Die Fragestunde des Nationalrats bietet jeweils nicht nur den Vertretern und Vertreterinnen des Volks Gelegenheit, dringende Fragen an den Bundesrat loszuwerden. Sondern wirft manchmal auch ihrerseits wieder Fragen auf. Gestern zum Beispiel haben sich Sylvia Flückiger und Hansjörg Knecht von der Aargauer SVP nach dem Stand des Projekts «Gabmo» erkundigt, gemäss dem alle Kantone den Standort sämtlicher Hauseingänge ermitteln sollen.
Wie, bitte: «Gabmo»? Das ist kein Ausserirdischer, sondern steht für «Gestion des Adresses de Bâtiments par la Mensuration Officielle», was wörtlich so viel wie «Behandlung der Gebäude durch die öffentliche Vermessung» bedeutet. Inwiefern die Gebäude behandelt werden, erläuterte im Parlament Verteidigungsminister Ueli Maurer, in dessen Departement das zuständige Bundesamt Swisstopo angesiedelt ist: «Der Standort der Hauseingänge wird mit den entsprechenden Koordinaten erfasst und mit einer eindeutigen Gebäudeadresse versehen.» Das sei «von nationalem Interesse und kommt der Verwaltung auf allen Stufen zugute, zum Beispiel den statistischen Ämtern, den Navigationssystemen und vor allem den Notfallorganisationen». Es soll Letzteren helfen, schnell die beste Wegstrecke zu berechnen, um möglichst rasch die richtige Haustür zu finden.
Nun läuft dieses Projekt zwar seit zehn Jahren, aber völlig abseits des öffentlichen Interesses, das sich offensichtlich nicht mit dem nationalen deckt – ausser im Kanton der beiden Fragesteller. Gemäss der «Aargauer Zeitung» gab es schon Anrufe bei der Polizei. «Wenn sich Leute in gelben Westen auf Haustüren zu- und wieder wegbewegen, ist das nicht allen Bürgern geheuer», zitierte das Blatt den stellvertretenden Geschäftsführer einer mit der Vermessung beauftragten Firma.
Kein Aufsehen hingegen erregt «Gabmo» in Luzern, wie Kantonsgeometer Reto Conrad auf Anfrage unserer Zeitung versichert. Der Fachmann liefert gleich eine mögliche Erklärung: «Im Kanton Luzern messen wir die Hauseingänge nicht so genau», sagt er. Das könne sogar von einem vorbeifahrenden Fahrzeug aus geschehen. Und zwar durch sogenannte Nachführungsgeometer. Das sind private Ingenieurbüros, die mit der Aktualisierung der Gebäudedaten betraut sind und zum Beispiel neu erstellte Häuser genauestens vermessen. Bei den Haustüren jedoch begnügt man sich in Luzern mit einer Schätzung.
Dies geschieht mit Segen von oberster Stelle: «Vom Bund aus schreiben wir nur vor, dass die Bestimmung genügend genau sein muss, um den Hauseingang zu finden», sagt Fridolin Wicki. «Im Prinzip reicht es schon», so der Leiter der Eidgenössischen Vermessungsdirektion in Bern, «wenn man weiss, auf welcher Seite des Hauses sich der Eingang befindet.»
Zu schätzen gibt es einiges. In Luzern rechne man mit 75 000 bis 80 000 Gebäudeeingängen, berichtet Conrad. Wobei Gebäude nicht gleich Gebäude ist. Stalltüren etwa werden links liegen gelassen, da sie als Gebäude ohne Wohnungen oder Geschäfte nicht «Gabmo»-würdig sind. Ob es eine Fabrikhalle oder sonstige Produktionsstätte ins nationale Register schafft, hängt davon ab, in welcher Gemeinde sie steht: «Die Vergabe von Gebäudeeingängen liegt in der Hoheit der Gemeinden, die das unterschiedlich handhaben», erläutert der Luzerner Kantonsgeometer.
Davon sagte Bundesrat Maurer nichts. Dafür beantwortete er, was Flückiger und Knecht besonders brennend interessiert: Bisher seien rund drei Viertel der Gebäudeadressen erhoben, was rund 15 Millionen Franken koste. Bis zur Fertigstellung im Jahr 2016 würden es gegen 20 Millionen, wovon der Bund knapp 4 Millionen trage. Wer den Rest zahle, bestimmten die Kantone.
In Luzern werden die Grundeigentümer nicht zur Kasse gebeten; laut Conrad übernimmt der Steuerzahler die Kosten. Der Kantonsgeometer schätzt diese auf rund 2,2 Millionen Franken. Wie sich das mit den von Bundesrat Maurer für das ganze Land genannten 20 Millionen verträgt, kann er nicht erklären. Vermessung ist offenbar keine exakte Wissenschaft.
Die Fragesteller sind denn auch nicht so richtig befriedigt von den Auskünften. Sylvia Flückiger fragt sich weiterhin, was die landesweite Erfassung der Hauseingänge in einem Register bei einem Brand oder einem sonstigen Notfall bringen soll. Einmal ums Haus laufen würde schneller zum Ziel führen, findet sie. Und konstatiert, dass es keinen Sinn habe, dem Bundesrat Fragen zu stellen, weil man doch nicht das erfahre, was man wissen wollte. Immerhin: Dank ihr haben nun die Leserinnen und Leser dieser Zeitung von der Erfassung ihrer Haustüre erfahren.