Die Bahnbehörde verweigert den neuen Fernverkehrsdoppelstockzügen der SBB bisher die Bewilligung für Passagierfahrten. Für Hersteller Bombardier und Bahnchef Andreas Meyer steht viel auf dem Spiel.
Tobias Gafafer
Eigentlich sollten die ersten Exemplare seit Ende 2013 zwischen Genf und St. Gallen fahren. Doch die Ablieferung der 62 Fernverkehrsdoppelstockzüge für die SBB hat sich immer wieder verzögert. Letztes Ziel des Herstellers Bombardier und der SBB war, dass die ersten Triebzüge nun ab diesem Jahr zum Einsatz kommen. Doch bis heute fehlt die nötige Zulassung des Bundesamts für Verkehr (BAV), wie Sprecher Gregor Saladin auf Anfrage bestätigt. Dafür brauche es noch Sicherheitsnachweise. Bombardier führt seit einem Jahr Test- und Versuchsfahrten durch, primär im Raum Winterthur–Schaffhausen. «Die Bewilligung gilt nur für diese und nicht für den kommerziellen Einsatz», sagt Saladin.
Damit bleibt fraglich, ob die SBB die Triebzüge tatsächlich wie geplant verwenden können. Zumal die Bahnen neues Rollmaterial selbst mit der amtlichen Zulassung jeweils zuerst probeweise für einzelne Personenzüge einsetzen, da diese noch nicht die Tauglichkeit im Betrieb garantiert. Die Rhätische Bahn etwa tat dies mit den neuen Kompositionen für die Albulastrecke während Monaten, bevor sie diese fahrplanmässig einsetzte.
Im Vergleich ist der SBB-Fernverkehrszug eine viel komplexere Neuentwicklung, die unter anderem über eine sogenannte Wankkompensation verfügt, die schnellere Kurvenfahrten ermöglichen soll. Bei einem Doppelstockzug wirken dabei extreme Kräfte auf die Gleise, die Anforderungen bezüglich Sicherheit und Passagierkomfort sind hoch. Schon bei der Zulassung der Neigezüge des Typs ETR 610 für die Gotthardstrecke kam es vor einigen Jahren zu Problemen. Je mehr neue Technik ein Zug enthält, desto anspruchsvoller ist die Bewilligung.
Die SBB sind dabei kein Einzelfall: Siemens erhielt die Zulassung für die neuen ICE-Züge der Deutschen Bahn 2013 erst mit zwei Jahren Verspätung.
Laut Stéphane Wettstein, dem Geschäftsführer vom Bombardier Schweiz, funktioniert die Wankkompensation aber wie geplant. Probleme seien dagegen beim automatischen Zugsicherungssystem ETCS möglich. Bombardier stehe in engem Kontakt mit dem Systemführer und den Behörden, um diese zu erkennen und auszuräumen. Trotz grosser Verspätung gibt er sich zuversichtlich: «Der Zulassungs- und Testprozess verläuft planmässig.» Davon seien 60 Prozent abgeschlossen, eine Bewilligung für den kommerziellen Betrieb sei bis Mitte Jahr realistisch. Bombardier sei in der Lage, den SBB bis Ende 2017 23 Triebzüge zur Verfügung zu stellen. Es ist im Interesse des Herstellers, das Rollmaterial zu übergeben, da bei einer neuen Verspätung Konventionalstrafen und Schadenersatzforderungen der SBB drohen.
Im Gegensatz zu Bombardier will sich die Bewilligungsbehörde nicht aus dem Fenster lehnen: Es liege nicht im Einflussbereich des BAV, ob die notwendigen Sicherheitsnachweise erfolgreich erbracht werden, heisst es. Auch die SBB sind nach der Pannenserie zurückhaltender. Eine Zulassung der Züge bis im Sommer sei zwar möglich, auch wenn mit Kinderkrankheiten zu rechnen sei. Die SBB würden aber nur ausgereifte Fahrzeugen für den Betrieb übernehmen. «Es gibt keine Experimente mit Kunden.» Bahnchef Andreas Meyer zweifelte im Dezember wegen Softwareproblemen, dass die Züge noch dieses Jahr fahren, wie er der «Rundschau» sagte. Für ihn geht es um viel: Scheitern die SBB mit der grössten Beschaffung ihrer Geschichte, dürfte Meyer politisch unter Druck kommen. Und die Kunden müssten noch länger auf moderne Züge wartenAABB22– und zu Stosszeiten auf die benötigten zusätzlichen Sitzplätze.
Unterdessen macht die Firma Stadler Rail von Peter Spuhler, der bei der Vergabe des Grossauftrags 2010 gegen Bombardier eine Niederlage einstecken musste, vorwärts. Bereits im Mai will dieser den ersten der 2014 bestellten Giruno-Züge für den Nord-Süd-Verkehr an die SBB übergeben. An einer Messe sparten Spuhler und Meyer im letzten Herbst nicht mit Seitenhieben, wie das Fachblatt «Schweizer Eisenbahn-Revue» rapportierte. Andere Rollmaterialprojekte liefen nicht so unproblematisch wie jenes von Stadler ab.