ANALYSE: Nationalteam – eine Insel der Seligen

Was darf man von der Schweiz zum Start der WM-Qualifikation gegen Portugal erwarten? Den berechnenden Fussball, den wir kennen. Man kann das Kontinuität, aber auch Perspektivlosigkeit nennen.

Andreas Ineichen
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Der Trainer als Verwalter: Vladimir Petkovic am Samstag beim Training der Nationalmannschaft in Freienbach. (Bild: EPA)

Der Trainer als Verwalter: Vladimir Petkovic am Samstag beim Training der Nationalmannschaft in Freienbach. (Bild: EPA)

Andreas Ineichen

Es scheint, als stelle sich die Schweizer Nationalmannschaft von alleine auf. Denn die Aufgebotslisten von Nationaltrainer Vladimir Petkovic beinhalten so viel Überraschungspotenzial wie die Wahl des chinesischen Politbüros. Viele Namen im Aufgebot lassen sich eher mit Gewohnheit erklären als mit dem absoluten Leistungsgedanken oder einer Weiterentwicklungsabsicht. Jeder hat seine Rolle, sein Plätzchen. Und nichts soll diese Ruhe stören. Von vier, fünf Spielern abgesehen, die gehobenes Niveau verkörpern und dies auch im Tagesgeschäft ihres Vereins beweisen, ähneln die Aufgebote Petkovics einem Grüppchen, das sich halt schon länger kennt und nur darum zusammengehört. Doch genau besehen ist ein grosser Teil dieser Mannschaft austauschbar. Im Verein bestenfalls Mitläufer, nicht selten Nonvaleurs. Mehr auf dem Abstellgleis als auf dem «stairway to heaven». Und in der Nationalmannschaft kaum einmal mit zwingenden Auftritten.

Und doch: Es sind immer die gleichen dabei. Jetzt, nach der EM, geht es exakt im gleichen Trott weiter. Kein nächster Schritt. Keine Reizpunkte. Da fehlt es an Spannung, an Überraschung, an Perspektiven. Mit dieser Schweizer Nationalmannschaft weiss man, was man hat. Und es scheint, dass das genügt. Man erfreut sich maximal am Resultat, aber kaum einmal am Weg dorthin.

Und so erhält diese Nationalmannschaft in ihrer Zusammenstellung und auch in ihrer Spielweise etwas Beliebiges. Diese Mannschaft hat nichts Aufregendes zu bieten.

Der Gegensatz zur Arbeitswelt

Es gäbe Alternativen: den 24-jährigen Léo Lacroix zum Beispiel, den gross gewachsenen Innenverteidiger, der am Mittwoch von Sion zur AS St-Étienne gewechselt hat. Oder den 20-jährigen Mittelfeldspieler Edimilson Fernandes, der für 8 Millionen Franken von Sion zu West Ham ging. Oder den 18-jährigen Stürmer Dimitri Oberlin, der bei Altach in Österreich furios in die Saison gestartet ist und noch immer die Möglichkeit besitzt, künftig für Kamerun statt für die Schweiz zu spielen. Um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Keine der Alternativen ist wohl dazu in der Lage, zum entscheidenden Spieler am Dienstag gegen Europameister Portugal zu avancieren. Es geht vielmehr darum, den Kandidaten für die wichtigste und prominenteste Auswahl der Schweiz eine Perspektive zu geben und damit auch der Entwicklung eines eigenen Spielstils mit der Nationalmannschaft. Und es geht darum, dass Konkurrenzkampf und Dynamik im Team nicht bloss ein Lippenbekenntnis sind.

Für einen Trainer im Klubfussball kann man ja ein gewisses Verständnis dafür aufbringen, wenn er sich mit den Leistungsträgern verbrüdert. Als Trainer ist er das schwächste Glied der Kette und sitzt auf dem Schleudersessel. Aber als Nationaltrainer kann man sich aus einem viel grösseren Reservoir an Spielern bedienen als bei einem Klub. Und vor allem: Die Spieler sind den Leistungsdruck von ihren Arbeitgebern gewohnt. Sie spielen, sie rotieren, sie spielen wieder, oder sie sitzen erst auf der Ersatzbank und letztlich auf der Tribüne. Dieses unerbittliche Leistungsprimat ist Bestandteil einer fürstlichen Entlohnung. Nur bei einem Zusammenzug der Nationalmannschaft treffen sich die Spieler auf einer Insel der Seligen. Sie erhalten, ungeachtet ihres aktuellen Leistungsvermögens, ein Aufgebot. Dank ihm, dank Vladimir Petkovic, dem Verwalter.

Ein Erbe weitergeführt

Mit seiner Haltung führt Petkovic ein Erbe fort, das der Schweizerische Fussballverband (SFV) offensichtlich bewahren will. Auch der international um einiges renommiertere Ottmar Hitzfeld und der rührselige Köbi Kuhn funktionierten so. Es gab in all den Jahren Umbrüche im Nationalteam, klar. Aber nicht weil es der ausdrückliche Wille des Trainers war, sondern weil die Trainer von äusseren Umständen dazu gezwungen wurden. Hitzfeld wäre mit dem Sturmduo Alex Frei/Marco Streller vor zwei Jahren noch an die WM nach Brasilien gereist, hätten die beiden nicht selber den Rücktritt gewählt. Und Gökhan Inler wäre als Captain der Schweizer an der EM in Frankreich aufgelaufen, hätte Petkovic eine Möglichkeit gesehen, sein Aufgebot trotz all des öffentlichen Drucks zu rechtfertigen. Man braucht kein Schelm zu sein, um festzustellen, dass die ehemaligen und die aktuellen Nationalspieler seit gut einem Jahrzehnt also ziemlich genau wissen, was und wer sie erwarten wird, wenn sie in dem altbewährten Teamhotel in Feusisberg einrücken. Und so berechnend, so behäbig pfleg(t)en die Schweizer auch in aller Regel Fussball zu spielen.

Es ist ihr Glück, dass der erste Gegner in der WM-Qualifikation für Russland 2018 Portugal heisst. Dem Gegner wird die Spannung fehlen nach dem Gewinn der EM, dem grössten Triumph der Geschichte, und ihm fehlt vor allem Cristiano Ronaldo, einer der besten Fussballer der Welt. Einen besseren Zeitpunkt, um diesen Gegner zu schlagen, gibt es nicht. Vielleicht ist es ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass Petkovic auch auf einen seiner wichtigsten Einzelspieler verzichten muss – auf Xherdan Shaqiri, den einzigen, der das Offensivspiel der Schweizer mit Fantasie würzen kann. So wird Petkovic am Dienstag in Basel auf den Platz bringen, was wenig mit modernem Fussball zu tun hat. Wenig mit Tempo, Direktspiel und erfolgreichem Dribbling. Aber viel mit ihm als Verwalter.

Wie auch immer das Spiel gegen Portugal enden wird: Die Verbandsvertreter können es in jedem Fall auf die eigene Mühle drehen. Ist der Ausgang negativ, lobt Petkovic die zweifellos vorhandene Qualität des Gegners. Ist er positiv, spricht es für die Kontinuität heimischen Schaffens – auch wenn man dabei ausblendet, dass es Kontinuität auf geringem Niveau ist. Oder anders ausgedrückt: Perspektivlosigkeit.