Kevin Prince Boateng: Zwischen Mandela und Messi

Die Karriere des Kevin Prince Boateng ist voller Wendungen. Im Herbst seiner Laufbahn ist er nun auf dem Gipfel angekommen: beim FC Barcelona. Natürlich völlig unerwartet.

Carsten Meyer
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Kevin-Prince Boateng bei seiner Vorstellung im Camp Nou. (Bild: Emilio Morenatti/AP (Barcelona, 22. Januar 2019))

Kevin-Prince Boateng bei seiner Vorstellung im Camp Nou. (Bild: Emilio Morenatti/AP (Barcelona, 22. Januar 2019))

In kulturinteressierten Kreisen kennt man den jungen Mann als Prin$$ Boateng. Erst letzten Sommer hat der Rapper seinen ersten Song veröffentlicht: «King.» Das Werk kam in der Szene wohl ganz gut an. Zumindest wurden Gesandte von diversen Labels beim Künstler vorstellig – mit dem Ziel, ihn unter Vertrag zu nehmen. Prin$$ fühlte sich geschmeichelt, winkte aber zügig ab: «Männer, ich hab’ keine Zeit dafür. Ich bin Fussballer.» Seinen Hauptjob übt er auch am Sonntag (20.45 Uhr) wieder aus. Im Trikot des spanischen Tabellenführers FC Barcelona tritt er in Bilbao an.

Boateng beim FC Barcelona. Daran muss man sich erst einmal gewöhnen. Ein weltweiter Nummer-1-Hit wäre weniger überraschend gewesen als dieser Wechsel vor knapp drei Wochen. Erst im vergangenen Sommer verschlug es ihn ja noch in die italienische Fussball-Provinz, ins 40.000-Seelen-Städtchen Sassuolo. Mit 31 Jahren bringt man seine Karriere dort normalerweise nicht mehr in Schwung. Man beendet sie eher.

Der lange Weg zu einem anderen Image

Doch die Laufbahn Boatengs war vieles, nur eines nie: normal. Barca ist bereits sein zehnter Verein. Er galt als einer, der lange zu wenig aus seinem Talent gemacht hat. Und der viel zu spät begriff, was es heisst, Profi zu sein und entsprechend zu leben. Natürlich, er hatte eine gute Zeit beim AC Mailand, mit dem er 2011 sogar Meister wurde. Doch dass er im Herbst seiner Karriere noch mal das grosse Los in Form des FC Barcelona ziehen würde – er ist vorerst bis Ende Saison ausgeliehen – damit hatte nicht mal mehr er selbst gerechnet. Bei seiner Präsentation im Januar im Camp Nou konnte er sein Glück kaum fassen und gestand: «Ich bin ja eigentlich Realist. Aber wenn man Träume hat, kann man die Wirklichkeit verändern.»

«Ein surrealer Wechsel»

Die spanischen Medien reagierten nicht weniger erstaunt als Boateng selbst. «Viele werden heute beim Lesen dieser Nachricht gedacht haben, dass es sich um Fake News handelt. Und es gibt viele Gründe, das zu glauben», schrieb «Marca» und schlussfolgerte: «Ein surrealer Wechsel.» Doch bei genauerem Hinsehen ergibt der Transfer durchaus Sinn: Barca war auf der Suche nach einem erfahrenen Spieler, der im Sturm, aber auch gerne auf anderen Positionen spielen kann. Ein Backup für Angreifer Luis Suarez (32). Und weil die Mannschaft teilweise recht zahm daherkommt, am besten noch einer mit Ecken und Kanten.

Davon hat Boateng einige zu bieten. Zu Beginn seiner Karriere neigte er regelmässig zu Kapriolen abseits des Platzes. Oder wie er es erst kürzlich selbst formulierte: «Ich war verrückt, als ich jung war.» Keine Geschichte über ihn ohne den Zusatz «Bad Boy». «Es war gar nicht so leicht, dieses Image zu verändern und ein anderer Mensch zu sein», hat er mal erzählt, «aber es ist besser, wenn einen die Leute mögen.»

Also verhielt er sich wie ein Profi und engagierte sich auch ausserhalb des Platzes. Als Boateng während seiner Milan-Zeit während eines Testspiels rassistisch beschimpft wurde, sorgte er dafür, dass die Mannschaft aus Protest das Feld verliess. Er hielt im Rahmen einer Anti-Rassismus-Veranstaltung eine Rede vor den Vereinten Nationen. Und irgendwann stand er neben Nelson Mandela, der ihn laut Legende mit einer seiner Töchter verkuppeln wollte. Als Boateng erklärte, er habe schon eine Freundin, insistierte Mandela: «Ich habe mehrere – wo ist das Problem?»

«Ich bin hier, um Messi zuzuschauen»

Vor allem aber überzeugte Boateng auf dem Platz, mittlerweile mit zwölf Kilogramm weniger auf den Rippen als noch zu Beginn seiner Karriere. So führte er Eintracht Frankfurt letzte Saison zum sensationellen Pokalsieg. Die Experten lobten, die Fans liebten ihn. Es sah so aus, als sei er endlich angekommen. Doch dann zog er weiter nach Sassuolo, aus privaten Gründen. Seine Frau und sein Sohn leben in Mailand. Als jedoch das Angebot aus Barcelona kam, konnte er nicht widerstehen. Niemand, der den Fussball wirklich liebt, könnte das. «Ich hätte zur Anreise gar kein Flugzeug gebraucht», sagte er, «ich wäre auch zu Fuss gekommen.»

Aber natürlich kennt er seinen Platz im Star-Ensemble: «Ich weiss, dass ich nicht als Stammspieler verpflichtet wurde. Ich bin hier, um meine Erfahrung einzubringen, zu helfen und Messi zuzuschauen.» Das ist der Plan. Aber wer Boatengs Karriere kennt, weiss: Das kann sich auch ganz schnell ändern.