UNFÄLLE: Gefährliche Tendenzen abseits der Piste

Schneesportler ziehen sich immer wieder schwerste Verletzungen zu – so jüngst auch Michael Schumacher. Mitschuld haben die immer besseren Ski, ist der Fachmann überzeugt.

Aleksandra Mladenovic
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Ob auf oder abseits der Piste: Mit Helm fährt man in jedem Fall sicherer. (Bild: Roger Gruetter / Neue LZ)

Ob auf oder abseits der Piste: Mit Helm fährt man in jedem Fall sicherer. (Bild: Roger Gruetter / Neue LZ)

Es war ein grosser Schock: die Nachricht von Michael Schumachers (44) Skiunfall (siehe Kasten). Sogar die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel liess mitteilen, sie sei «ausserordentlich bestürzt». Schumacher war abseits der Piste unterwegs – genau wie der niederländische Prinz Johan Friso († 44), der im Februar 2012 in Österreich von einer Lawine verschüttet wurde und nach anderthalb Jahren im Koma starb.

Ausrüstung lockt von der Piste weg

Ob das Skifahren tatsächlich gefährlicher geworden ist, lässt sich anhand statistischer Daten kaum auswerten. Allerdings stellt Carlo Danioth, Pistenchef in Andermatt, gefährliche Tendenzen fest. «Im Vergleich zu vor 15 Jahren sind die Leute viel häufiger abseits der Piste unterwegs.» Anfangs seien dies vor allem Snowboardfahrer gewesen. «Wer früher mit den schmalen Ski abseits der Piste fahren konnte, hatte bereits viel Erfahrung und wusste Bescheid um die Gefahren. Die neuen Ski haben das Fahrverhalten stark verändert», ist Danioth überzeugt. So sei es viel einfacher mit den heutigen Carving-Ski, Auftrieb im lockeren Schnee zu erhalten, was auch weniger erfahrene Skifahrer auf Routen abseits der Piste locke.

Mit 60 Sachen unterwegs

«Die Leute denken zudem, sie könnten sich gleich am ersten Tag auf den Ski so bewegen wie Ende der letzten Saison», fügt Danioth an. Dies sei gefährlich. «Die dicke Schneeunterlage fehlt noch. Steine sind zum Teil nur knapp vom Neuschnee bedeckt, gleichzeitig aber nicht sichtbar», erklärt er weiter. Das habe seiner Erfahrung nach in den letzten Jahren ebenfalls dazu beigetragen, dass es öfter zu schwer wiegenden Unfällen abseits der Piste gekommen sei – auch weil die Leute mit viel höherem Tempo unterwegs seien.

Das bestätigt auch Samuli Aegerter, Kampagnenleiter Schneesport bei der Suva. Nicht nur werde die Ausrüstung immer besser, auch die Pisten seien immer besser präpariert. «Dass die Knochenbrüche bei Schneesportunfällen zugenommen haben, weist darauf hin, dass das Tempo zugenommen hat», sagt er. So betrage der Durchschnitt der gemessenen Höchstgeschwindigkeiten von Skifahrern rund 60 Stundenkilometer. Die Messungen basieren auf Daten, die die Suva über die Handy-App «Slope Track» seit 2010 gesammelt hat. Inzwischen nutzen rund 180 000 Schneesportler diese App, die einem unter anderem entsprechend der eigenen Geschwindigkeit Tipps fürs Fahren gibt.

«Viele sind sich nicht bewusst, welche Auswirkungen ein Sturz bei solchen Geschwindigkeiten haben kann», sagt Aegerter und zieht den Vergleich zu einem fahrenden Auto: «Hier ist man bei einem Unfall durch eine Knautschzone, den Gurt und einen Airbag geschützt. Beim Skifahren bestenfalls durch einen Helm.» Gleichzeitig betrage der Reaktionsweg bei 60 Stundenkilometern 15 Meter. «Fährt jemand plötzlich in den Weg, könnte dies einem zum Verhängnis werden», so Aegerter.

Falsche Sicherheit mit Helm?

Dennoch sagt Pistenchef Danioth: «Eigentlich passieren vergleichsweise wenige Unfälle, was den Schneesportlern auch zugutegehalten werden muss.» Das zeigt auch die Helmtragquote, die die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) erhebt (siehe Grafik). Umso mehr überrascht es, dass bei den erfassten Unfällen in den letzten Jahren prozentual immer noch in etwa gleich viele Schneesportler eine Schädel- oder Hirnverletzung erleiden. Wägt einen der Helm also in falscher Sicherheit? BfU-Sprecher Daniel Menna ist vom Gegenteil überzeugt. «Die Theorie, dass man mit einer Schutzausrüstung grössere Risiken eingeht, gilt als widerlegt. Zudem lassen sich die Zahlen nicht vergleichen.» Er verweist darauf, dass sich die Verletzungsart prozentual auf die Gesamtzahl der Unfälle und nicht auf die Gesamtzahl der Schneesportler beträgt. «Ein Helm bringt tatsächlich eine grössere Sicherheit», sagt Menna.

Die Leute hätten Angst vor der Kollision mit anderen Schneesportlern, was unnötig sei. «Neun von zehn Schneesportunfällen sind selbst verschuldet», erklärt Menna und rät:

  • Man soll das Fahrtempo immer den eigenen Fähigkeiten anpassen und bei Müdigkeitserscheinungen grosse Vorsicht walten lassen.
  • Die Skibindungen sollten jedes Jahr von einem Spezialisten wieder richtig eingestellt werden.
  • Man soll den Helm aufgrund der Abnützung des Materials spätestens alle fünf Jahre ersetzen.
  • Und man soll sich die Regeln des Internationalen Skiverbands (FIS-Regeln) zu Gemüte führen und immer befolgen (siehe Bonus).