Nächsten Samstag wird um 20.45 Uhr in Berlin der grosse Final angepfiffen: Juventus Turin und der FC Barcelona kämpfen um den Thron im europäischen Klubfussball. Mit dabei als Verteidiger im Team der Italiener: Stephan Lichtsteiner (31), in Adligenswil aufgewachsen. Und mit dabei im Publikum: sein Vater Reto. Vor dem grossen Spiel spricht Reto Lichtsteiner (63) über die Karriere seines Sohnes.
TURI BUCHER
Viele Jahre spielte Reto Lichtsteiner im Firmenteam der Schweizer Rückversicherung in Zürich. «Ich fuhr samstags jeweils von Adligenswil nach Adliswil zum Firmenfussball, zumeist mit meiner Frau Romy und meinen Söhnen Marco und Stephan. Von diesen Spielen holte sich Stephan seine ersten Fussballeindrücke.» Als es 1985 mit dem FC Adligenswil losgeht, ist Reto Lichtsteiner Gründungsmitglied. Er engagiert sich als Präsident und Aktivspieler im 4.-Liga-Team (als Libero und im Mittelfeld), danach auch als F-Junioren-Trainer. Sohn Stephan lernt das Einmaleins des Fussballs sozusagen von seinem Vater. «Vielleicht das Einmaleins, die 10er-Reihe dann aber schon nicht mehr», schmunzelt Vater Lichtsteiner. Als D-Junior wird Stephan schon bei den C-Junioren eingesetzt.
Als Stephan Lichtsteiner 1996 zu den C-Junioren des FC Luzern wechselt, spielt er im zentralen Mittelfeld als klassische Nummer 10. Seine Trainer sind unter anderen Heinz Fellmann, Bigi Meier, Herbert Baumann. «Besonders seinem Trainer Heinz Fellmann hat Stephan viel zu verdanken», erinnert sich der Vater. Reto Lichtsteiners Ehefrau Romy übernimmt meistens den «Chauffeurdienst» von Adligenswil auf die Luzerner Allmend und umgekehrt. «Aber», so Vater Lichtsteiner, «Stephan fuhr auch ab und zu mit den Rollerblades und mit dem Bus ins Training.» Stephan absolviert die Sekundarschule in Adligenswil. Als Innerschweizer U-14-Auswahlspieler wird er erstmals als Aussenverteidiger eingesetzt.
«GC war zu dieser Zeit halt führend, was die Nachwuchsförderung und Talentbetreuung betrifft, der FC Luzern steckte diesbezüglich noch in den Kinderschuhen», erklärt Reto Lichtsteiner den Wechsel von Stephan im Jahr 2000 nach Zürich zu den Grasshoppers. «Stephan wohnte zusammen mit anderen GC-Talenten in einer WG.» Speziell: Während die Lichtsteiners nach Hergiswil umziehen, hat Stephan Lichtsteiner mit der Garage Epper in Kriens einen Vertrag für eine KV-Lehre. «Die Schulbehörde stand sozusagen vor der Tür», erinnert sich der Vater, «sie wollte wissen, wieso Stephan diese KV-Lehre jetzt nicht antreten wird.» Alles halb so wild: Stephan Lichtsteiner macht stattdessen eine Banklehre bei der Credit Suisse in Zürich. Bei GC sind Marcel Koller, Alain Geiger, Carlos Bernegger und Hanspeter Latour seine Trainer. Lichtsteiner wird 2002/03 mit GC Schweizer Meister.
Stephan Lichtsteiner wechselt 2005 als 21-Jähriger nach Frankreich in die Ligue 1 zum OSC Lille. «Wir wussten ja kaum etwas von dieser Stadt», erzählt Reto Lichtsteiner. «Du willst wirklich dort in den Norden Frankreichs hinauf?», fragt er seinen Sohn. «Diese Chance will ich packen», bekommt er zur Antwort.
