Die New England Patriots entzaubern in einem niveauarmen und von Fehlern geprägten Superbowl die Los Angeles Rams. Das Warten auf die Wachablösung in der NFL hält an.
Bill Belichick mag das Meer, die Stille, die Wellen. Der Coach der New England Patriots pflegt mit seiner Freundin Linda auf einem Motorboot übers Wasser zu tuckern. Nach jedem Superbowl-Triumph benennt er seinen Kahn um, nach einem denkwürdigen Abend in Atlanta, Georgia, wird aus «VII Rings» nun «VIII Rings» werden. Mit einem 13:3-Sieg über die Los Angeles Rams sicherte sich Belichick seinen achten Ring, diese individuelle Superbowl-Prämie, den sechsten als Chefcoach in New England. Es ist der verdiente Lohn dafür, dass Belichick (66) das Generationenduell mit seinem Gegenüber Sean McVay (33) deutlicher nicht hätte gewinnen können.
McVay war als visionärer Offensivguru verklärt worden, doch im bisher wichtigsten Spiel seiner Karriere wurde er von Belichick entzaubert: Seinem überforderten Quarterback Jared Goff war McVay keine Hilfe, zu Beginn mussten die Rams den Ball achtmal in Serie punten, also wegkicken. Es war ein trauriger Superbowl-Rekord. McVay fiel nichts ein, er hatte keine Idee, um die mittelmässig besetzte Defensive der Patriots in irgendeiner Form zu überraschen.
Die Konsequenz war einer der von A bis Z unansehnlichsten Superbowls der Geschichte: Nie hat es weniger Punkte gegeben. Selten war eine Halbzeitshow öder als die von Maroon 5. Und selbst die Live-Übertragung auf ProSieben fiel ab, man musste dort hilflos mitverfolgen, wie der Kommentator sich als Groupie des Patriots-Profi Rob Gronkowski enttarnte und Handyvideos schiessen wollte.
Es war für nicht wenige Menschen ein schmerzhafter Abend. Für jene, die sich in der NFL eine Wachablösung wünschten, angesichts der neunten Superbowl-Teilnahme der Patriots seit 2001. Und vor allem für die in der Vorschlussrunde gegen die Rams von den Schiedsrichtern betrogenen New Orleans Saints, für deren Anhänger feststeht, dass ihr Team diesem in keiner Weise unwiderstehlichen Gegner bestimmt mehr entgegenzusetzen gehabt hätten als Los Angeles. Ein nachvollziehbarer Gedankengang, denn von den Rams kam nichts.
Das alles soll das Vermächtnis der Patriots nicht schmälern, ihre Dynastie ist im Superbowl-Zeitalter unerreicht. Tom Brady, der 41-jährige Spielmacher, hat mit sechs Superbowls nun mehr Titel als 30 der 32 NFL-Teams. Er gilt als der beste Quarterback aller Zeiten, und angesichts seines Palmarès kann man dagegen schlecht argumentieren. In Atlanta erreichte Brady sein Rendement nie, er zeigte eine ziemlich bescheidene Darbietung, warf keinen einzigen Touchdown, dafür eine Interception und sorgte nur für 235 Yards Raumgewinn. Aber es war egal, so überfordert war die Rams-Offensive.
Die NFL wirkt derzeit so, als inszeniere sie kunstvoll eine American-Football-Adaption des Gary-Lineker-Zitats «Fussball ist, wenn 22 Männer einem Ball hinterherjagen, und am Ende gewinnen die Deutschen». Es gibt Parallelen zwischen der deutschen Nationalmannschaft von 1990 und den Patriots des 21. Jahrhunderts; beide haben diesen fast verbissenen Ehrgeiz und die Gabe, in den entscheidenden Momenten desillusionierend kompakt zu spielen.
Die Frage bleibt, wie lange die Patriots ihre Dominanz noch aufrechterhalten können. Ihnen droht in den nächsten Wochen der Verlust der elementaren Offensivkraft Gronkowski, die sich angesichts körperlicher Gebrechen seit längerem mit einem Rücktritt befasst. Brady wird im August 42, natürlich immer noch Modellathlet, aber es hat noch niemanden gegeben, der den Alterungsprozess auf Dauer überlisten konnte.
Es sind Fragen für die Zukunft. Die Gegenwart sieht so aus, dass Bill Belichick, dieser wahre Herr der Ringe, sein Boot neu bemalen lässt, aufs Wasser fährt und das Leben geniesst.