Die 30-jährige Bernerin unterstreicht als Fünfte in ihrem ersten WM-Final, dass sie definitiv an der absoluten Weltspitze im Sprint angekommen ist. Mit 10,91 Sekunden gelingt ihr die zweitbeste Zeit ihrer Karriere.
Der kritische Augenblick geschieht in den Halbfinals. Nach einem Rennen, mit dem Mujinga Kambundji selbst überhaupt nicht zufrieden ist, das sie «als verkrampft» wahrgenommen hat, steht die 30-Jährige minutenlang auf der Medientribüne und wartet auf die endgültige Entscheidung. Sollte es wieder nichts werden mit ihrer ersten WM-Finalteilnahme über 100 m?
Im Unterschied zur Weltmeisterschaft 2019 in Doha, als mickrige Tausendstel gegen sie entschieden, steht ihr das Glück diesmal bei. Als Vierte ihrer Serie und als zweiter Lucky Loser rettet sich die Bernerin um eine Hundertstelsekunde gegen die US-Athletin Daryll Neita in den Final. Denn mit 10,97 ist ihre Zeit letztlich doch um einiges besser als ihr Gefühl.
Im Final beweist die Hallen-Weltmeisterin über 60 m einmal mehr, dass sie ein absoluter Wettkampftyp ist. Mit der zweitschnellsten Reaktionszeit stürmt Kambundji auf Bahn 1 los, liegt bis vor den letzten 20 Metern auf der Höhe der jamaikanischen Olympiasiegerin Alaine Thompson-Herah, die im Ziel Dritte wird. In glänzenden 10,91 reicht es für die Schweizer Rekordhalterin am Schluss zu Rang 5.
Im Interview mit dem Schweizer Fernsehen zeigt sich Mujinga Kambundji glücklich und zufrieden. Mit der ersten Qualifikation für einen WM-Final über 100 m habe sie einen weiteren Meilenstein erreicht. «Und das erst noch in einem vollen Stadion mit super Stimmung. Das Gefühl war einiges besser als im Halbfinal», sagt sie.
Sie sei vor dem Final recht entspannt gewesen. «Ich kann ja in einem solchen Rennen nichts verlieren.» Nur eine Hoffnung erfüllt sich nicht ganz: «Ich dachte im ersten Augenblick, ich sei vielleicht unter 10,90 gerannt». Immerhin ist es die zweitbeste Zeit ihrer Karriere nach dem Rekordlauf an der Schweizer Meisterschaft im Juni in Zürich (10,89) und das zehnte Mal insgesamt, dass sie unter den magischen 11 Sekunden bleibt.
Geschichte schreibt derweil die 35-jährige Jamaikanerin Shelly-Ann Fraser Pryce. Mit neuem WM-Rekord von 10,67 stürmt sie zu ihrer insgesamt fünften Goldmedaille über 100 m. Eine solche Serie hat an Weltmeisterschaften noch keine Frau je in einer Disziplin geschafft. Wie bereits bei den Olympischen Spielen im vergangenen Sommer in Tokio feiern die jamaikanischen Frauen einen dreifachen Erfolg.
Durchzogen verläuft der Auftritt der Schweizer Hoffnungen. Während Annik Kälin im Mehrkampf mit Rang 8 nach dem ersten Tag in Tuchfühlung zu einem neuen Schweizer Rekord bleibt und Stabhochspringerin Angelica Moser dank einer Steigerung und übersprungenen 4,60 m den Final als Achte beendet, kämpft Hürdensprinter Jason Joseph beim Interview mit den Tränen.
Wie bereits bei den Titelkämpfen 2019 in Doha und den Olympischen Spielen 2021 bedeuten die Halbfinals für den 23-jährigen Baselbieter Endstation. Erneut bleibt er zeitlich in 13,67 weit unter seinen Möglichkeiten. Die für die erstmalige Finalqualifikation notwendigen 13,30 Sekunden hat Joseph eigentlich in den Beinen.
Gegenüber SRF geht er hart mit sich selbst ins Gericht: «Ich habe keine Ahnung, was los war. Keine Nerven, fehlende Erfahrung auf diesem Niveau oder schlicht zu schwach im Kopf für diese Bühne - ich weiss es nicht.»