Andreas Küttel (41) krönte 2009 seine Skisprung-Karriere mit dem Weltmeistertitel. Im Rückblick verrät der Einsiedler Besonderes.
Sich Dinge lebhaft vorstellen – das war schon immer eine der Stärken von Andreas Küttel. Und so erstaunt es nicht, dass auch seine Erinnerungen an den 27. Februar 2009 sehr detailliert sind. Im tschechischen Liberec gewann er im Alter von 29 Jahren den Weltmeistertitel auf der Grossschanze und feierte damit den grössten Erfolg seiner Skisprungkarriere. «Das kann man auf Wikipedia nachlesen», sagt der Einsiedler mit einem Schmunzeln. «Gerne erzähle ich Ihnen aber auch noch etwas, das weniger bekannt ist.»
Sportlich war der damalige Winter nicht der beste seiner Karriere gewesen. Der fand früher statt, in der Saison 2005/06, als er die Weltcup-Saison auf dem dritten Gesamtrang abgeschlossen hatte. Doch am 27. Februar 2009 passte alles zusammen und dazu gehörten auch Aspekte, die für den sachlichen und gut organisierten Schwyzer eher untypisch waren. «Ich wachte um 6.30 Uhr auf. Da es regnete und windete, hatte ich nicht grosse Erwartungen. Es war anders als früher an Grossanlässen, als ich jeweils das Gefühl hatte, die ganze Welt auseinanderreissen zu können.»
Da das WM-Springen erst am Abend stattfand, verliess er frühmorgens das Athletendorf und fuhr in die Stadt, wo sich seine Eltern und Freundin Dorota ein Appartement gemietet hatten. «Ich schlich zu meiner Freundin unter die Decke und machte ihr einen Heiratsantrag», erzählt Küttel und lacht. «Es war nicht so romantisch, ich hatte keinen Ring dabei und ging auch nicht auf die Knie. Doch ich hatte das Gefühl, dass dieses Thema zum Moment passte.»
Später, beim Aufwärmen in der Turnhalle, standen die üblichen Kraftübungen zur Wettkampfvorbereitung auf dem Programm. «Doch ich sagte mir: Andreas, deine Beine sind unglaublich parat. Mit ihnen könntest du jetzt auf den Mond springen. Also liess ich die Hanteln liegen.» Küttel spürte eine spezielle Lockerheit, Liberec gab ihm generell ein gutes Gefühl. Hier sprang er 2004 als Dritter erstmals auf das Weltcup-Podest und auch im Jahr vor der WM landete er in der Stadt im Norden Tschechiens auf Platz drei. Daher kehrte er 2009 mit positiven Erinnerungen zurück.
Die Grossschanze in Liberec lag ihm besonders gut. «Sie hat einen langen, flachen Anlauf und einen kurzen Radius. Meine Muskulatur war extrem elastisch und auf dieser Schanze konnte ich meine Beine wie eine Feder spannen.» Die Saison war bis dahin eher enttäuschend verlaufen, seine Formkurve aber zeigte nach oben. Mit dem sechsten WM-Platz auf der Kleinschanze setzte er ein erstes Ausrufezeichen. Zudem wollte Sponsor Emmentaler die Zusammenarbeit fortsetzen. «Das gab mir wirtschaftliche Sicherheit und half, sportlich die letzten Prozente rauszuholen.» Was folgte, ist Schweizer Sportgeschichte. Andreas Küttel, der bis dahin fünf Weltcups gewann, aber nie an einem Grossanlass über sich hinauswuchs, gelang mit 133,5 Metern ein fantastischer Sprung.
Nach dem ersten Durchgang lag er in Führung und als der zweite wegen Schneeregens abgebrochen werden musste, stand er als Weltmeister fest. Erster Gratulant war sein Freund und Teamkollege Simon Ammann. Der zweifache Doppel-Olympiasieger sagte später beim Empfang in Einsiedeln: «Es ist wie ein Puzzle, das jetzt komplett ist.» Küttel brauchte eine Weile, um mit sich selber zu vereinbaren, dass er WM-Gold trotz halbiertem Wettkampf verdient hatte. Letztlich kam er zum Schluss, dass er früher an Weltmeisterschaften auch schon weiter vorne hätte landen können, wenn das Wetter besser gewesen wäre. Zudem fand der erste Durchgang unter regulären Bedingungen statt. Und da krönte Andreas Küttel seine Karriere mit dem Sprung des Lebens.
Unmittelbar nach dem Rücktritt als Skisprung-Profi im Jahr 2011 wanderte Andreas Küttel (Bild) nach Dänemark aus. Seine polnische Frau Dorota trat dort eine Assistenzstelle als Ärztin an. Heute lebt er mit ihr und dem zehnjährigen Sohn Oliver in Sönderborg nahe der deutschen Grenze. Wenn er seine Eltern in Einsiedeln besucht, nutzt er jeweils die Gelegenheit für ein paar Sprünge von der «Andreas Küttel-Schanze». Seit 2017 ist der heute 41-jährige Schwyzer wieder für Swiss Ski tätig – und zwar als Berater des Skisprung-Nationalteams. Hauptberuflich ist er an der University of Southern Denmark als «Assistant Professor» angestellt. Küttel, der in der Schweiz Sportlehrer und Sportmarketing studierte, unterrichtet die Fächer Talententwicklung und Sportpsychologie, Talententwicklung und Elitesport, sowie Projektsteuerung. (ss)
Hinweis
In unserer Serie «Mein Moment» blicken Zentralschweizer Sportlerinnen und Sportler auf prägende Ereignisse ihrer Karriere zurück. Die bereits erschienenen Artikel finden Sie unten.