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Klub der jungen Geschichten
Nicolai Steiner, Kaltbach, 6. Primar
«Wir waren absolut sicher, dass nichts schiefgehen kann. Leider zu sicher, wie sie sehen», schluchzte Sabine Grün, welche heulend auf der A2 kurz nach der Auffahrt Sursee sass. Über ihr Nasen-Piercing kullerte eine grosse Träne. Der ebenfalls festgeklebte Benno Uhu-Leim schaute sprachlos Sabine an.
Frau Grün war keine Unbekannte für ihn, sondern eine sehr aktive Klimaaktivistin und Reisebloggerin. Es schüttete wie aus Eimern, und die kalte Bise brachte ihn zum Frösteln. «Wieso habe ich diesen Auftrag bloss angenommen?», dachte Benno, der gestern noch seine Frau ins Spital gebracht hat. Vor drei Jahren gründete der werdende Vater und Klebstoffexperte Benno Uhu-Leim seine eigene Firma Namens «Kleberfeger GmbH» (Gesellschaft mit beschränkter Haftung). Über einen Auftragsmangel konnte er sich nie beklagen. Ganz im Gegenteil, in letzter Zeit bekam er sogar Aufträge von der Polizei, um Klimaaktivisten von den Strassen zu lösen. Sein patentiertes (eine geschützte Idee) Superlösungsmittel war nicht nur sehr wirkungsvoll und befreiend, sondern auch preiswert in der Herstellung. Er fegte sogar in Deutschland und in Österreich.
Nach dem Aufgebot der Polizei für einen Schnelleinsatz heute Mittag, konnte Benno sein E-Auto Taycan Turbo S nicht starten. Trotz seiner nachhaltigen Einstellung, liebt er schnelle Autos und schicke Kleidung. Seine geliebte Sportuhr von Nacht und Gestern darf auch nicht fehlen. Sein teurer Lebensstil hinderte ihn daran, die längst fällige Ladestation und den Speicher zu seiner PV- Anlage nachzurüsten. Und so war das Nachladen nur an einer öffentlichen Ladestelle möglich. Zu dumm aber auch…… Mit dem Fahrrad, welches erst Luft brauchte, radelte er zum Bahnhof. Ausser Atem sprang er in den Zug. Gerade als Benno dachte, noch rechtzeitig am Auftragsort erscheinen zu können, ruckte der Zug und blieb stehen. Stromausfall!?
Jetzt, drei Stunden später kleben 20 Klimaaktivsten und er selber auf der A2 fest. Benno glaubt es nicht, wie konnte das passieren? Bei seinem Versuch, die festgeklebte Hand von Sabine Grün von der Strasse zu lösen, kam es zu einem Handgemenge. Auf hinterhältigste Weise schaffte sie es tatsächlich mit ihrer linken freien Hand eine seiner Hände mit auf den Strassenbelag zu kleben. Zu allem Unglück liegt die Flasche mit seinem Lösungsmittel dem «Kleberfeger» verschüttet neben ihnen.
Genau in diesem Moment wird ein Polizist auf ihn aufmerksam. Es ist der ihm bekannte Herr Schulze. Der grosse blonde Wachtmeister aus Luzern schaut lachend auf Benno und fragt mit seinem unverkennbaren sächsischen Dialekt: «Na Benno, bist du jetzt auch bei der vorletzten Generation dabei? Da bekommt deine Firmenbezeichnung eine völlig neue Bedeutung! Jetzt steht das «H» nicht mehr für Haftung, sondern für Hirn!» Sein dicker Vollbart wackelte vor Lachen.
Ausführlich erklärt Benno Herrn Schulze die peinliche Situation. Der Wachtmeister kratzt sich am Kopf und meint: «Neuer «Kleberfeger» muss her!» Mit den Informationen von Benno schickt er sofort einen Einsatzwagen los, um Nachschub aus Benno’s Firma zu holen. «Das kann dauern», überlegt Benno, «es ist schliesslich Feierabendverkehr!» Genau in diesem Moment ertönt das Handy von Benno; seine Frau ist am Telefon und meint kurz und knapp: «Die Geburt geht los. Beeile dich bitte!» Kleinlaut meldet sich die dünne Stimme von Sabine, die das Gespräch mitverfolgt hat: «Es tut mir so leid, das habe ich so nicht gewollt, wir dachten, wir wären spätestens nach zwei Stunden wieder frei.» Ihre nassen, blauen Haare lassen ihr Gesicht noch blasser und schmaler erscheinen. Gezwungen zu warten, beginnen Benno und Sabine ein langes Gespräch über Klimaschutz und die vorletzte Generation.
Langsam entstehen gemeinsame Erkenntnisse und mehr Verständnis für einander. Sie sind sich einig: Egal, was ich tue, es hat Auswirkungen auf andere! Und die Moral von der Geschicht: Klimaschutz bedeutet zuerst einmal Verzicht!