EISHOCKEY: Sheddens Abenteuer im wilden Osten

Doug Shedden ist von Zug nach Zagreb weitergezogen. Beim Spengler-Cup-Teilnehmer versucht der kanadische Eishockey-Nomade, seine Karriere neu zu beleben.

Nicola Berger, Zagreb
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Der neue Job macht ihm Spass: Doug Shedden während einer Trainingseinheit mit Medvescak Zagreb. (Bild: Freshfocus/Goran Stanzl)

Der neue Job macht ihm Spass: Doug Shedden während einer Trainingseinheit mit Medvescak Zagreb. (Bild: Freshfocus/Goran Stanzl)

Nicola Berger, Zagreb

Doug Shedden (53) steht im Medienraum der in die Jahre gekommenen Dom-Sportova-Halle. Mit Medvescak Zagreb hat er soeben gegen Barys Astana verloren, mit 3:5. Mit grimmigem Blick sagt er: «Im Moment sind wir das Wunderheilmittel für jeden Gegner, wir kurieren jedes Formtief.» Die Journalisten schmunzeln, die eine pointierte Aussage reicht ihnen – sogar Frauenhandball findet in den Zeitungsspalten mehr Platz, mehr Fragen hat niemand, trotz der neuerlichen Enttäuschung. Willkommen in Doug Sheddens neuer Welt.

Das Zitat ist ja typisch für diesen Mann; Shedden hat ein Flair für Bonmots, nicht selten sind die Aussagen durchtränkt mit Sarkasmus und Ironie.

Diese Ingredienzien haben ihm in Zug, bei seinem alten Arbeitgeber, die Sympathien zufliegen lassen – ehe die Stimmung drehte, im letzten Winter, aufgrund der anhaltend unbefriedigenden Ergebnisse. Es folgte die Entlassung und anschliessend Gespräche mit Toronto und Washington über einen Job als Assistenzcoach in der NHL sowie Verhandlungen mit Salzburg und München. Jetzt, neun Monate nach dem Ende seiner Zuger Ära, hat Shedden eine neue Aufgabe in einer aufregenden Stadt gefunden: Er soll Medvescak Zagreb zum Erfolg führen, das viertjüngste Mitglied der eurasischen KHL, im neuesten Mitgliedstaat der Europäischen Union.

Eine ganz andere Welt

Der Weg zum Stadion führt raus aus der funkelnden Innenstadt, vorbei am Zerfall: Plattenbauten mit bröckelnder Fassade, schummrig beleuchtete Wege. Shedden sagt: «Mir gefällt es hier, es ist eine andere Welt als Zug es war.»

Das gilt nicht nur für das tägliche Leben, sondern auch für die Liga, die durch viele Petrodollars alimentierte KHL. In der Dom-Sportova-Halle gibt es einen Raum mit Wanduhren, welche dem Betrachter die Ortszeiten bei den anderen 27 Teams verraten. Dafür waren eine Menge Uhren nötig, innerhalb der KHL gibt es zehn Zeitzonen, die Reise von Zagreb nach Wladiwostok am japanischen Meer umfasst 8300 Kilometer. «Die Zeitumstellungen killen dich», sagt Shedden, «schon ich als Trainer bin jeweils todmüde. Für die Spieler ist es noch härter.»

Zagreb, das ist für Shedden auch ein grosses Abenteuer im wilden Osten, er sagt, die neue Umgebung inspiriere ihn: «Ich hatte in Zug eine fantastische Zeit. Aber sechs Jahre, das ist eine Ewigkeit in diesem Geschäft. Beiden Seiten hat der Wechsel gut getan.»

Sechs Winter, das ist in der Tat eine lange Zeit; so lange verweilte Shedden noch nie am gleichen Ort – auch als Spieler nicht. Er lebt das Leben eines Eishockey-Nomaden, so mögen er und sein Frau Julie es am liebsten.

Während dem EVZ die Abnabelung von der prägenden Figur Shedden sportlich ganz ordentlich gelungen ist, wird der Coach weiter vom Misserfolg begleitet. Sieben der letzten acht Partien hat Medvescak verloren, das Playoff ist in weite Ferne gerückt.

Einige Schauergeschichten

Es gibt Trainer, die sind in der KHL mit besseren Bilanzen entlassen worden; Geduld ist vielerorts ein Fremdwort. Sean Simpson (Ex-Lokomotive-Jaroslawl) etwa kann ein Lied davon singen. Denn so sehr die KHL um einen seriösen Anstrich bemüht ist – sie gilt noch immer als Wild-West-Liga. Über Zagreb erzählt man sich, dass die Spieler vor einigen Jahren den Lohnscheck in einer Tiefgarage hätten abholen müssen; von anderswo gibt es bizarrere Schauergeschichten, sie handeln von dubiosen Figuren aus der Halbwelt, von Gewaltandrohungen und Bestechung.

Auch Doug Shedden kennt die Erzählungen, er ist gut vernetzt in der Eishockeywelt. Er sagt: «Man hört verrückte Dinge. Aber ich selber bin damit noch nie konfrontiert worden.» Da kann der Coach von Glück reden, denn quasi nebenan versinkt der kroatische Fussball derzeit in einem Korruptionsskandal.

