Die Schweiz liefert gegen Deutschland die nächste minimalistische Leistung ab. Doch Denis Hollenstein schiesst das Team spät ins Glück.
Bildergalerie: Mehr Impressionen zum Auftritt der Schweizer auf www.luzernerzeitung.ch/bilder
NICOLA BERGER, PRAG
Der Weltverband IIHF und dessen Vermarkter Infront inszenieren die jährlich stattfindende Eishockey-Weltmeisterschaft ja gerne als spektakelträchtige Veranstaltung, als Event. In Tschechien funktioniert das bisher prächtig, nach bloss vier WM-Tagen sind in Prag und Ostrava bereits mehr Eintritte registriert worden als an der WM 2009 in Bern und Zürich während des gesamten Turniers.
Selbst beim Duell Schweiz - Deutschland riss der Publikumszuspruch nicht ab, 10 253 Zuschauer säumten die Prager O2-Arena. Sie waren den Schweizern wohlgesinnt, vor dem Stadion hatten sich manche lokale Fans gar ein weisses Kreuz auf rotem Grund ins Gesicht malen lassen, aber in der 59. Minute drehte die Stimmung. Ein gellendes Pfeifkonzert ergoss sich über den Schweizer Akteuren, die sich während rund 30 Sekunden weigerten, einen Angriff auszulösen und den Puck stattdessen in der Abwehrzone hin und her schoben. Reto Suri sagte später: «Ich bin dreimal in Richtung eigenes Tor abgedreht. Und ich hätte das auch noch ein viertes Mal tun sollen.»
Der Grund für Suris Vorsicht: Gegen Widersacher Deutschland war eine Strafe angezeigt gewesen, und die Schweizer trieb die Angst um, vielleicht doch noch ein Gegentor zu kassieren, in den finalen Sekunden. Das wäre fatal gewesen, denn das Team von Glen Hanlon bekundete in der Vorwärtsbewegung allergrösste Mühe. 18 Schüsse brachten die Schweizer auf das gegnerische Tor, gegen einen Widersacher, der von Kanada am Sonntag mit 10:0 zerzaust worden war. Damien Brunner, in Prag bisher kein Faktor, begründete den Leerlauf im helvetischen Offensivspiel auch mit mangelnder Eisqualität. Die Gründe jedoch lagen anderswo: Es fehlte an Ideen, an Überzeugung, eigentlich fast allem.
Immerhin im Powerplay will Hanlon nun reagieren und das Duo Mark Streit/Roman Josi separieren. Von der Massnahme dürfte vor allem Josi profitieren, auf den die Präsenz seines langjährigen Idols Streit eine hemmende Wirkung zu haben scheint.
Gestern liess die Schweiz gleich sechs Überzahlgelegenheiten ungenutzt, doch gegen das sehr harmlose Deutschland rächten sich die Versäumnisse nicht. In der 53. Minute traf Denis Hollenstein zum 1:0, er war vom deutschen Defensivverbund um den SCB-Verteidiger Justin Krueger allein vor Goalie Pielmeier vergessen worden. In einer niveauarmen Begegnung reichte dieser eine Treffer zum Sieg. Zugs Reto Suri sagte: «Die drei Punkte sind alles, was zählt.» Sein Trainer argumentierte ähnlich, auch wenn der Abnützungskampf an seinen Nerven zehrte. Hanlon sagte: «Das war ein harter Kampf, ich bin sehr, sehr erschöpft. Ich könnte jetzt einen Tag in Disneyland gebrauchen.»
Derartiges Freizeitprogramm hat Prag nicht zu bieten, bloss einen in die Jahre gekommenen «Dino-Park» gleich neben dem Stadion; ein Rendezvous mit Mickey Mouse ist erst 2017 möglich, wenn Paris als WM-Austragungsstätte firmiert. Ob Hanlon jene Titelkämpfe als Schweizer Nationaltrainer erleben wird, ist unklar, sein Vertrag endet ja im Juni 2016. Der Trainer braucht Argumente in Form von Erfolgen, klar, und in Prag zumindest das Erreichen des Minimalziels Viertelfinalqualifikation. Was diese betrifft, befindet sich Hanlon wieder auf Kurs, dank zuletzt zwei Siegen und inzwischen sieben Zählern.
Gelingt heute gegen das noch punktelose Lettland (16.15, SRF 2) abermals ein Erfolg, dürfte den Schweizern der Sprung unter die letzten acht kaum noch zu vereiteln sein. Gewiss: Die aussichtsreiche Aussichtslage ist weniger mit helvetischen Grosstaten zu erklären als viel mehr mit der schwachen Konkurrenz in der Gruppe A. Aber das ist nicht das Problem der Schweizer. Suri sagte: «Wir wissen, dass wir uns steigern müssen. Aber unsere Aufgabe ist es nicht, für Spektakel zu sorgen, sondern Punkte zu sammeln.»
An die Vorgabe halten sich die Schweizer bislang eisern, sie sind bisher eine Art Spielverderber dieser teilweise mitreissenden WM. Der in grosser Anzahl mitgereiste Schweizer Anhang verzieh es dem Team. Ein Sieg, das war der Tenor, duftet immer süss. Und gegen den ewigen Rivalen Deutschland ganz besonders.
Schweiz - Deutschland 1:0 (0:0, 0:0, 1:0)
O2-Arena, Prag. 10 253 Zuschauer. – SR Nord/Bulanow (Sd/Russ), Puolakka/Sefcik (Fi/Slk).
Tor: 53. Hollenstein (Brunner, Romy) 1:0.
Strafen: 3-mal 2 Minuten gegen die Schweiz, 6-mal 2 Minuten gegen Deutschland.
Schweiz: Genoni; Blum, Josi; Geering, Streit; Helbling, Grossmann; Bodenmann, Ambühl, Bieber; Fiala, Almond, Suri; Brunner, Romy, Hollenstein; Walker, Trachsler, Wieser; Schäppi.
Deutschland: Pielmeier; Kohl, Nikolai Goc; Krueger, Müller; Daschner, Koppchen; Krupp; Yannic Seidenberg, Raedeke, Kink; Reimer, Pietta, Ehliz; Wolf, Hager, Rieder; Oppenheimer, Hospelt, Plachta; Krammer.
Bemerkungen: Schweiz ohne Du Bois, Kukan (beide verletzt), Manzato (überzählig), Scherwey (nicht gemeldet) und Berra (Ersatztorhüter). Time-out Schweiz (59:03). – Schüsse: Schweiz 18 (4-8-6); Deutschland 18 (8-6-4). – Powerplay-Ausbeute: Schweiz 5/0: Deutschland 3/0.
Hinweis: Mehr Eishockey auf Seite 31.