UMFRAGE: Seelsorger: «Es wird ein Kampf»

Die Schweizer Bischofskonferenz hat von den Katholiken deutliche Antworten erhalten. Ob die Kirche nun aber ihre Lehre anpasst, ist laut dem liberalen Seelsorger Markus Heil völlig offen.

Interview Lukas Scharpf
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Markus Heil, Leiter Pfarrei-Initiative: «Unser aller Bemühen ist aber, dass die Kirche nicht in der Mitte, sondern am Rand reisst.» (Bild: Boris Bürgisser / Neue LZ)

Markus Heil, Leiter Pfarrei-Initiative: «Unser aller Bemühen ist aber, dass die Kirche nicht in der Mitte, sondern am Rand reisst.» (Bild: Boris Bürgisser / Neue LZ)

Markus Heil, Sie sind Leiter der Pfarrei-Initiative, die zum Ungehorsam gegen unrealistische Vorgaben der katholischen Kirche aufruft. Die Antworten auf die Umfrage der Schweizer Bischöfe zeigt nun, wie gross die Kluft zwischen Gläubigen und Kirche vor allem in Fragen der Ehe, der Sexualität und der Verhütung ist. Das ist Wasser auf Ihre Mühlen.

Markus Heil*: Ja. Es ist sehr erfreulich, dass die Bischöfe den Mut hatten, die Umfrage so breit anzulegen, und nun auch den Mut hatten, die Ergebnisse so offen zu publizieren. Damit haben sie viel Vertrauen geschaffen.

Haben Sie mit weniger Transparenz und Selbstkritik gerechnet?

Heil: Weltweit haben moderne Katholiken befürchtet, dass die Ergebnisse nur stark gefiltert an die Öffentlichkeit gelangen.

Der konservative Bischof in Chur, Vitus Huonder, hat als einziger der Schweizer Bischöfe bereits vor einem Monat eine eigene Stellungnahme zur Umfrage in seinem Bistum veröffentlicht. Seine Interpretation ist das pure Gegenteil zu den selbstkritischen Aussagen der Bischofskonferenz. Er will, dass nur die Gläubigen sich der Kirche anpassen, und nicht umgekehrt. Wie bewerten Sie sein Vorgehen?

Heil: Vitus Huonder hat seine Stellungnahme zwar auf die Umfrage bezogen, aber keine Fakten oder Zahlen daraus verwendet, um seine Schlüsse zu stützen. Es war eine Repetition seiner längst bekannten Meinung zum Umgang mit Geschiedenen, Homosexuellen und so weiter. Das hätte er sich auch schenken können.

90 Prozent der Katholiken wollen, dass wiederverheiratete Geschiedene die Sakramente empfangen dürfen. Wie will man in Rom einen gemeinsamen Nenner für die Gegensätze zwischen erzkonservativen und liberalen Positionen finden?

Heil: Man kann nicht jede Gegensätzlichkeit auflösen. Es ist ein gemeinsames Ringen. Es wird ein Kampf. Durch die Kirchengeschichte hindurch gab es Spannungen und Auseinandersetzungen und leider auch Abspaltungen.

Rechnen Sie denn mit einer Spaltung?

Heil: Man kann schon lange auf konservativen katholischen Webseiten lesen: «Dieser Papst ruiniert die Kirche.» Die ersten Risse sind sichtbar. Ich denke, man muss damit rechnen. Unser aller Bemühen ist aber, dass die Kirche nicht in der Mitte, sondern am Rand reisst.

Das klingt nicht optimistisch.

Heil: Ich glaube, dass Bereinigungen nach rechts und links in der Kirche immer stattfinden. Aber wir dürfen auch keine Angst schüren. Viele Konservative zeichnen das Gespenst der Kirchenspaltung an die Wand und fordern, dass man deswegen nichts verändert.

Mit ihren Antworten auf die Umfrage werden viele Katholiken auch die Hoffnung verbunden haben, dass sich nun etwas bewegt. Was ist Ihre Prognose?

Heil: Ich bin vorsichtig optimistisch. Wenn es Veränderungen gibt, dann jetzt und mit diesem Papst. Wir haben im letzten Jahr viele Zeichen von ihm gesehen und gehört, die Mut machen. Gleichzeitig aber traf er keinen einzigen Beschluss, bei dem wir konkrete Veränderungen feststellen konnten. Er hat noch keine neuen Beschlüsse gefasst oder herrschende Dogmen präzisiert. Wir warten weiterhin.

Obwohl mit Papst Franziskus ein neuer Wind zu wehen scheint, ist also noch nichts entschieden.

Heil: Die Frage, wie man auf den Befund dieser Umfragen reagiert, ist offen. Man kann auch so entscheiden wie Vitus Huonder und zum Schluss kommen, dass die Gläubigen sich wieder der Kirche anpassen müssen. Wir modernen Katholiken sollten nicht meinen, dass jetzt alles nach unserer Pfeife tanzt. Es kann Enttäuschungen geben. Aber ich glaube, Papst Franziskus war sich bewusst, was er mit dem Aufruf zu einer Umfrage bei den Katholiken ernten wird.

Bei welchen Punkten halten Sie Veränderungen für wahrscheinlich?

Heil: Beim Umgang mit Geschiedenen wird bereits heute im Vatikan sehr transparent gestritten. Da ist die Schlacht also bereits eröffnet, und ich denke, in diesem Punkt wird es am ehesten eine Anpassung geben. Ich glaube, bei der Frage der künstlichen Empfängnisverhütung und der Sexualmoral der Kirche ist die Zeit ebenfalls reif für eine Veränderung. Bei der Akzeptanz von Homosexuellen sind wir im Vergleich einige Schritte zurück. Aber auch diese Diskussion wurde bereits vom Papst persönlich eröffnet. Ich hoffe, dass Franziskus mit uns zusammen die richtigen Schlüsse aus dieser Umfrage zieht. Das wird ein spannender Prozess.

Der Präsident der Bischofskonferenz, Markus Büchel, kann sich regionale Anpassungen der Lehre vorstellen, um auf die Befindlichkeit in verschiedenen Kulturkreisen Rücksicht zu nehmen.

Heil: Das würde mich freuen. Regionale Lösungen würden enorm helfen. Zu sagen, Katholizismus muss überall gleich sein, ist ein Hemmschuh, um mit der Realität vor Ort Schritt zu halten.

Für wie gross halten Sie die Unterstützung in der Schweiz für eine sehr konservative katholische Kirche?

Heil: Die Leserbrief-Reaktionen auf den Vorstoss von Vitus Huonder zur Genderfrage, zu Homosexuellen und Geschiedenen zeigen, dass durchaus Rückhalt da ist. Ich würde die Gefolgschaft Huonders auf etwa 10 Prozent der Schweizer Katholiken schätzen, was ordentlich ist.

Die Pfarrei-Initiative beteiligt sich am ebenfalls gestern lancierten Aufruf zur Absetzung von Bischof Huonder (siehe Box). Wieso gerade jetzt?

Heil: Es kann so einfach nicht weiter­gehen. Zumal Bischof Vitus Huonder die mediale Wahrnehmung der Kirche massgeblich dominiert.

Hinweis

* Markus Heil (47) ist Seelsorger der Kirchgemeinde Balsthal. Zuvor war er Diakon und Gemeindeleiter in Sursee. Er leitet die Pfarrei- Initiative, die Reformen in der katholischen Kirche verlangt.