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Schweiz
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge erhalten im Zuge der Asylreform eine engere Betreuung in den Zentren des Bundes. Wird für sie damit alles gut?
Es bröckelt an der Fassade der «Villa Uma». So nennen Behörden das Basler Wohnheim, das extra eingerichtet wurde für unbegleitete minderjährige Asylbewerber. Sie sind ohne Eltern in die Schweiz geflüchtet und wollen hier Schutz. Für sie hat der Staat eine eigene Bezeichnung, Uma eben.
In der Villa, im Wohnhaus eines ehemaligen Basler Landguts, informierte der Bund am Dienstag über die Pläne, die Kinder und Jugendlichen künftig kindgerechter zu betreuen. Das Haus bietet Platz für 20 Flüchtlingskinder, Mädchen und Jungen werden in zwei Schlafbereichen voneinander getrennt. Es gibt eine kleine Küche, mehrere Aufenthaltsräume mit einem Töggelikasten und Fernseher. Ein Badezimmer für die Mädchen, eines für die Jungen. Die Villa ist das Vorzeigeprojekt des Bundes. Hier und in Zürich hat er seit 2017 in einem Pilotprojekt das neue Unterbringungskonzept für die unbegleiteten Flüchtlingskinder getestet.
Kinder sind keine da an diesem Vormittag, sie werden «aktiv beschäftigt» – eines der Ziele des neuen Konzepts. Im Sechserzimmer der Mädchen ist bloss ein einziges Bett gemacht. Zurzeit sei nur ein einziges Mädchen da, erklärt Unterkunftsleiterin Jessica Maier.
Derzeit wohnen neben dem einen Mädchen neun Jungen in der «Villa Uma». Sie ist damit halb belegt. Das neue Konzept, das ab nächstem Jahr in sämtlichen Bundesasylzentren der Schweiz gilt, sieht eine enge Betreuung vor. Und höhere Anforderungen an das Personal. So sollen primär Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen da sein für die jugendlichen Bewohner. Was heisst das konkret?
Die Organisationen, die im Auftrag des Bundes die Asylsuchenden betreuen – in Basel die private Firma ORS – müssen genügend Sozialpädagogen anstellen, auch um bei steigenden Zahlen die enge Betreuung gewährleisten zu können. Ist die Villa in Basel belegt, dann werden Kinder im selben Gebäude wie die erwachsenen Asylbewerber untergebracht. Aber in extra abgetrennten Schlafsälen, wie der Bund betont. So ist das auch im Testbetrieb Zürich der Fall. Anders als in Basel stehen den Flüchtlingskindern dort auch nicht dauerhaft exklusive Aufenthaltsräume zur Verfügung.
Kritisch beobachtet das Eva Mey. Die Soziologin und Professorin der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften hat das Pilotprojekt untersucht. Zwar sieht sie den Bund damit auf dem richtigen Weg. Trotzdem setzt sie ein paar Fragezeichen. Ihre Untersuchung habe in mehrfacher Hinsicht gezeigt, dass viele unbegleitete Flüchtlingskinder besonders mit der Nacht ihre Mühe hätten. «Bei einer Umfrage meldeten uns die Betreuungspersonen die Abgabe von Schlafmitteln oder Schlafhilfen als extrem verbreitet», sagt Mey.
«Es ist die Illustration eines Problems, das entstehen kann, wenn auf kurzfristige Lösungen gesetzt wird und es nicht gelingt, beim Kind individuell anzusetzen.»
Werden die Flüchtlingskinder also mit Schlafmitteln ruhig gestellt? Nein, sagt Jessica Maier, Leiterin der «Villa Uma». Von den zehn Jugendlichen erhalte derzeit eine einzige Person ein Schlafmittel. Sie leide an Albträumen. Das zuständige Staatssekretariat für Migration schreibt auf Anfrage, in Zürich seien es derzeit etwas mehr als eine Person, die eine «Schlafhilfe» erhielten. Das habe aber vor allem mit der dortigen Hellhörigkeit zu tun. Die Bundesstelle betont, es handle sich meist um nichtrezeptpflichtige Schlafhilfen, also Tees, Globuli und andere pflanzliche Produkte. Rezeptpflichtige Medikamente seien die absolute Ausnahme. Bevor solche verabreicht würden, treffe der kinder- und jugendpsychiatrische Dienst Abklärungen.
Eva Mey kritisiert weiter, die Schnittstellen zwischen Bund und Kantonen seien ungenügend geklärt. Zum Beispiel wenn es zu einer Gefährdungsmeldung komme. Das Problem: Der Kinderschutz ist regional organisiert. Nun sei es zentral, so Mey, dass der Bund eine Aufsichtsstelle schaffe, welche die Kindes- und Altersgerechtigkeit regelmässig überprüfe.
Der Bund versprach gestern, bis zur schweizweiten Einführung des neuen Betreuungskonzepts noch nachzubessern. Auch will er sich von einer Aufsichtsstelle hinter die Fassade ins Innere der Betreuung unbegleiteter Flüchtlingskinder blicken lassen.
Registrierte der Bund im Jahr 2017 noch gut 730 unbegleitete minderjährige Asylbewerber, waren es im vergangenen Jahr nur noch etwas weniger als die Hälfte. Sind sie zwischen 12 und 17 Jahre alt, durchlaufen sie den regulären Asylprozess. Wer jünger ist, landet nicht in einer Einrichtung wie der «Villa Uma» in Basel, sondern bei einer Pflegefamilie. Auch bedingt ein Asylgesuch Urteilsfähigkeit. Das heisst, ein 7-Jähriger (so junge Asylbewerber ohne Eltern bilden die absolute Ausnahme) kann rechtlich gar kein Asylgesuch stellen. Er landet erst später im Asylprozess und wird vorerst ausserhalb der Asylverfahren untergebracht und betreut. Mit dem neuen Asylverfahren, das seit März in Kraft ist, werden die Asylgesuche von unbegleiteten Minderjährigen wie bei den Erwachsenen in einem von sechs Bundesasylzentren geprüft. Die maximale Dauer beträgt 140 Tage. Das Verfahren sei üblicherweise nach 40 bis 50 Tagen abgeschlossen, so der Bund. Bleiben die Kinder und Jugendlichen danach in der Schweiz, sind die Kantone für ihre Betreuung zuständig. (dfu)