STEUERSTREIT: «USA wollen eine möglichst hohe Busse»

Die US-Justizbehörde erhöht im Steuerstreit mit der Credit Suisse den Druck. Für Rechtsexperte Peter V. Kunz ist das jedoch kein Grund zur Sorge.

Vasilije Musturvasilije Mustur
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Der Druck auf die Credit Suisse steigt. Im Bild: ein Gebäude der Bank in New York City. (Bild: Keystone/Martin Ruetschi)

Der Druck auf die Credit Suisse steigt. Im Bild: ein Gebäude der Bank in New York City. (Bild: Keystone/Martin Ruetschi)

Die US-Justizbehörden (DOJ) haben die Credit Suisse ins Visier genommen. Der Vorwurf: Die Schweizer Grossbank soll ihren damaligen US-Kunden Beihilfe zur Steuerhinterziehung geleistet haben. Deshalb fordern die US-Behörden seit drei Jahren die Namen der Steuersünder und zanken sich mit der CS ausserdem über die Höhe der zu bezahlenden Busse – und jetzt scheint sich das Fernduell zuzuspitzen: So machte US-Justizminister Eric Holder in einer Videobotschaft klar, dass sich kein Finanzinstitut «über dem Gesetz» wähnen dürfe. Zudem kündigte Holder in Anspielung auf die «Too big to fail»-Problematik an, dass keine Firma «zu gross für das Gefängnis» sei. Seither wird in den Medien die Höhe der Busse laufend nach oben angepasst. Während die Nachrichtenagentur Reuters erfahren haben will, dass die Busse 1,6 Milliarden US-Dollar betragen wird, gehen andere US-Medien von 3 Milliarden aus. Zum Vergleich: Nach massivem Druck musste der Bundesrat im Februar 2009 in einem ähnlichen Fall mittels Notrecht gegen 250 UBS-Kundendaten an die US-Steuerbehörde IRS übermitteln. Die UBS selbst musste eine Busse in Höhe von 780 Millionen Dollar überweisen. Weder die Credit Suisse noch das Eidgenössische Finanzdepartement wollten sich derweil zu den neusten Medienberichten und zur Videobotschaft des US-Ministers äussern. Rechtsprofessor Peter V. Kunz hingegen erklärt im Gespräch die Strategie der USA.

Peter V. Kunz, ich kann mir nicht helfen, aber ich durchlebe im Steuerstreit mit den USA gerade ein Déjà-vu. Sie auch?

Peter V. Kunz*: In der Tat. Wie die US-Justizbehörde mit der Credit Suisse verfährt, erinnert mich sehr stark an den «Fall UBS» aus den Jahren 2008 und 2009. Es ist offensichtlich: US-Justizminister Eric Holder holt das Drehbuch zum Hollywood-Streifen «UBS» nach fünfjähriger Pause aus der Mottenkiste hervor und plant einen Fortsetzungsfilm.

Die neue Tonalität erstaunt dennoch, zumal Eric Holder im März 2013 öffentlich versicherte, kein Interesse daran zu haben, eine systemrelevante Bank anklagen zu wollen. Wie erklären Sie sich diesen Kurswechsel?

Kunz: Die Drohkulisse, welche das Departement of Justice (DOJ) aufzubauen versucht, beeindruckt mich nicht wirklich. Ich für meinen Teil rate, ruhig Blut zu bewahren und nicht alles zu glauben, was uns die amerikanische Seite weismachen will. Vielmehr gehe ich davon aus, dass die US-Justizbehörde unter massivem innenpolitischem Druck steht und zum Handeln genötigt wurde – insbesondere in verbaler Hinsicht.

Und wie konnte es so weit kommen?

Kunz: Seit der Senatsanhörung der Credit Suisse vom vergangenen Februar weht dem US-Justizminister ein eisiger politischer Wind entgegen. Während das «Verhör» der Credit-Suisse-Spitze für Konzernchef Brady Dougan am Vormittag vergleichsweise human verlief, führten die Senatoren die US-Justizbehörde am Nachmittag vor und schmetterten ihr das Steuerstreit-Dossier um die Ohren. Den Beamten wurde vorgeworfen, viel zu sanft mit den Schweizer Banken umgesprungen zu sein, und für die Zukunft eine schärfere Gangart gefordert. Natürlich ist das DOJ ein juristisches Fachorgan, doch letztlich nichts anderes als eine politische Behörde. Zudem bin ich der Ansicht, dass das DOJ das «Endgame» forcieren will. Das US-Ministerium hat mit der Grossbank fast drei Jahre lang gestritten und ihr dabei stark zugesetzt. Jetzt muss sie das Verfahren in den kommenden Wochen oder Monaten beenden – wenn möglich mit einem Sieg nach Punkten.

Was die Lage für die Credit Suisse umso gefährlicher und unberechenbarer macht.

Kunz: Sicherlich. Wenn die Amerikaner in der Auseinandersetzung mit der Schweiz jedoch eines gelernt haben, dann dies: Je grösser die juristische Drohkulisse, desto schneller geben wir nach, willigen in höhere Bussen für die Banken ein und nehmen sogar einen Bruch der eigenen Rechtsordnung in Kauf. Ich war schon vor fünf Jahren davon überzeugt, dass die UBS nicht angeklagt worden wäre und bin es auch jetzt im Falle der Credit Suisse. Das US-Justizministerium wird keine Klage gegen den Konzern erheben.

