EISHOCKEY: Nino Niederreiters neue Komfortzone

Nino Niederreiter steht in Minnesota vor dem grossen Durchbruch. Aus dem einstigen Sorgenkind könnte bald ein Superstar erwachsen.

Nicola Berger, St. Paul
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Minnesotas Mikael Granlund jubelt über seinen Treffer zum 1:0 gegen New Jersey. Passgeber Nino Niederreiter gratuliert. (Bild: AP)

Minnesotas Mikael Granlund jubelt über seinen Treffer zum 1:0 gegen New Jersey. Passgeber Nino Niederreiter gratuliert. (Bild: AP)

Nach einem unbefriedigenden Start haben die Minnesota Wild in sieben der letzten zehn Partien gepunktet und sind auf einen Playoff-Platz geklettert. Das mag nicht gerade ein Anlass für wilde Partys sein, Halloween, dieser schräge amerikanische Brauch, war es letzte Woche hingegen schon. Eine Verkleidung war bei der Team-Party Pflicht, und Nino Niederreiter (21) entschied sich dafür, als Lieutenant Pete «Maverick» Mitchell aufzukreuzen, den von Tom Cruise verkörperten Piloten aus dem mittelmässigen Achtziger-Streifen «Top Gun».

Niederreiter wählte die Figur als Jux, aber die Symbolik ist nicht zu verkennen. Nach schwierigen Jahren in der Organisation der New York Islanders kann man in diesen Wochen beobachten, wie sich der Bündner in Minnesota selber in eine «Top Gun» verwandelt. Im amerikanischen Sprachgebrauch versteht man darunter jemanden, der in seinem Bereich besonders gut oder gar der Beste ist.

Na ja, der Beste wird Niederreiter bei den Wild vielleicht nicht gerade, das ist der 98-Millionen-Dollar-Mann Zach Parise (29), aber die Fortschritte des Nationalstürmers sind gewaltig. In seiner einzigen ganzen Saison für New York hatte er 2011/12 in 55 Partien ein einziges Tor zu Stande gebracht.

Das lag weniger an Niederreiter als an den Islanders, die ihn damals völlig falsch einsetzten und zuletzt im AHL-Farmteam in Bridgeport versauern liessen. Es war keine einfache Zeit für Niederreiter, die Selbstzweifel nagten an ihm. Andy Rufener (42), früherer EVZ-Stürmer und heute Niederreiters Agent, sagt: «Wir haben Nino in dieser Zeit oft aufbauen müssen.» Mit «wir» meint Rufener neben sich selber die engsten Vertrauten der Begabung aus Chur: die Familie und die Mentaltrainerin Rita Sutter, mit der Niederreiter bereits seit 2006 zusammenarbeitet.

Ein Transfer ist die Erlösung

Die Erlösung aus dem Albtraum von New York, wo Manager Garth Snow und Coach Jack Capuano den Glauben an ihre Nummer-5-Selektion im NHL-Draft von 2010 seltsam schnell verloren, kam am 30. Juni. An diesem Tag wurde Niederreiter im Tausch für Cal Clutterbuck (25) nach Minnesota abgegeben. Berater Rufener hatte schon im Januar öffentlich einen Transfer gefordert, ein halbes Jahr später erfüllte sich sein Wunsch. Der Agent sagt: «Minnesota ist für Nino in jeder Hinsicht perfekt.» Das kann man so sehen, jedenfalls hat der Wechsel Niederreiter beflügelt. Es war der Integration zuträglich, dass er im Sommer mit Mikko Koivu (30), dem Captain Minnesotas, in Turku trainiert hat. Und nach einem Monat im «Holiday Inn»-Hotel gleich vis-à-vis des Xcel-Energy-Centers und nur einen Steinwurf vom Ufer des Mississippi entfernt, ist Niederreiter inzwischen in einen Appartement-Komplex in Minneapolis gezogen, wo auch die Teamkollegen Jonas Brodin und Charlie Coyle wohnen. Entsprechend sagt Niederreiter: «Ich fühle mich hier sehr wohl.» Grösser könnte der Unterschied zu New York nicht sein. In St. Paul, so scheint es, hat Niederreiter seine persönliche Komfortzone gefunden.

Das zeigt sich auch auf dem Eis: Zum sonntäglichen 4:0-Heimsieg über Damien Brunner und die New Jersey Devils steuerte er drei Assists bei; in 15 Partien hat er inzwischen drei Treffer und sechs Torvorlagen produziert. Niederreiter sagt: «Es hilft mir, dass ich das Vertrauen der Organisation spüre.» Dieses kommt nicht von irgendwo her: Die Wild hatten schon im Draft 2010 grosses Interesse gezeigt.

Das Lob des Trainers

In Minnesota ist inzwischen so etwas wie ein kleiner Hype um «El Nino» entstanden. Selbst Mike Yeo (40), Brillenträger, Glatze, ist der Coach des Teams und kann seine Begeisterung kaum verhehlen. Er sagt: «Niederreiter für Clutterbuck war für uns ein ausgezeichnetes Tauschgeschäft. Ich sehe sehr viel Potenzial in Nino.» Dieses ist Niederreiter gerade im Begriff auszuschöpfen. Er hat an Muskelmasse zugelegt, wirkt spritzig und ist im Spiel an der Bande kaum zu schlagen.

Der sich anbahnende Durchbruch kommt zum idealen Zeitpunkt: Sein Vertrag in Minnesota endet zum Saisonende; bald stehen Vertragsverhandlungen an. Niederreiter darf sich auf eine schöne Erhöhung seines aktuellen Basissalärs von 900 000 Dollar freuen.

Denn wer es im Milliardenbusiness der NHL zur «Top Gun» bringt, muss sich um eine ordentliche Bezahlung keine Sorgen machen.