Der ehemalige Eishockey-Einzelrichter schreibt in seiner Kolumne über den Start der «schönsten sechs Eishockeywochen». Steigern muss sich der EV Zug in mehrfacher Hinsicht.
Vor zwei Jahren fielen die Playoffs dem Coronavirus zum Opfer, und es wurden keine Meisterehren vergeben. In der letzten Saison erfolgte die Ausmarchung um den Titel wieder im gewohnten Format, allerdings nur im Best-of-five-Modus und vor leeren Rängen. Mittlerweile hat der Sport einen Teil der Hoheit über den Liveticker zurückerhalten, während die Coronazahlen sowie das Interesse dafür in den Hintergrund gerückt sind.
Am Freitag beginnen die Playoffs im üblichen Format; erwartet werden gut besuchte bis volle Ränge. Wolle und Garn, aus welchen durch die Akteure im Rink und die Schaulustigen um diesen herum der Stoff der grossen Playoff-Dramen gewoben wird, liegen demnach wieder bereit. Durch diese Umstände erhält das Spiel auch Magie und Faszination zurück. In der letzten Saison mutierte der EVZ zum Trendsetter der Liga. Sein zum Qualitätsartikel gereiftes Spiel brachte ihm schliesslich den verdienten Titel. Den eigenen Ansprüchen folgend soll dieser nun verteidigt werden. Das gelang in den letzten 25 Jahren nur zwei Klubs, nämlich den ZSC Lions 2001 und dem SC Bern 2017. Meister zu werden, ist offensichtlich einfacher, als Meister zu bleiben.
Playoff-Eishockey bedeutet auch für den EV Zug primär das Bekenntnis zu einem Spiel ohne Abwehrfehler. In den letzten fünf Matches der Regular Season war der Kreis der klarsichtigen Beobachter im eigenen Drittel erschreckend klein. Sorglosigkeit und defensive Vernunft kamen sich oft in die Quere. Das Ergebnis davon: Regelmässige Scheibenverluste in der Gefahrenzone, durch welche den Gegnern alle möglichen Wege zum erfolgreichen Torschuss geöffnet wurden.
Auf der anderen Seite des Rinks trafen sogar Spieler mit einem üblicherweise ausgeprägten Blick für den richtigen Weg ins Netz selbst das leere Tor nicht mehr. In Zahlen: Zwei Punkte, 3:16 Tore. Auch Meistergoalie Leonardo Genoni wirkte plötzlich nicht wirklich meisterlich und liess Schüsse passieren, die er üblicherweise pariert. Nun beginnt auf dem beschwerlichen Weg Richtung Verteidigung des Titels alles wieder von vorne.
Weil die EVZ-Equipe weiss, wie man gewinnt, wird sie sich die Hindernisse kaum mehr selbst in den Weg legen. Will beispielsweise heissen: Die drei Stürmer mit fremdem Pass, Kovar, Klingberg und Lander, werden sich nun mehr Skorerpunkte als Strafminuten notieren lassen müssen. Die angeborene Fähigkeit des Ausnahmekönners Jan Kovar, die Scheibe auch im dichtesten Verkehr auf den richtigen Stock zu steuern, wird es ebenso wieder brauchen, wie den Nimbus des meistbestraften Spielers auf hiesigem Eis in der Regular Season wieder loszuwerden. Ferner entspricht weniger als ein Punkt pro Spiel und Rang 20 in der Scorerliste weder den Fähigkeiten noch Ansprüchen des Tschechen an sich selbst. Eine negative Plus-/Minus-Bilanz wie in der Regular Season des Schweden Anton Lander (-2) als Center der zweiten Linie verträgt es in den Playoffs nicht. Leonardo Genoni wird in der Absicht, seine siebte Meisterschaft zu gewinnen, eine Abwehrquote von über 94 Prozent erreichen müssen, 92,1 Prozent wie in der Regular Season werden nicht genügen. Die nominell wohl beste vierte Linie der Liga muss in der entscheidenden Phase auf dem Eis auch wirklich (wieder) die beste sein. Dadurch wird dem Recht des gegnerischen Coaches, als Zweiter zu wechseln, die Wirkung weitgehend genommen.
Am Freitag wird die Bühne in der Bossard Arena freigegeben werden für den Start zu den schönsten sechs Eishockeywochen. Der blau-weisse Traum der erfolgreichen Titelverteidigung kann beginnen. Der Kontrast zum herzzerreissenden Albtraum in gelb-blau könnte nicht grösser sein.
*Reto Steinmann ist langjähriger Eishockeyjournalist, war von 2004 bis Ende Saison 2015/2016 Einzelrichter für Swiss Ice Hockey und praktiziert als Rechtsanwalt und Notar in Zug.