WIRTSCHAFTSSTANDORT: Mitten im Zahlensturm

Der Abstimmungskampf um die Reform der Firmensteuern spitzt sich zu. Diese Woche haben Befürworter und Gegner versucht, mit neuen Zahlen und düsteren Prognosen zu punkten.

Dominic Wirth
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Entschiedener Gegner der Reform: SP-Ständerat und Gewerkschaftspräsident Paul Rechsteiner gestern in Bern. (Bild: Anthony Anex/Keystone)

Entschiedener Gegner der Reform: SP-Ständerat und Gewerkschaftspräsident Paul Rechsteiner gestern in Bern. (Bild: Anthony Anex/Keystone)

Dominic Wirth

Dreieinhalb Wochen noch, dann fällt die Entscheidung: Der Countdown zur Abstimmung über die Unternehmenssteuer­reform III am 12. Februar läuft. Welche Bedeutung der Tag für die Schweiz und ihre Wirtschaftspolitik hat, unterstreicht die zunehmende Intensität im Abstimmungskampf. Diese Woche war eine der «neuen Studien», der «vertieften Analysen», der «bislang kaum bekannten» Fakten, oder kurz: die Woche des Zahlenkriegs. Und beide Lager, Befürworter und Gegner der Reform, hantierten dabei mit grossen Beträgen.

Gestern war die Reihe an den Gewerkschaften. Sie riefen nach Bern, um ihre neue Überschlagsrechnung zu den Kosten der Reform zu präsentieren. In den Augen von Paul Rechsteiner, dem Präsidenten des Gewerkschaftsbunds (SGB), stellt die Unternehmenssteuerreform III «alles in den Schatten, was die Schweiz steuerpolitisch bisher gesehen hat». 1000 Franken: So viel ­werden die neuen Steuerregeln laut dem SGB jeden einzelnen Schweizer Haushalt pro Jahr kosten. Insgesamt warnte Daniel Lampart, der SGB-Chefökonom, vor Kosten, die «rasch gegen 4 Milliarden Franken pro Jahr» ­betragen dürften. Und das sei, so Lampart, eine konservative Schätzung. Unter anderem würden die Auswirkungen von neuen Steuerrabatten wie der Patentbox oder den Forschungsabzügen unterschätzt. Beim SGB-Anlass trat dann auch noch ein Polizeigewerkschafter auf, der die Reform als «Gift für die Gesundheit der Polizisten und Gefahr für die Sicherheit in unserem Land» bezeichnete, weil sie den Kostendruck in Kantonen und Gemeinden noch zusätzlich verschärfen werde.

Mit den schlimmsten aller Fälle

Die Gewerkschafter waren diese Woche aber nicht die Einzigen, die mit düsteren Zukunftsszenarien auf Stimmenfang gingen. Bereits Anfang Woche hatten die Wirtschaftsverbände Economiesuisse und Gewerbeverband dasselbe gemacht, nur natürlich mit anderen Absichten. Während die Linke vor einem «Milliarden­bschiss» auf Kosten des kleinen Mannes warnt, ist die Unternehmenssteuerreform III für ihre Befürworter der einzige Weg, um die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts zu sichern.

In einer Studie, welche das Basler Wirtschaftsinstitut BAK erstellte und die beiden Wirtschaftsverbände vorlegten, klingt das dann so: Bei einem Nein zur Unternehmenssteuerreform III wären kurzfristig bis zu 190000 Arbeitsplätze in Gefahr. Dazu kämen Einnahmeausfälle in den Sozialversicherungen, die sich auf 5 Milliarden Franken belaufen. Die Schlagzeile ist mit solchen Zahlen – wie im Fall der Medienmitteilung der Wirtschaftsverbände – schnell gemacht: «Bei den Sozialversicherungen droht ein Loch von 5 Milliarden», hiess es. Allerdings basieren die Werte auf der Annahme, dass alle hochmobilen Unternehmen aus der Schweiz wegziehen – und damit auf einem Szenario, das für den schlimmstmöglichen Fall steht.

Zahlen en masse, dazu noch jede Menge Zuspitzungen: Wird da der Stimmbürger, der sowieso schon mit einer komplexen Vorlage konfrontiert ist, überfordert? Lukas Golder, Politikwissenschaftler beim Institut GFS Bern, sieht das nicht so. «Die Leute können das verorten», sagt er. Für ihn bewegt sich die Debatte mit wenigen Ausnahmen auf einem «sehr hohen und intensiven Niveau», und das sei angesichts des zentralen Themas auch wichtig.

Dass sich die Parteien derzeit einen Zahlenkrieg liefern, liegt laut Golder auch am Bund, der sich seinerseits mit Prognosen zurückhält. Hintergrund sei auch die letzte Unternehmenssteuerreform, die 2008 knapp angenommen wurde. Im Nachgang urteilte das Bundesgericht, dass die Regierung mit Fehlinformationen die Abstimmungsfreiheit «krass» verletzt habe.