Der Auftakt zur Ära Glen Hanlon misslingt der Schweiz gründlich: Sie blamiert sich zum WM-Start mit einer 3:4-Niederlage nach Penaltyschiessen gegen den Aufsteiger Österreich.
Nicola Berger, Prag
Den Beginn einer Ära verbindet man immer auch mit der vagen Hoffnung, dass alles besser wird. Bei den Fans der Schweizer Eishockeynationalmannschaft verhält es sich nicht anders, anlässlich des ersten Ernstkampfes unter dem kanadischen Trainer Glen Hanlon pinselten sie den Spruch «Mit viel Glanz zum WM-Tanz» auf ein Transparent. Der Reim passte zur Grosswetterlage vor dem Turnierauftakt: Ein Sieg gegen den Aufsteiger wurde vorausgesetzt, und nach Möglichkeit wollten die neu formierten Schweizer etwas für die Galerie und das Selbstvertrauen tun.
Allein: Mit ihren hehren Absichten erlitten die Schützlinge Hanlons gestern auf der ganzen Linie Schiffbruch; gegen einen punkto Qualität auf jeder Position schlechter besetzten Gegner setzte es für sie die empfindlichste Niederlage seit der 1998 bei der Rückkehr in die A-Gruppe von Ralph Krueger eingeleiteten Zeitenwende ab. Der Angreifer Morris Trachsler erklärte die Schmach so: «Wir haben viele neue Spieler, die Automatismen fehlen noch. Und es gibt an der WM keine einfachen Gegner mehr.»
Das mag korrekt sein, doch ein Ausrutscher gegen Österreich, in der Weltrangliste bloss auf Platz 16, ist für die Schweiz dennoch unentschuldbar. Umso ärgerlicher ist es, dass sich die Blamage leicht hätte verhindern lassen. Drei Mal erspielte sich die Schweiz eine Führung, drei Mal schenkte das Team den Vorteil fahrlässig wieder her. Letztmals gelang den limitierten, aber engagierten Österreichern die Egalisation 50 Sekunden vor Schluss: NHL-Angreifer Michael Raffl (Philadelphia) lenkte einen Schuss seines Bruder Thomas für Berra unhaltbar ab. Im Penaltyschiessen gelang Komarek der einzige Treffer, womit der Favorit Schweiz für eine seltsam fahrige Darbietung die verdiente Quittung erhielt. Dan Ratushny, der kanadische Trainer Österreichs, wollte zwar eine «gute Schweizer Leistung» gesehen haben, aber er vertrat diese Meinung exklusiv.
Auf der anderen Seite musste sich Hanlon giftigen Fragen erwehren, die er nicht immer gleich gut parierte. Das lag daran, dass Hanlon die Niederlage durchaus mitzuverantworten hat. Seinem Team fehlte es bis auf den agilen Torschützen Andres Ambühl an Intensität, und sein Entscheid, nach dem 3:2 durch Bieber (52.) die Kräfte zu bündeln, bewährte sich nicht. In der Trainergilde ist es ein weit verbreiteter Reflex, in der Schlussphase auf drei Sturmlinien umzustellen und in der Abwehr die besten Akteure zu forcieren. Nur zeugt das Vorgehen gegen das bescheidene Österreich von mangelndem Selbstbewusstsein und schien im Schweizer Team Nervosität aufkeimen zu lassen. Hanlon verteidigte sich, indem er sagte: «Wenn ich 110 Sekunden vor Schluss nicht Roman Josi und Mark Streit auf dem Eis habe, würdet ihr Journalisten mich für verrückt erklären.» Dabei vergass Hanlon, dass gerade Captain Streit nicht den besten Tag einzog. Er bekundete Mühe mit dem Tempo und stand bei zwei der drei Gegentreffern auf dem Eis.
Der NHL-Legionär war nicht der einzige designierte Leistungsträger, der sein Rendement nicht erreichte. Auch Brunner, Hollenstein oder Suri enttäuschten; speziell im Powerplay gelang der Schweiz sehr wenig. Die ohnehin trübe Stimmung Hanlons verfinsterte sich weiter, weil er mit Dean Kukan (Lulea/Schweden) den nach Josi in der Defensive vermutlich verlässlichsten Verteidiger verletzungsbedingt schon früh verlor und ihn heute gegen Frankreich nicht einsetzen kann.
Für den Trainer ist die Ausgangslage nach nur einer Partie ungemütlich, weil das Minimalziel der Viertelfinalqualifikation bereits in Gefahr ist. Hanlon sagte: «Wir haben immer von einer Best-of-7-Serie geredet, weil wir für die Viertelfinalqualifikation höchstwahrscheinlich vier Siege benötigen. Nun haben wir die erste Partie bedauerlicherweise verloren. Aber das Turnier dauert noch lange.»
Tatsächlich gleichen die WM-Turniere einem Steigerungslauf: Gefragt sind nicht Sprint-, sondern Ausdauerqualitäten. Anschauungsunterricht können sich die Schweizer heute in der Prager Innenstadt holen: Am Altstädter Ring beginnt um 9 Uhr vormittags der Prag-Marathon. Das Nationalteam tritt knapp elf Stunden später zum Vergleich mit Frankreich an. Glanz dürfte heute kein Fan mehr einfordern die Schweiz benötigt dringend drei Zähler. Sonst ist die erste WM unter Glen Hanlon für die Schweiz vorbei, ehe sie richtig begonnen hat.
Schweiz Österreich 3:4 (1:0, 1:1, 1:2, 0:0) n.P.
O2-Arena, Prag. 13 953 Zuschauer. – SR Kubus/Piechaczek (Slk/De), Pihlblad/Sefcik (Sd/Slk).
Tore: 2. Du Bois (Fiala, Almond) 1:0. 23. Thomas Raffl (Pallestrang) 1:1. 26. Ambühl (Josi/Ausschluss Schäppi!) 2:1. 44. Lebler (Herburger) 2:2. 52. Bieber (Almond, Grossmann) 3:2. 60. (59:10) Michael Raffl (Thomas Raffl, Schumnig) 3:3 (ohne Torhüter). Penaltyschiessen: Suri -, Michael Raffl -; Brunner -, Komarek 0:1; Josi -.
Strafen: 2-mal 2 Minuten gegen die Schweiz, 4-mal 2 Minuten gegen Österreich.
Schweiz: Berra; Kukan, Josi; Du Bois, Streit; Geering, Grossmann; Blum; Brunner, Romy, Hollenstein; Fiala, Almond, Suri; Bodenmann, Schäppi, Bieber; Ambühl, Trachsler, Walker.
Österreich: Starkbaum; Pallestrang, Heinrich; Peter, Iberer; Schumnig, Mühlstein; Mitterdorfer; Rotter, Hundertpfund, Geier; Herburger, Michael Raffl, Lebler; Latusa, Komarek, Thomas Raffl; Ganahl, Fischer, Petrik; Cijan.
Bemerkungen: Schweiz ohne Helbling, Manzato (beide überzählig), Scherwey (nicht gemeldet) und Genoni (Ersatztorhüter). Kukan im 2. Drittel (Oberkörperverletzung) ausgeschieden. Starkbaum hält Penalty von Romy (4.). – Timeouts Österreich (58:44) und Schweiz (64:41). Österreich von 58:44 bis 59:10 ohne Torhüter. – Schüsse: Schweiz 37 (12-12-10-3); Österreich 24 (6-2-12-4). – Powerplay-Ausbeute: Schweiz 3/0; Österreich 2/0 (1 Shorthander kassiert).
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