossen, die Änderung zu unterstützen.» Dass dabei alle am selben Strang ziehen, sei neu. Tatsächlich ziehen sich die Reformen im Parlament hin. An einer Zulassungssteuerung tüftelt das Parlament seit bald 15 Jahren. Eine breit abgestützte Lösung fiel vor drei Jahren durch. Die Alternative wurde nun auf die lange Bank geschoben, um die Kantone zu Eingeständnissen bei der einheitlichen Finanzierung zu bringen. Ein weiteres Projekt, an dem seit längerem gearbeitet wird. Auch das Qualitätsgesetz hat eine Extrarunde eingelegt. Und Ideen wie eine Gebühr für den Patienten beim Arztbesuch oder eine Erhöhung der Franchisen hat Pascal Couchepin schon vor zehn Jahren vorgeschlagen. Vergebens.
Auch der Bundesrat versucht mit zwei Massnahmenpaketen einen neuen Anlauf, um die Kosten zumindest zu dämpfen. Mehrere hundert Millionen will er mit einem Massnahmenpaket sparen, das er letzte Woche vorgestellt hat. Ein zweites Paket soll in einem Jahr folgen.
Längst sind aber auch die Parteien auf den Gesundheitszug aufgesprungen. Die CVP lanciert Mitte Oktober eine Initiative, die als Kostenbremse im Gesundheitswesen funktionieren soll. Konkret soll der Bundesrat «zwingende Kostenbegrenzungsmassnahmen» ergreifen, sobald die Prämien stärker steigen als ein «noch genauer zu definierenden Indikator» wie beispielsweise die Nominallöhne oder der Preisindex.
Die SP will hingegen eine Initiative ausarbeiten, welche die Prämienlast auf maximal 10 Prozent des Haushaltseinkommens beschränkt und zudem eine Harmonisierung der Prämienverbilligung unter den Kantonen vorsieht.
FDP und SVP arbeiten hingegen an einem Gesundheitspapier. An den Initiativen lassen sie kaum ein gutes Haar. SVP-Nationalrat Heinz Brand sagt: «Die Initiativen enthalten keinen einzigen Lösungsansatz.» Dabei sei bekannt, dass alleine 6 bis 7 Milliarden Franken gespart werden könnten, indem unnötige Ein-griffe unterlassen werden. Brand verspricht deshalb Massnahmen, die «griffig sind, schnell wirken und vor allem inhaltlich auch etwas bringen». Die FDP will sich ebenfalls noch nicht in die Karten schauen lassen, am Freitag will sie das Papier veröffentlichen. FDP-Ständerat Joachim Eder kündigt an, die FDP werde weiterhin seriös prüfen, welche Lösungen etwas taugen, und auf dieser Basis entscheiden. Die Stossrichtung beider Parteien ist absehbar: mehr Eigenverantwortung.
Auch wenn keine Revolutionen zu erwarten sind und Berset sich nicht zu den Initiativen äussern wollte, begrüsst er das Vorgehen. Er stellt nämlich fest: «Die Sensibilität für das Thema hat sich erhöht.» Und das sei wichtig. Denn die Erkenntnis wachse, dass man nicht einfach weiterfahren könne wie bisher.