Erster Titelkampf
Die gebürtige Russin Natalia Gemperle darf jetzt doch für die Schweiz starten – aber nicht im OL

Holt die 31-Jährige Natalia Gemperle-Vinogradova diese Woche ihre erste Medaille für die Schweiz? Vom OL-Verband erhielt sie keine Starterlaubnis für die WM – von World Athletics für die Off-Road-EM hingegen schon.

Rainer Sommerhalder
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Natalia Gemperle präsentiert sich stolz im Nationaldress des Schweizer Berglaufteams und mit Tochter Luna im Arm .

Natalia Gemperle präsentiert sich stolz im Nationaldress des Schweizer Berglaufteams und mit Tochter Luna im Arm .

ZVG

Natalia Gemperle-Vinogradova ist eine der weltbesten Orientierungsläuferinnen. Zwölf WM-Medaillen gewann die 31-Jährige für ihr Heimatland Russland. An den derzeit stattfindenden Sprint-Weltmeisterschaften in Dänemark ist sie die grosse Abwesende. Seit 2016 mit einem Schweizer verheiratet und seit März 2022 im Besitz des Schweizer Passes, wollte sie mit einem forcierten Nationenwechsel den Bann gegen russische Sportlerinnen und Sportler überwinden und einen für 2023 geplanten Eintritt ins Schweizer OL-Nationalkader vorziehen.

Der internationale Verband lehnte ihr Gesuch ab, da Natalia Gemperle im Februar an einem drittklassigen OL-Wettkampf in der Türkei noch für Russland startete und der Einsatz für zwei verschiedene Länder im gleichen Kalenderjahr gemäss Reglement nicht gestattet ist.

Doch der anfängliche Frust über die verlorenen sportlichen Ambitionen hat sich bei der herzlichen Athletin in positive Emotionen und grosse Vorfreude verwandelt. Gemperle vertritt die Schweiz in dieser Woche nun doch an internationalen Titelkämpfen – aber nicht im OL.

Selektion für die Premiere einer Off-Road-EM

Die 31-Jährige gehört zum Schweizer Aufgebot für die erstmals in dieser Form stattfindenden Off-Road-Europameisterschaften auf der Kanareninsel La Palma. Im Gebiet, wo im vergangenen Jahr ein Vulkanausbruch für Angst und Schrecken sorgte, rennen die besten Bergläufer und Trailrunner nun die Hügel rauf unter runter. Erstmals werden die Titelkämpfe im Berglauf und im Trailrunning zusammengefasst. Im November folgt dann auch noch die WM-Premiere in Thailand.

Die Schweiz steht vor allem bei den Frauen im Berglauf über 8,8 Kilometer und 1000 Meter Steigung am Freitag sowie im Up-and-Down-Rennen am Sonntag über 17,6 Kilometer mit 858 Meter Bergauf- und Bergab-Strecke mit guten Medaillenchancen da. Die Westschweizerin Maude Mathys hat die Berglauf-EM zuletzt dreimal in Serie gewonnen. Zusammen mit der starken Duathletin Melanie Maurer und eben mit Natalia Gemperle sieht es auch in der Teamwertung sehr gut aus.

Co-Nationaltrainer Gabriel Lombriser traut Neuzugang Gemperle dank ihren spezifischen OL-Fähigkeiten im Up-and-Down-Rennen sogar eine Einzelmedaille zu. Die Läuferin selbst verspricht, für das Team ihres neuen Heimatlandes «wirklich alles zu geben».

Theoretisch sogar Medaillen für zwei verschiedene Nationen möglich

Natalia Gemperle hat von World Athletics die Starterlaubnis für die Schweiz erhalten, weil sie als Leichtathletin nie für Russland in Erscheinung trat. So entfällt auch die dreijährige Wartezeit, welche zum Beispiel der schwedischstämmige Sprinter Felix Svensson für seinen Nationenwechsel zur Schweiz auf sich nehmen musste.

«Wir betrachten Natalia Gemperle als Schweizerin», sagt Philipp Bandi, Leistungssportchef von Swiss Athletics, kurz und bündig. Verwundert hat er bei den Abklärungen festgestellt, dass aufgrund der unterschiedlichen Regelungen einzelner Weltverbände es theoretisch sogar möglich wäre, in einer Sportart für ein Land und in einer anderen für eine andere Nation anzutreten.

OL-WM in der Schweiz als weiteres grosses Ziel

Verabschiedet sich die Neo-Schweizerin nun sogar von ihrer Kernsportart OL – zumal sich Natalia Gemperle auch einen Off-Road-Start an der WM in Thailand vorstellen kann? Wohl kaum, denn unmittelbar nach der EM auf den Kanaren reist sie mit Ehemann und Tochter nach Schweden ins OL-Trainingslager, damit die Routine in der technisch anspruchsvollen Sportart nicht verloren geht.

Schliesslich findet im kommenden Jahr die OL-WM im Kanton Graubünden statt. Dort will Natalia Gemperle eine Medaille gewinnen – für die Schweiz.