Vier Jahre später der nächste Karriereschritt: Lichtsteiner wird nach Italien zu Lazio Rom transferiert. «Eine ganz andere Mentalität, eine ganz andere Medienkultur», gibt Vater Lichtsteiner zu bedenken. Während die französische Presse recht beschaulich über den Fussball berichtet, ist der Calcio in Rom Religion. Und nicht nur dann, wenn Lazio gegen die AS Roma spielt.
Im Januar 2011 wird Stephan Lichtsteiner erstmals Vater. Lichtsteiners Frau Manuela liegt in Zürich im Spital, Töchterchen Kim meldet sich im Bauch, es möchte endlich zur Welt kommen. Doch der Fussballstar steckt in Rom fest. Vater Reto ist auch in der italienischen Hauptstadt. Für ihn ist klar: Stephan muss bei der Geburt seines Kindes dabei sein. Los gehts in Richtung Römer Flughafen, und zwar auf die italienische Art, hier ein paar Mal hupen, da ein paar hundert Meter auf dem Pannenstreifen. Kim Lichtsteiner kommt um 23 Uhr zur Welt, Vater Stephan blickt ihr glücklich in die Augen. Am nächsten Tag steht Lichtsteiner in Mailand schon wieder auf dem Rasen, für das Spiel Milan - Lazio. Bruder Marco hat ihn mit dem Auto nach Mailand gefahren.
Einige Monate später folgt der ganz grosse Transfercoup: Lichtsteiner wechselt von Lazio zu Juventus Turin. Juventus muss 10 Millionen Euro zahlbar über drei Jahre, wie es heisst – an Lazio Rom rüberschieben. Anfang 2015 verlängert der inzwischen 31-jährige Lichtsteiner seinen Vertrag in Turin bis 2017.
«Marco ist Bruder, Freund und Manager von Stephan», hält Vater Reto Lichtsteiner nicht ohne Stolz fest. Marco übernimmt parallel zum Wirtschaftsstudium sozusagen die Karriereplanung seines fussballerisch so erfolgreichen Bruders. Marco, einst selbst Junior beim FC Adligenswil, und Stephan hätten als Kinder untereinander immer den Wettkampf gesucht, sagt der Vater, sei es im Fussball, beim Skifahren, im Eishockey oder ganz einfach beim Pingpong. «Du darfst im Sport Erfolg haben, aber du musst nicht», habe ich meinen Kindern immer gesagt», erzählt Reto Lichtsteiner, «aber ich habe auch verlangt, dass der Fallschirm, wenn er benötigt würde, gepackt bereit steht.»
Mutter Romy und Vater Reto haben den Städteflug nach Berlin natürlich längst gebucht. Die Final-Tickets hat Stephan organisiert. «Das wird natürlich schon ein Tag, an dem ich ganz, ganz nervös sein werde», sagt Reto Lichtsteiner. «Und der Wunsch, dass es für Juventus Turin, für Stephan klappt, ist gross. Und wenn Juventus dann tatsächlich den Champions-League-Finalsieg schafft, wird die Planung der nächtlichen Stunden ad hoc laufen.»
Nach dem Champions-League-Final steht für die Schweizer Nationalmannschaft noch ein EM-Qualifikationsspiel (am 14. Juni auswärts in Litauen) auf dem Programm. Danach wird Stephan Lichtsteiner mit seiner Familie auch einige Wochen in der Schweiz verbringen. «Sie haben noch eine kleine Wohnung in der Region Zürich», verrät der Vater. Romy und Reto Lichtsteiner reisen pro Jahr vier- bis fünfmal für eine Woche nach Turin. «Ich will halt meine Enkelkinder sehen», sagt der stolze Grossvater und ist überzeugt: «Wenn Stephans Karriere einmal beendet ist, wird er mit seiner Familie in die Schweiz zurückkehren.» Vater Reto Lichtsteiner sagt abschliessend: «Stephan ist gern in der Natur draussen, er braucht die Schweizer Berge.»