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Der Pistolenschütze Michel Ansermet gewinnt die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney. Schon damals begeisterten den Obwaldner giftige Tiere. Heute sind diese Wesen ein Teil seiner Arbeit.
Lange darüber nachdenken, welche Begebenheit in seiner Karriere die Auszeichnung «mein Sportmoment» bekommen würde, musste Michel Ansermet nicht. «Das war ganz klar der Gewinn der Olympiamedaille im Jahr 2000 in Sydney», sagt der damals in Obwalden beheimatete internationale Top-Schütze. Am Donnerstag, dem 21. September des Jahres 2000, durfte sich der damals 35 Jahre alte und für die Pistolenschützen Sarnen lizenzierte Ansermet in Australien die Silbermedaille umhängen lassen. Im auf zwei Tage verteilten Wettkampf mit der Schnellfeuerpistole war nur der Russe Sergei Alifirenko noch um eine Spur treffsicherer. Ansermet erinnert sich genau an den finalen Wettkampf. Mehr noch: Er kann heute noch, fast 20 Jahre danach, jene Sekundenbruchteile nachempfinden, die ihm letztlich die Goldmedaille gekostet haben. «Jenen Schuss im Final, der nur acht Punkte und mich um die Goldmedaille gebracht hat, den kann ich noch richtig spüren. Ich habe aber nie gesagt, dass ich Gold verloren habe. Es war immer klar: Ich habe Silber gewinnen dürfen.»
Damit dieser grosse Sportmoment aber überhaupt habe Realität werden können, seien in der Retrospektive drei andere Begebenheiten zu Schlüsselmomenten geworden, erklärt Ansermet. Da war die Teilnahme an den Olympischen Spielen vier Jahre zuvor in Atlanta. «Dort habe ich in der Zusammenarbeit mit den Medien so ziemlich alles falsch gemacht. Nach dem ersten Wettkampftag habe ich an sechster Stelle gelegen und mich vor den Journalisten versteckt. Am zweiten Tag musste ich dafür büssen. Ich war für den Rummel nicht bereit und stürzte auf Platz 12 ab.» In Sydney habe er genau gegenteilig agiert und sich als Führender nach dem ersten Tag während Stunden der Medienarbeit gewidmet. «Ich habe in Sydney die Medien nicht mehr als zusätzlichen Druck empfunden, sondern die Journalisten quasi als Partner wahrgenommen.»
Zwei weitere prägende Momente für die Karriere und für jenen Moment in Sydney wichtige Erkenntnisse gehen gar auf das Jahr 1993 zurück. An den Weltmeisterschaften in Mailand sei er in Top-Form gewesen. Seine Schiesstechnik? Annähernd perfekt. Das Training und die Vorbereitung? Ideal. «Und dann habe ich im Wettkampf völlig versagt. Innerhalb weniger Tage nach dem Wettkampf haben mich Ralph Schumann, dreimaliger Olympiasieger, und der Moderne Fünfkämpfer Peter Steinmann mit ihren Ratschlägen wachgerüttelt.» So habe Schumann gesagt, dass die beste Technik ohne die Fähigkeit zur Improvisation nur dazu führe, im Schiessstand in «Schönheit zu sterben». Und von Steinmann kam der prägende Input, dass ein Sportler vom Irrweg des permanenten positiven Denkens – entgegen der zu dieser Zeit oft dozierten Lehre – wegkommen müsse. «Wenn ein mentales Hoch diametral zu einem gleichzeitigen physischen Tief steht, dann fehlt dir die Fähigkeit, in einer schwierigen Wettkampfphase reagieren zu können. Weil du aber alles positiv siehst, nimmst du nicht wahr, dass etwas nicht stimmt», erklärt der Schütze. Er habe die Tipps verinnerlicht und diese hätten letztlich den Weg zur Olympiamedaille bereits sieben Jahre zuvor zu ebnen begonnen.
Ansermet hatte sich in der Vorbereitung auf die Spiele 2000 die Wettkampfstätte immer und immer wieder, auch mit Hilfe eines Films auf Leinwand, vor Augen geführt. In Sydney selber waren aber weder Schumann noch Steinmann vor Ort. Michel Ansermet war in der Schiessanlage auf sich gestellt. Aber alleine war er nicht. Er, der schon damals die Arbeit mit Reptilien und Spinnen, am liebsten mit giftigen und gefährlichen, zum Hobby hatte, benützte jede Trainings- und Wettkampfpause für seine ganz besondere Methode, den Fokus behalten zu können. «Ganz nahe vom Wettkampfort befand sich eine riesige Teichanlage. Und dort lebten in freier Wildbahn Schlangen – ich war im Paradies. Weil es Giftschlangen gewesen sind, blieb meine Anspannung selbst in den Pausen hoch. Aber ich hatte in diesen Minuten zwischen Spinnen und Schlangen immer ein breites Grinsen im Gesicht.» Ein Grinsen, dass Michel Ansermet bei der Siegerehrung noch hatte und heute, wenn er an seinen grossen Sportmoment denkt, wieder hat.
Zur Person
Hinweis
In unserer Serie «Mein Moment» blicken Zentralschweizer Sportlerinnen und Sportler auf prägende Ereignisse ihrer Karriere zurück. Zuletzt erschienen die untenstehenden Porträts: