Der Transfermarkt im Reich der Mitte boomt. Die chinesischen Klubs geben Rekordsummen für neue Spieler aus. Schon ist von einer Blase die Rede.
Noch vor wenigen Jahren hätten die chinesischen Erstligisten in Europa nicht einmal in Regionalligen mithalten können. Den chinesischen Klubs fehlte es an Nachwuchs, einige Vereine waren regelmässig in Korruptionsskandale verwickelt, Spieler aus dem Ausland zeigten nur wenig Interesse an China. Als entsprechend schlecht galten die spielerischen Qualitäten. Das könnte schon in der nächsten Spielzeit ganz anders aussehen. Der Grund: In China boomt der Transfermarkt. Er ist sogar der finanzstärkste der Welt.
Wie in der vergangenen Woche bekannt gegeben wurde, hat der chinesische Erstligist Jiangsu Suning für umgerechnet rund 55 Millionen Franken den brasilianischen Mittelfeldspieler Alex Texeira übernommen. Texeira spielte bisher für den ukrainischen Klub Schachtar Donezk. Damit hat der ostchinesische Verein aus Nanjing einen neuen Transferrekord im asiatischen Fussball aufgestellt.
Dabei war der Rekord erst einen Tag zuvor schon einmal gebrochen worden. Guangzhou Evergrande, der Meister von 2011 bis 2015, hatte am Mittwoch verkündet, den Jackson Martinez, bisher Stürmer von Atletico Madrid, übernommen zu haben – für stolze 46 Millionen Franken.
In keiner Liga der Welt wurde im nun endenden Wintertransferfenster so viel Geld für neue Spieler hingeblättert wie in China. Mit umgerechnet rund 150 Millionen Franken werden die chinesischen Klubs sogar mehr Geld für den Spielertransfer ausgegeben haben als die der englischen Premier League. In China endet das Transferfenster am 26. Februar.
Vor allem brasilianische Spieler sind bei chinesischen Vereinen angesagt. Für den Mittelfeldspieler Renato Augusto bezahlte der Pekinger Erstligist Guoan Anfang Januar eine Ablösesumme von rund 8 Millionen. Um Augusto hatte sich auch Schalke 04 bemüht. Doch die Chinesen boten mehr. Für seinen Landsmann Carlos Silva, bekannt auch unter dem Namen Gil, zahlt der Verein Shandong Luneng sogar 9 Millionen Franken.
Ebenfalls zu Chinas Neuzugängen dieser Transferperiode gehören Fredy Guarin von Inter Mailand und der ivorische Stürmer Gervinho, ehemals AS Roma. «Chinas Vereine haben sich spielerisch noch gar nicht behauptet», kritisiert Lu Zhiyuan, ein unabhängiger chinesischer Fussballexperte. Trotzdem würden Rekordsummen gezahlt. «Das sieht verdächtig nach einer Blase im chinesischen Fussball aus.»
Dass im chinesischen Fussball derzeit so hohe Transfersummen geboten werden, ist unmittelbar auf Chinas Staatspräsident Xi Jinping zurückzuführen. Der bekennende Fussball-Fan hatte vor zwei Jahren den Aufbau einer Profiliga zu einer «nationalen Prestigefrage» erklärt. «Ein Aufleben des Fussballs ist entscheidend auf Chinas Weg zu einer Sportnation», waren seine Worte. Die chinesische Nationalmannschaft belegte im weltweiten Fifa-Ranking damals Platz 78.
Inzwischen ist China sogar auf den 84. Platz abgerutscht. Trotzdem wird im chinesischen Fussball seitdem kräftig geklotzt. Das erklärte Ziel von Xi: China soll 2026 Austragungsort der Weltmeisterschaft werden. Die Regierung hat seitdem landesweit Hunderte von Fussballschulen errichten lassen, um junge Spieler zu trainieren. Die Plätze für Golf – bislang der Volkssport unter Chinas Reichen – werden zu Fussballfeldern gemacht.
Auch Chinas reiche Unternehmer folgen dem Aufruf ihres Staatschefs. Vor einem Jahr kaufte der Internetkonzern Alibaba für umgerechnet rund 153 Millionen Franken den chinesischen Meister Guangzhou Evergrande – eine für chinesische Verhältnisse ungewöhnlich hohe Summe: Auf einen Schlag rangierte das Team aus der südchinesischen Metropole weltweit auf Platz 16 der wertvollsten Fussballclubs und wurde damit sogar höher bewertet als Atletico Madrid. Auch andere Milliardäre investieren seitdem kräftig in chinesische Vereine, die wiederum nun Rekordsummen für neue Spieler ausgeben.
An Geld scheint es in China nicht zu fehlen. Soeben hat das chinesische Staatsfernsehen die Übertragungsrechte von Chinas Super League zwischen 2016 und 2020 für 1,3 Milliarden US-Dollar gekauft – und damit 30-mal so viel ausgegeben wie für die derzeitige Zeitspanne zwischen 2012 und 2016. Arsène Wenger, Trainer von Arsenal London, warnt bereits davor, dass China genug finanzielle Kraft habe, um eine ganze europäische Liga dorthin zu verlegen. «Ich weiss nicht, wie gross Chinas Verlangen wirklich ist», sagte er Anfang der Woche vor einer Schar Reporter. «Doch wenn es einen sehr starken politischen Willen gibt, sollten wir uns sorgen.»
Kritiker befürchten, der massive Zukauf ausländischer Spieler könnte dem Ziel der Zentralregierung womöglich sogar entgegenstehen. Schliesslich nehmen sie den chinesischen Spielern die Möglichkeit, häufig zum Einsatz zu kommen. Für Einsätze im Nationalteam seien sie unzureichend vorbereitet.
Fussball-Experte Liu befürchtet noch verheerendere Folgen. Trotz der hohen Transfersummen bleibe das Niveau der chinesischen Klubs schlecht. Viele ausländische Spieler würden China von sich aus schnell wieder verlassen wollen, prophezeit Liu. Spätestens dann platze Chinas Fussball-Blase.
Die 55-Millionen-Franken-Verpflichtung von Alex Texeira durch Jiangsu Suning krönt die Transfer-Offensive der 16 Clubs der chinesischen Super League. Ein Überblick der bisher teuersten Verpflichtungen chinesischer Vereine von Profis aus Europa:
55 Millionen Franken
Alex Texeira: von Schachtar Donezk zu Jiangsu Suning.
46 Millionen Franken
Jackson Martinez: von Atletico Madrid zu Guangzhou Evergrande.
30 Millionen Franken
Ramires: vom FC Chelsea zu JS Suning.
20 Millionen Franken
Gervinho: von der AS Roma zu Hebei China Fortune.
Felix Lee, Peking