Kampf um den Zeitpunkt des Rücktritts: Wie Schneider-Ammann Leuthard düpierte

Nach der abrupten Ankündigung von Johann Schneider-Ammann gab Doris Leuthard ihre Demission früher als geplant bekannt. Sie fühlte sich unter Druck gesetzt.

Henry Habegger
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Der damalige Bundespräsident Johann Schneider-Ammann (Mitte) und Bundesrätin Doris Leuthard mit SBB-CEO Andreas Meyer bei der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels im Dezember 2016 (Bild: KEYSTONE/POOL/Peter Klaunzer)

Der damalige Bundespräsident Johann Schneider-Ammann (Mitte) und Bundesrätin Doris Leuthard mit SBB-CEO Andreas Meyer bei der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels im Dezember 2016 (Bild: KEYSTONE/POOL/Peter Klaunzer)

Sie versuchte am Donnerstag an der Rücktritts-Medienkonferenz gar nicht erst, ihren Ärger zu verbergen. Doris Leuthard fühlt sich von ihrem Kollegen ­Johann Schneider-Ammann, kurz JSA, überrumpelt. «Er hat immer gesagt, er gehe Ende 2019», so die abtretende CVP-Bundesrätin auf eine Journalistenfrage. Und nein, ihr Rücktritt sei nicht mit jenem des FDP-Wirtschaftsministers abgesprochen gewesen.

Die Aargauerin gab aber an, sie hätte eigentlich heute Freitag ihre Demission verkünden wollen. Ihr Rücktrittsschreiben ist denn auch auf heute datiert. Weil aber nach dem abrupten Abgang von Schneider-Ammann die Spekulationen um ihre eigene Zukunft ins Kraut schossen, zog sie die Bekanntgabe um einen Tag vor.

Bereits in den letzten Tagen war von gut informierten Politikern zu erfahren: Leuthard sei aus allen Wolken gefallen, als sie von Schneider-Ammanns Rücktritt erfuhr. «Sie ist sauer, sie fühlt sich unter Druck gesetzt», hiess es. Leuthard waren die Hände gebunden, weil sie sich bei der UNO in New York befand, als ihr Kollege in Bern vor die Medien trat. Dabei, so ­Insider weiter, habe die CVP in den letzten Monaten versucht, mit der FDP ein koordiniertes Vorgehen zu vereinbaren. Ohne Erfolg. CVP-Präsident Gerhard Pfister wollte am Donnerstag nicht sagen, ob dies zutrifft. «No comment», sagte er nur. Was dafür spricht, dass es so war.

Insider reden sogar davon, die Truppe um Schneider-Ammann habe Leuthard bewusst «in die Suppe gespuckt». Demnach realisierte das Umfeld von Schneider-Ammann, dass Leuthard am letzten Freitag der laufenden Session zurücktreten wollte. Wie es sich gebührt an einem Tag also, an dem sowohl das Parlament als auch der Bundesrat in Bern zu Sitzungen zusammenkommen. Sie wollte Bundesversammlung und Regierung gleichermassen persönlich informieren.

Kampf um Aufmerksamkeit

Aber Schneider-Ammann beziehungsweise seinem Umfeld habe die Aussicht, mit Leuthard abzutreten, nicht gefallen. Was nicht weiter erstaunt, denn kein Bundesrat teilt diese letzte grosse öffentliche Würdigung gerne mit anderen. Das JSA-Umfeld habe zudem befürchtet, so meinen einige, dass der bedächtige Grosspapa aus dem Emmental neben der gewandten Strahlefrau aus dem Aargau verblassen würde. Jedenfalls habe sein Umfeld Anfang Woche gezielt durchsickern lassen, dass der Wirtschaftsminister heute Freitag zurücktreten wolle. Ziel sei gewesen, einen Vorwand zu schaffen, um den Rücktritt vorzuverlegen. Was dann auch geschah. Schneider-Ammann trat am Dienstag vor die Medien. Begründung: Die Medien hätten Wind von seinen Plänen bekommen, und er wolle nicht, dass seine Frau eine Woche lang lügen müsse, wenn sie gefragt würde.

«Schneider-Ammann hatte gar nie vor, am Freitag zurückzutreten», behauptet ein bekannter Politiker, der sich auf Insiderinformationen beruft, aber nicht genannt werden will. Dann wäre der Abtritt des ehemaligen Obersten generalstabsmässig inszeniert worden. Dafür spricht: Der Wirtschaftsminister und sein Umfeld reagierten gelassen auf die Indiskretion um seine Rücktrittsplanung. Und: Es ist sehr aussergewöhnlich, dass der Rücktritt eines Bundesrats schon fast eine Woche vorher bekannt wird. In der Regel sickert er einige Stunden vorher durch. Dann, wenn Parteigremien und Bundesratskollegen informiert werden.Genau so, wie es am Donnerstag im Fall Doris Leuthard geschah. Am frühen Vormittag gab es erste konkrete Hinweise, und zwei Stunden später verlas der Nationalratspräsident ihr Rücktrittsschreiben.