Heimteam vor letztem Auftritt?

Russland ist mit zwei Siegen in die Weltmeisterschaft gestartet, trotzdem hält sich die Euphorie in Moskau in Grenzen. Gegen Spanien erwarten auch die grössten Fans ein Ausscheiden ihres Teams.

Raphael Gutzwiller, Moskau
Drucken
In den ersten beiden WM-Spielen überzeugte Russland mit acht erzielten Treffern. (Bild: Matthias Schrader/AP)

In den ersten beiden WM-Spielen überzeugte Russland mit acht erzielten Treffern. (Bild: Matthias Schrader/AP)

«Ah, nun spielt also doch wieder das richtige Russland», witzelte ein Fussballreporter im russischen Radio während des Spiels gegen Uruguay am Montag. Er sprach damit einigen Russen aus der Seele. Verwundert hatte man im grössten Land der Welt die Augen gerieben. Mit zwei Siegen gegen Saudi-Arabien (5:0) und Ägypten (3:1) ist man in die Heim-Weltmeisterschaft gestartet. Beim 0:3 gegen Uruguay sah man aber wieder jenes Team, dass in Russland eigentlich jeder erwartet hatte. «Natürlich freue ich mich, wenn Russland gewinnt», sagt Anastasia (27) aus Moskau. «Aber eigentlich erwartet das hier niemand. Es ist schade, aber der Glaube an das eigene Team ist nicht sehr gross. Wir sind schon überrascht, dass wir immer noch mit dabei sind.»

Spanien fürchtet sich vor russischer Stimmung

So wie Anastasia denken die meisten. Egal, wen man auf Moskaus Strassen fragt, an ein Weiterkommen glaubt niemand. Dabei sieht man gerade im Stadtzentrum viele Menschen im russischen Nationaltrikot. «Ich will zeigen, dass ich unsere Mannschaft unterstütze», erzählt Aleksandr. «Es ist cool, dass wir hier eine Weltmeisterschaft haben. Alle sind glücklich. Aber deshalb können wir noch lange nicht so gut spielen wie Spanien.»

Tatsächlich käme ein Weiterkommen im Achtelfinal gegen Spanien einer grossen Überraschung gleich. Der Weltmeister von 2010 geht als Favorit in das Duell, auch wenn er im bisherigen Turnier wenig glänzte. Gegen Portugal gab es noch eine gute Leistung und ein 3:3, die Auftritte gegen den Iran (1:0) und Marokko (2:2) waren für die hohen Ansprüche der Iberer aber zu wenig. Insbesondere die Tatsache, dass man in drei Spielen schon fünf Gegentore erhalten hat, löste in der Heimat Kritik aus. Rechtsverteidiger Dani Carvajal äusserte sich an einer Pressekonferenz: «Wir müssen aus unseren Abwehrfehlern lernen. Wir haben unsere Gegentore leichtfertig kassiert. Sie waren eher unseren eigenen Fehlern geschuldet als vom Gegner herausgespielt.»

Diese Tatsache sehen die Russen als grosse Chance. «Natürlich ­haben wir Respekt vor Spanien, aber Angst haben wir nicht», meinte dazu der russische Nationalverteidiger Mario Fernandes. Der russisch-brasilianische Doppelbürger meint weiter: «Wir spielen eine gute WM, ungeachtet dieser Schlappe gegen Uruguay. Auch gegen Spanien wollen wir guten Fussball zeigen.»

Russland und Spanien standen sich gar noch nie an einer Weltmeisterschaft gegenüber. Aber Spanien war Endstation beim letzten Erfolg der Russen. 2008 an der EM in der Schweiz und in Österreich besiegte Spanien ein davor beeindruckend spielendes Russland mit 3:0. Auf russischer Seite sind von damals noch Igor Akinfejew, Juri Schirkow, Sergej Ignaschewitsch mit dabei, bei Spanien Sergio Ramos, David Silva und Andres Iniesta.

Nun wollen die Russen Revanche. Damit dies gelingt, brauchen sie Unterstützung der heimischen Bevölkerung. Das Finalstadion Luschniki wird mit 81000 Zuschauern ausverkauft sein. «Ich liebe dieses Stadion», sagt Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow. Und auch sein Gegenüber Fernando Hierro sagt: «Es wird eine beeindruckende Stimmung herrschen.»

Davon geht man auch auf Moskaus Strassen aus. Aleksandr sagt, er habe sich kein Ticket kaufen können. Trotzdem hofft er nicht, dass es der letzte Auftritt seines Teams ist. «Im Fussball ist ja immer alles möglich.»