Shedden hat andere Sorgen, auch wenn er noch fest im Sattel sitzt, trotz der miesen Bilanz. Das hat seine Gründe: Medvescak ist schlicht nicht konkurrenzfähig, das Budget beträgt bloss vier Millionen Dollar – beim Ligaprimus ZSKA Moskau sind es fast 20-mal mehr.

Seit seiner Ankunft Anfang Oktober hat Shedden zahlreiche Spieler ausgetauscht, aber für kleines Geld kriegt man eben auch nur kleine Spieler, sein Ensemble gleicht einer Truppe von Desperados. Neu mit dabei sind unter anderem der weit gereiste Angreifer Krys Kolanos, einst auch beim EV Zug aktiv, oder Martin St. Pierre, der seit 2008 jedes Jahr mindestens einmal den Verein gewechselt hat.

Viele schmerzliche Abgänge

Von der letztjährigen Equipe sind nur neun Spieler übrig geblieben, was es für die Fans nicht einfacher macht, warm zu werden mit dem Kollektiv. Wer sich für die kroatische Hockeyseele interessiert, muss mit Dario Kostovic (34) reden. Kostovic spielte lange Jahre in der NLA, für Ambri und Lugano unter anderem, er ist gebürtiger Kroate, aktueller Captain des Nationalteams, und seit 2011 so etwas wie das Aushängeschild von Medvescak, was den Fanzuspruch angeht. Er sagt: «Man kann nicht einfach jedes Jahr eine neue Mannschaft hinstellen. Wie sollen sich die Fans so mit den Spielern identifizieren?»

Als Kostovic in die Heimat wechselte, spielte Medvescak noch in der österreichischen Ebel-Liga, die Transformation zur KHL-Organisation wurde erst 2013 vollzogen. Dario Kostovic sagt: «Es klingt vielleicht seltsam, aber ich finde, wir waren in der Ebel-Liga besser aufgehoben.»

Dieser Ansicht kann man sein, zumal Medvescak in der aktuellen Konstellation nicht viel mehr als ein Punktelieferant ist – und auch hartnäckig dafür arbeitet, dass das so bleibt. In fast alle Verträge baut der Klub eine Klausel ein, wonach ein Spieler gegen eine fixe Ablösesumme wechseln kann. Shedden verlor so mit Aaron Palushaj einen der begabtesten Angreifer, mit Matt Anderson den wichtigsten Center – und mit Barry Brust seinen Nummer-1-Torhüter.

Letzteres schmerzt Shedden besonders, nach den Goalie-Wirren in den letzten Jahren beim EVZ. Die Praxis indes missfällt nicht nur dem Trainer, dem Vernehmen nach beobachtet auch das Management des Ölkonzerns Gazprom das Treiben kritisch. Die Russen sind der wichtigste Geldgeber des Klubs, und die Deals, hört man, goutieren sie nicht.

Shedden wirkt ausgeglichener

Der Vertrag zwischen Medvescak und der KHL läuft bis 2016, was danach kommt, steht in den Sternen. Mit dieser ungewissen Zukunft steht der Klub freilich nicht allein da. Nach der Saison 2013/14 mussten drei Teams den Spielbetrieb einstellen – aus wirtschaftlichen Zwängen (Spartak Moskau, Lev Prag) respektive als direkte Folge des Grössenwahns der russischen Regierung (Donbass Donezk).

Auch Medvescak muss finanziell strampeln, es gibt beispielsweise keinen TV-Deal, und der Zuschauerzuspruch ist – wie in der gesamten KHL – überschaubar. Letztes Jahr lag der Liga-Schnitt bei bloss 5812 Besuchern. Zum Vergleich: In der Schweizer NLA wurden durchschnittlich 6872 Tickets verkauft.

In Zagreb kommt erschwerend hinzu, dass die Einnahmen aus dem Ticketing­bereich ohnehin gering sind. Eintrittskarten können bereits ab umgerechnet sechs Franken erworben werden – viel mehr ist der Bevölkerung nicht zuzumuten, bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen von rund 600 Euro.

Auch Shedden musste beim Lohn Abstriche machen, im Vergleich zu seinem Salär in Zug, aber das scheint ihn nicht zu stören. Er sagt: «Der Job macht mir Spass, das ist das Wichtigste.»

Generell wirkt Shedden ausgeglichener als jener Feuerkopf, der 2009/10 im Hertistadion an der Bande herumtobte und in so vielen Drittelspausen die Garderobenwände erzittern liess. Ist er gar altersmilde geworden? Shedden sagt: «Kann schon sein, ja. Ich versuche, mich nicht mehr so viel aufzuregen.»

Es gelingt ihm nicht immer, bei aus seiner Optik ungerechtfertigten Schiedsrichterentscheiden kann er noch immer zur Furie werden. Die meisten Unparteiischen sprechen indes kein Englisch, Shedden kann schimpfen wie er will, sie verstehen ihn nicht. Vieles ist neu in der Welt des Doug Shedden, manche Facetten jedoch ändern sich nie.