Ski Alpin
Bei Vivianne Härri fährt ein Stückchen Marco Odermatt mit

Die Obwaldner Skirennfahrerin Vivianne Härri (22) punktet in Kranjska Gora erstmals im Weltcup. Zufall ist das nicht.

Peter Gerber Plech
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Vivianne Härri hat zuletzt ihr Potenzial zeigen können.

Vivianne Härri hat zuletzt ihr Potenzial zeigen können.

Bild: Franck Faugere / Freshfocus (Courchevel, 21. Dezember 2021)

Nach einer Fahrzeit von etwas mehr als 140 Sekunden beim Riesenslalom von Kranjska Gora war es fix: Vivianne Härri hat die ersten vier Weltcup-Punkte auf dem Konto. Für eine Rennfahrerin, die erst ihr sechstes Rennen auf höchster Stufe absolviert hat und im Starthaus zuerst 47 Konkurrentinnen den Vortritt lassen musste, ist das keine Selbstverständlichkeit. Und dennoch waren die ersten Gefühle der Obwaldnerin ambivalent. Grund dafür war ein Fehler im 2. Lauf, der einige Zehntelsekunden gekostet und den Vormarsch bis in die Gegend von Platz 22 verhindert hatte. Am Ende gab es Rang 27 für Härri.

«Nach der ersten kleinen Enttäuschung überwiegt die Freude darüber, dass ich diesen Schritt nun gemacht habe», sagt sie nach etwas zeitlichem Abstand. Zur Freude gesellte sich der Stolz, sich nicht mit der Qualifikation für den 2. Lauf begnügt zu haben. «Ich habe noch einmal voll angegriffen. Ich wollte nicht einfach ein, zwei Pünktchen ins Trockene bringen.»

Zurück zum Set-up der Vorsaison

Die Geschichte dieser ersten Weltcup-Punkte beginnt aber nicht mit der ersten Fahrt im Ortsteil Podkoren von Kranjska Gora, die Härri zwischenzeitlich auf Rang 28 gebracht und gleichzeitig Slalom-Weltmeisterin Katharina Liensberger die Teilnahme am 2. Lauf gekostet hatte. Die Weltcup-Rennen von Sölden, Courchevel (2) und Lienz und selbst das Début vom März 2021 in Jasna waren für dieses Ergebnis wichtig. Härri sagt: «Jedes Rennen hat mich auf dem Weg weitergebracht. In Sölden habe ich gesehen, dass ich noch etwas ändern muss. Und in Courchevel habe ich nach den knapp verpassten Qualifikationen für die zweiten Läufe feststellen dürfen, dass nicht viel fehlt.» Die Änderung nach Sölden war elementar. Denn Härri hat im Materialbereich auf das Set-up der Vorsaison umgestellt und musste auch wieder den Fahrstil etwas anpassen. «Ich habe rasch wieder zu meinem schnellen Schwung zurückgefunden. Aber es war eine wichtige Erfahrung zu sehen, dass vermeintliche Kleinigkeiten in unserem Sport grosse Auswirkungen haben können.»

Shooting-Star Marco Odermatt ist Markenkollege von Vivianne Härri. Bei der Materialentwicklung oder Materialabstimmung aber kann die Obwaldnerin vom Nidwaldner nur bedingt profitieren. Der Ski der Männer unterscheidet sich vom Material für die Frauen. Dennoch ist auch ein Stückchen Odermatt im Härri-Ski drin. «Marcos Erfahrungen aus vielen Tests fliessen natürlich in die Produktion sämtlicher Stöckli-Skis ein, aber eins zu eins profitieren kann ich nicht», so Härri. «Ungeachtet dessen habe ich die Gewissheit, dass ich auf Material unterwegs bin, das an der Spitze mithalten kann. Mein Vertrauen in Stöckli ist gross, und die Betreuung ist top.» Auch die Arbeit mit den Trainern und innerhalb der Trainingsgruppe von Swiss-Ski passen derzeit. Zumal Härri eng mit einem alten Bekannten zu tun hat. Silvano Stadler, Swiss-Ski-Coach auf Stufe Weltcup, war bereits im ZSSV JO-Trainer der damals zwölf Jahre alten Obwaldnerin.

Vivianne Härri, hier beim Saisonstart in Sölden.

Vivianne Härri, hier beim Saisonstart in Sölden.

Bild: Keystone

Mit dem bisherigen Winter ist Härri zufrieden. «Aber ich wäre keine gute Athletin, wenn ich sagen würde, dass es nicht noch besser gehen könnte. Ich habe in Courchevel und in Kranjska Gora mein Potenzial zeigen können. Ganz dort, wo ich sein möchte, bin ich aber noch nicht. Im technischen Bereich kann ich noch Fortschritte machen, das macht Lust auf die wartende Arbeit.» Dann gibt es aber auch Dinge, welche die 22-Jährige nicht beeinflussen kann. Die besonderen Umstände rund um die Pandemie prägen auch ihren Alltag. «Trotz vorsichtigen Umgangs mit anderen Menschen kann es dich erwischen. Die Anspannung, wenn du auf das Ergebnis des PCR-Tests wartest, ist hoch. Das ist definitiv schlimmer, als wenn du auf ein Prüfungsergebnis warten müsstest. Draussen sein und die Trainings auf der Piste tun da so richtig gut und lenken auch etwas ab.»

In eine Vorbildrolle gerutscht

Vivianne Härri ist noch jung, als Fahrerin des nationalen B-Kaders aber bereits etabliert. Wie sieht sie die Rolle als Vorbild für den Obwaldner Nachwuchs? «Bei einem Brunch im vergangenen Sommer waren viele Kinder anwesend. Dort ist mir so richtig bewusst geworden, dass ich jetzt in eine Art Vorbildrolle hineingerutscht bin», sagt sie. «Dass die Kinder mich so sehen, ist ja auch schön. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als JO-Fahrerin die Kaderathletinnen bewundert habe. Heute kann ich mal einen nicht mehr gebrauchten Ausrüstungsgegenstand, zum Beispiel eine Jacke, weitergeben. Das macht auch mir Freude.»