Deutschland will mit einer Maut die ausländischen Autofahrer zur Kasse bitten. Auch der Bundesrat zieht das umstrittene System in Erwägung.
Die Sprüche gehen Alexander Dobrindt (CSU) leicht über die Lippen. Die Grünen qualifiziert der neue deutsche Verkehrsminister zum Beispiel als «politischen Arm von Krawallmachern, Steinewerfern und Brandstiftern» ab. SPD-Chef Sigmar Gabriel verhöhnte er unlängst als «übergewichtig und unfähig». Sein eigenes Können kann Dobrindt nun in einem wichtigen Punkt des Koalitionsvertrags gleich selber beweisen. Der 43-jährige ehemalige CSU-Generalsekretär muss die Quadratur des Kreises vollbringen: Die Einführung einer Maut in Deutschland, also einer Autobahnvignette, die einheimische Autofahrer nicht zusätzlich schröpft, gleichzeitig aber auch nicht ausländische Lenker gegenüber den Deutschen benachteiligt.
Klar ist bis jetzt nur, dass die Grosse Koalition (CDU, CSU, SPD) im nächsten Jahr ein entsprechendes Gesetz verabschieden will – und bei der PKW-Maut für Ausländer vermutlich zu einem Trick greifen muss. Demnach sollen sich zwar auch die deutschen Automobilisten eine Vignette an die Frontscheibe kleben. Den Betrag, den sie dafür entrichten, können sie aber an die Motorfahrzeugsteuer anrechnen. Sollte eine Vignette zum Beispiel 100 Euro pro Jahr kosten, müssten die Deutschen einfach 100 Euro weniger Motorfahrzeugsteuer abliefern.
Österreich und die Niederlande wittern in diesem Konstrukt eine Diskriminierung von Ausländern. Das EU-Recht verbietet Derartiges. Bereits haben Wien und Amsterdam mit Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof gedroht.
Nichtsdestotrotz kann sich der Bundesrat vorstellen, ein Maut-System nach deutschem Vorbild auch in der Schweiz zu installieren. In einer schriftlich nachgereichten, bis jetzt unbeachteten Antwort zur Fragestunde des Nationalrats lässt Verkehrsministerin Doris Leuthard (CVP) ausrichten, der Bundesrat werde eine solche Massnahme prüfen – falls sich herausstelle, dass Deutschland die Maut EU-kompatibel einführen könne. Mit anderen Worten: Die Landesregierung macht sich Gedanken, inwiefern sie ausländische Autofahrer stärker zur Kasse bitten kann. Die Voraussetzung: Dobrindt schafft das Kunststück, eine Brüssel-konforme Maut zu erfinden.
Leuthards Pressesprecherin Annetta Bundi mag «den bisher gemachten Ausführungen nichts» beifügen. Bald aber wird sich die CVP-Magistratin detaillierter zum Thema «differenzierte Vignette für Ausländer» äussern müssen. Der Nidwaldner SVP-Nationalrat Peter Keller freut sich zwar, dass der Bundesrat einer solchen Idee grundsätzlich positiv gegenüberstehe. Nicht nachvollziehen kann er, dass der Bundesrat zuerst abwarten will, ob die EU die deutsche Variante schluckt. «Das ist eine unverständliche, mutlose Haltung», sagt er.
In einem kürzlich eingereichten Vorstoss will er deshalb wissen, weshalb die Schweiz als souveräner Staat und EU-Nichtmitglied ihr weiteres Vorgehen von Brüssel abhängig mache. In der Interpellation fragt Keller zudem, wie der Bundesrat einen höheren Vignettenpreis für inländische Autofahrer kompensieren könnte. Ob dies etwa mittels tieferer Motorfahrzeugsteuer oder anderweitig geschehen soll, sei Sache des Bundesrats.
Konkret liebäugelt Keller mit folgendem Modell: Die in der Schweiz wohnhaften und die ausländischen Autofahrer blättern für eine Vignette beide 100 Franken hin. Den inländischen Autofahrern wird die Differenz zur heute 40 Franken teuren Vignette über einen noch zu definierenden Kanal zurückerstattet. Denn schliesslich hat das Volk erst am 24. November einen höheren Vignettenpreis abgeschmettert. Geht es nach Keller, müssen unter dem Strich einfach ausländische Automobilisten die Schweizer Strassen stärker mitfinanzieren. Von 361 Millionen Franken Vignettengelder letztes Jahr steuerten sie 132 Millionen bei. Müssten die ausländischen Autofahrer plötzlich 100 anstatt 40 Franken bezahlen, würde deren Beitrag auf rund 330 Millionen Franken anwachsen.
Allerdings stellt sich die Frage, ob diese Zusatzeinnahmen durch die Kompensationsmassnahmen bei inländischen Autofahrern nicht wieder weggefressen würden. Dies gibt etwa der Luzerner FDP-Ständerat Georges Theiler, Mitglied der Verkehrskommission, zu bedenken. Er zweifelt, ob ein deutsches Maut-System für die Schweiz wirklich das Ei des Kolumbus wäre. Solche Gedankenspiele änderten nichts am Fakt, dass nach dem Nein zur Preiserhöhung bei der Vignette Geld für den Strassenausbau fehle. «Zudem glaube ich nicht, dass die EU dieses Modell akzeptieren wird», sagt er. Das Gegenteil beweisen könnte in dieser Frage vorerst Sprücheklopfer Alexander Dobrindt.