Weshalb hat die Credit Suisse dann letzten Dezember die Tochtergesellschaft CS International Advisors AG gegründet (siehe Kasten)?

Kunz: Zunächst einmal müssen wir festhalten, dass die CS noch nicht bestätigt hat, dass diese Tochterfirma als Sündenbock herhalten muss, sollte das US-Justizministerium Strafklage erheben. Nichtsdestotrotz denke ich, dass die Tochterfirma im Sinne einer Vorsorgeplanung gegründet wurde, sollten die USA ernst machen. Auf diese Tochtergesellschaft könnte die Credit Suisse auch das geforderte Schuldeingeständnis abschieben.

Warum ist die Frage der Schuldanerkennung denn so brisant?

Kunz: Müsste sich die CS-Muttergesellschaft schuldig bekennen, würden den Tochtergesellschaften in den USA die Bankenlizenzen entzogen, die US-Notenbank Fed würde die Bank aus dem Dollar-Clearing ausschliessen, und die Credit Suisse würde folglich keine Korrespondenzbank mehr finden, um in den Vereinigten Staaten Banktransaktionen durchführen zu können – und dies würde allenfalls in einem Bankenrun auf die Credit Suisse enden. Unter Umständen wären bei diesem Szenario 15 000 Jobs in den USA in Gefahr.

Darum also die Argumentationslinie der CS, dass gerade einmal 10 bis 15 Leute für den Steuerstreit verantwortlich sein sollen.

Kunz: Ich weiss nicht, wie viele Mitarbeiter in die Affäre verwickelt waren, und will auch nicht spekulieren. Allerdings finde ich es seltsam, dass es 15 Banker braucht, um solch eine wirtschaftspolitische Krise auszulösen. Aus juristischer Sicht bleibt festzuhalten, dass es keine Beweise dafür gibt, dass die Credit Suisse ihren US-Kunden bei der Steuerhinterziehung systematisch geholfen haben könnte.

Wenn die USA nicht klagen wollen, was wollen sie dann?

Kunz: Die USA verlangen, dass die Schweizer Banken die US-Steuersünder beim Namen nennen. Die Amerikaner wissen gleichzeitig, dass die Schweiz und die Credit Suisse diese Kundendaten nicht ohne weiteres liefern können. Im laufenden Bankenprogramm des DOJ wurde für die Gruppe 2 (siehe Grafik) ausdrücklich festgehalten, dass die US-Steuer- und -Justizbehörden lediglich auf dem Weg regulärer Amtshilfeverfahren Bankkundendaten erhalten. Überdies sind sich die USA darüber im Klaren, dass Schweizer Finanzhäuser der Kategorie 1 Daten nur dann herausgeben können, wenn sie Schweizer Recht verletzen – und dieser Vorgang wäre mit Hilfe des Bundesrates oder der Finanzmarktaufsicht Finma mit Hilfe der Nothilfe möglich. In diesem Zusammenhang kann ich nachvollziehen, dass die CS den Bundesrat dazu drängt, diesen Weg zu beschreiten. Aus juristischer Sicht ist das unmöglich, weil keine Notsituation gegeben ist.

Mit Verlaub: Das Verständnis der USA für unser Rechtssystem hielt sich in den letzten Jahren in Grenzen. Müsste die Credit Suisse ihr Schicksal nicht in die eigenen Hände nehmen?

Kunz: Die Interessenlage der USA hat sich in den letzten fünf Jahren von Kundendaten hin zu hohen Geldstrafen verschoben. Sie müssen sehen: Im Nachgang des «Falls UBS» hat die US-Steuerbehörde IRS eine Welle von Selbstanzeigen erfahren. Die Amerikaner sitzen auf vielen Kundendaten. Dass Credit-Suisse-Präsident Urs Rohner mit einem Koffer voller Kundendaten in ein Flugzeug steigt, um Schweizer Recht zu brechen, halte ich somit für ausgeschlossen. Die USA haben primär ein Interesse, eine möglichst hohe Busse aus der Credit Suisse herauszupressen.

Warum?

Kunz: Weil es für die Schweizer Banken der Kategorie 2 eine klare mathematische Formel gibt, wissen die Institute, wie hoch die Bussen im Extremfall ausfallen werden. Bei der Kategorie 1 ist dies nicht der Fall. Somit würde sich bei einer höheren Busse gegen die Credit Suisse die Berechnungsgrundlage für die übrigen Banken der Kategorie 1 – etwa ZKB oder Julius Bär – vermutlich erhöhen.

Die Credit Suisse hat Rückstellungen in Höhe von 890 Millionen Franken bereitgestellt. Reicht dieser Betrag?

Kunz: Ich wäre überrascht, wenn die Busse die Milliardengrenze nicht überschreiten würde. Die UBS ist mit einer Busse von 780 Millionen Dollar gerade deshalb glimpflich davongekommen, weil sie sich in wirtschaftlicher Schieflage befand. Davon kann bei der Credit Suisse keine Rede sein. Heute würde es wohl auch für die UBS teurer als vor fünf Jahren.

Hinweis

*Peter V. Kunz (49) ist Wirtschaftsrechtsprofessor an der Universität Bern.