Gegen Ende des Nutztierlebens wird das Tierwohl nicht überall gleich grossgeschrieben: Das bestätigt neuerdings der Bund. Probleme machen nicht etwa die grossen Schlachtbetriebe. Und Bio garantiert noch gar nichts.
Die ersten schockierenden Bilder aus dem Inneren eines Schlachthauses sind kurz vor Weihnachten nach aussen gedrungen. Die Westschweizer Tierschutzorganisation Pour l’Égalité Animale (PEA) stellte vor anderthalb Jahren ein Video aus Avenches ins Netz. Dann folgten Aufnahmen aus Moudon, ebenfalls einem Waadtländer Städtchen, aus Martigny im Kanton Wallis sowie diese Woche aus dem Schlachthof im Neuenburger Dorf Les Ponts-de-Martel. Darauf ist zu sehen, wie Tiere malträtiert werden, wenn ihre letzte Stunde schlägt. Ein junges Rind etwa, das am Schwanz gezerrt wird, oder ein Schwein, welches zappelt und ausschlägt und offensichtlich bei Bewusstsein ist, während ihm die Kehle aufgeschnitten wird.
Die Videos aus den vier Schlachthöfen führten zu drei Strafanzeigen und werfen die Frage auf, wie weit verbreitet solche Missstände sind. Das wollen auch die Behörden wissen: Bereits vor Veröffentlichung der PEA-Videos versuchten das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) sowie die für den Vollzug des Tierschutzgesetzes zuständigen Kantone herauszufinden, «ob es sich bei allfälligen Verstössen gegen die Vorschriften um Einzelfälle oder um systemische Mängel handelt», wie der Bundesrat in der Antwort auf die Interpellation des Obwaldner CSP-Nationalrats Karl Vogler schreibt.
Die Bundeseinheit für die Lebensmittelkette habe deshalb zwischen Mai 2018 und März 2019 Kontrollen in Schlachtbetrieben durchgeführt. Dabei habe sich gezeigt, «dass in verschiedenen Betrieben Mängel vorhanden sind, aber nur wenige schwerwiegende Verstösse gegen die Tierschutzvorschriften angetroffen wurden». Wo nötig, seien Massnahmen verfügt und Strafanzeigen eingereicht worden. Die Ressourcen in den einzelnen Kantonen seien sehr unterschiedlich und nicht immer genügend, wird in der bundesrätlichen Antwort ausgeführt. Und dass voraussichtlich im Herbst ein Bericht publiziert werde.
Eine Nachfrage beim BLV bringt auch nicht mehr Fleisch an den Knochen. Es seien 67 Betriebe untersucht worden, wobei es sich aber nicht um eigentliche Kontrollen gehandelt habe, sondern um Audits, die zuvor angemeldet worden seien. Für Strafanzeigen seien die Kantone zuständig. Immerhin ist inoffiziell zu erfahren, dass vor allem in den kleineren und mittleren Schlachtbetrieben Mängel aufgetaucht sind – nicht in den grossen Anlagen, in denen über 90 Prozent der Tiere geschlachtet werden. Letztere werden besser überwacht, und das Personal ist im Allgemeinen besser ausgebildet.
Das deckt sich mit den Vermutungen des Schweizer Tierschutzes (STS). In kleineren und mittleren Schlachtbetrieben seien die Anlagen oft deutlich älter und das Personal weniger gut geschult, sagt Cesare Sciarra, der beim STS für Nutztiere zuständig ist:
«Wir gehen davon aus, dass da die Situation schlechter ist – anderseits können kleine Betriebe aber auch schneller reagieren.»
Ähnlich tönt es bei der Stiftung für das Tier im Recht: «Die Vorstellung der Gesellschaft, in kleinen Schlachthöfen sei alles besser, wird durch solche Videoaufnahmen klar widerlegt», sagt die stellvertretende Geschäftsleiterin Christine Künzli.
Eigentlich schreiben die Gesetze vor, dass eine Schlachtung möglichst schonend vorzunehmen sei. Das ist etwa nicht der Fall, wenn der Boden glitschig ist und das Tier immer wieder ausrutscht, in Panik gerät und eingefangen werden muss, oder wenn das Betäubungsgerät nicht funktioniert und kein Ersatz greifbar ist, sodass das Rind, Schaf oder Schwein vor seinem Tod Todesängste auszustehen hat.
Die Hoffnung, dass es in der Deutschschweiz weniger Probleme gebe, machen die Tierschutz-Fachleute zunichte. Der STS geht gemäss Sciarra davon aus, dass die Situation diesseits der Saane gleich ist wie in der Romandie. Nur gibt es da keine Aufnahmen, weil keine Tierschützer illegalerweise in Schlachthöfen filmen. Zumindest ist bisher nichts davon bekannt.
Bei Biofleisch besteht ebenfalls keine Garantie, dass das Tier am Ende seines Lebens nicht unnötig leiden musste – denn das Label bezieht sich auf die Haltung, nicht auf die Schlachtung, die ausserhalb des Hofs vorgenommen wird. Immerhin ist das Problem erkannt: Seit diesem Jahr überprüft der STS zusammen mit Biosuisse und Demeter die einschlägigen mittelgrossen Schlachtbetriebe. «Das war auch dringend nötig», sagt Sciarra.
Die ganze Branche sei gefordert, findet Vogler:
«Wenn sie nicht will, dass der Fleischkonsum weiter sinkt, muss sie etwas unternehmen.»
Doch der Schweizer Fleisch-Fachverband (SFF), dem geschätzte 300 bis 400 Schlachtbetriebe angehören, spielt den Ball an die Behörden weiter: «Es ist nicht unsere Aufgabe, unsere Mitglieder vor Ort zu kontrollieren», sagt SFF-Direktor Ruedi Hadorn. Untätig bleibe man aber nicht. Wenn man von Verstössen gegen das Tierschutzgesetz erfahre, was in den letzten Jahren «in Einzelfällen» geschehen sei, schliesse man das fehlbare Mitglied aus. «Für schwarze Schafe gilt für uns klar Nulltoleranz», so Hadorn.
Wer Schweizer Fleisch kaufe, müsse die Gewissheit haben, dass die Tiere vom Anfang bis zum Ende anständig behandelt wurden, sagt Vogler, «dass sie nicht nur artgerecht gehalten, sondern auch möglichst schonend geschlachtet werden». Doch das ist erst möglich, wenn die Veterinärämter in den Kantonen über genügend Mittel verfügen, um alle Schlachtbetriebe zu kontrollieren. Wenigstens ausserhalb dieser kann der CSP-Nationalrat einen Erfolg verbuchen: Dank einem früheren Vorstoss von ihm dürfen Bauern, die ihre Tiere fachmännisch auf dem eigenen Hof schlachten lassen und danach verkaufen wollen, dies künftig auch tun. Die Verordnungen werden zurzeit geändert.