Mountainbike
Alessandra Keller gibt nicht auf: «Olympia ist noch nicht abgeschrieben»

Mountainbikerin Alessandra Keller musste schon einige Tiefschläge hinnehmen. Doch Aufgeben ist für die Nidwaldnerin keine Option.

Theres Bühlmann
Drucken
Mountainbikerin mit Leib und Seele: Alessandra Keller (25).

Mountainbikerin mit Leib und Seele: Alessandra Keller (25).

Sich mit Alessandra Keller zu unterhalten, macht Freude. Man spürt die Leidenschaft und die Hingabe für ihren Sport. Die 25-jährige, in Ennetbürgen wohnhafte Athletin ist Mountainbikerin mit Leib und Seele. In ihrer Kindheit war sie sehr polysportiv unterwegs, betrieb Schwimmen, Eishockey, Biathlon, Schiessen und Langlauf. «Du hast viel Energie, versuche es doch mit Biken», sagten ihre Eltern eines Tages zu ihr.

Gesagt, getan. 2009 trat sie dem RMC Kerns (heute RMC Obwalden) bei. Sie gehörte bei den Juniorinnen zu den Weltbesten, denn schon früh stellten sich Erfolge ein. 2013 wurde sie im Alter von 17 Jahren U19-Weltmeisterin, ein Jahr später holte sie den EM-Titel. 2016 und 2017 gewann sie an der U23-WM die Bronzemedaille und an der EM 2017 die silberne Auszeichnung. Als einer der Höhepunkte ihrer Karriere konnte sie sich 2018 in Lenzerheide als U23-Weltmeisterin krönen lassen.

«Es war mein letztes Rennen als U23-Athletin, ich ging als Favoritin an den Start und konnte vor Heimpublikum dem Druck standhalten»,

sagt sie. Ein weiterer Glanzpunkt ist der bisher einzige Weltcup-Sieg, den sie als U23-Fahrerin 2018 in Andorra bei der Elite im Shortrace erreichte.

Sport und Studium waren nicht mehr vereinbar

Aber auch auf ihre berufliche Karriere legte sie ein Augenmerk. 2014 schloss sie das Gymnasium in Stans mit der Matura ab. Dann folgte ein halbjähriger Aufenthalt in Kanada, um die englische Sprache zu erlernen. Die nächste Station war die ETH Zürich, wo sie 2015 ein Studium der pharmazeutischen Wissenschaften begann. Doch Sport und Studium erwiesen sich als nicht mehr vereinbar, sie legte 2019 ihre Hochschulausbildung auf Eis und wechselte ins Mountainbike-Profilager– auch, um sich für die Olympischen Spiele in Tokio zu qualifizieren. Keller fährt für das Thömus RN Swiss Bike Team, dem auch Mathias Flückiger angehört. Die Nidwaldnerin kann von ihrem Sport leben. «Multimillionärin bin ich nicht», sagt sie schmunzelnd, «ich kann auf die Unterstützung meiner Sponsoren, meines Teams und der Sportförderung zählen.»

Keller lernte auch die negativen Seiten des Spitzensports kennen. 2019 stürzte sie beim Swiss Cup in Solothurn, brach sich beide Hände und verpasste einige Weltcup-Rennen. Beim Comeback im gleichen Jahr in Andorra belegte sie den zweiten Platz im Weltcup-Shortrace. Doch weitere Topresultate wollten sich in den Cross-Country-Rennen nicht so richtig einstellen. 2020 gewann sie den Overall Swiss Bike Cup, und während der Pandemie trainierte sie viel Ausdauer auf dem Rennrad.

Dann kam der verhängnisvolle Unfall im Januar 2021: Beim Aussteigen aus dem Auto rutschte sie aus, musste sich einer Kreuzband- und Meniskusoperation unterziehen. Der Zeitpunkt hätte nicht unglücklicher sein können, mitten in den Olympiavorbereitungen. Doch Aufgeben ist nicht die Art der Alessandra Keller, «das war nie eine Option», sagt sie.

«Dank meiner Disziplin, mit viel Geduld und der Unterstützung meines Teams und der Familie kämpfte ich mich durch die Reha wieder zurück ins Renngeschehen.»

In einer solchen Phase beschäftige man sich nur mit sich selber, weit weg von jeglicher Aufmerksamkeit. Jolanda Neff, Sina Frei und Linda Indergand wurden für Olympia selektioniert. Die Schweiz hatte ein Kontingent von drei Fahrerinnen zur Verfügung, Keller figurierte als Ersatz. Die Knieverletzung machte ihr einen Strich durch die olympische Rechnung – und auch der Umstand, dass die Konkurrenz aus dem eigenen Land sehr gross ist. «Natürlich war ich enttäuscht, aber ich sehe es nicht als Versagen von meiner Seite.» Das Mountainbike-Rennen in Tokio hat sie vor dem Fernseher verfolgt, sah den Dreifach-Triumph der Schweizerinnen.

«Genial, was das Trio geleistet hat. Durch diesen Erfolg katapultiert sich die Schweiz in eine neue Liga.»

Keller musste die Nicht­selektion verkraften, sich einmal mehr aus dem Tief kämpfen und jeweils das richtige Rezept finden: «Aufstehen und sich neu fokussieren.» Was ihr immer wieder gelingt, denn nach Olympia holte sie an der EM mit der Schweizer Staffel die Silbermedaille, im Einzel Rang 9. An der WM belegte sie Rang 10.

Sie hofft auf einen Winter ohne Zwischenfälle

Zwischen 15 und 30 Stunden trainiert Keller in der Woche, je nach Wettkampfplan. In diesem Jahr stehen für sie keine Rennen mehr an, nun geht es im Januar nach Südafrika ins Trainingslager. 2022 richtet sie den Fokus auf die EM, die WM und den Gesamtweltcup. «Ich hoffe einfach auf einen Winter ohne Zwischenfälle», sagt sie lachend. Und dann blickt sie auf das Jahr 2024, nach Paris, wo ihr Traum von der Olympiateilnahme in Erfüllung gehen soll, «denn Olympia habe ich noch nicht abgeschrieben».

Man glaubt es Alessandra Keller aufs Wort, ihr, die nicht nur über viel Können, sondern auch über viel Beharrlichkeit und Ausdauer verfügt.

Panathlon ehrt Alessandra Keller mit Prix Chapeau

Seit 2003 vergibt der Panathlon-Club Luzern den Prix Chapeau. Die Gewinnerinnen und Gewinner zeichnen sich im Sport durch aussergewöhnliche Leistungen, durch die Bewältigung einer besonderen Herausforderung oder durch Ausdauer und Beharrlichkeit aus. Preisträgerin 2020 ist die Nidwaldner Mountainbikerin Alessandra Keller. Die Verleihung des mit 2500 Franken dotierten Preises konnte coronabedingt nicht an der GV im Februar durchgeführt werden, sondern wurde beim Oktobermeeting nachgeholt. «Alessandra Keller feierte viele Erfolge, hat sich nach Unfällen zurückgekämpft, musste auch die Nicht­selektion für Tokio wegstecken und fokussiert immer wieder neue Ziele an. Beeindruckend, wie sie immer wieder aufgestanden ist», sagte Philipp Hartmann, Leiter Abteilung Sport Nidwalden, in der Laudatio. Keller nahm den Preis stolz entgegen. «Spitzensport-Karrieren verlaufen fast nie linear, Durststrecken formen den Charakter eines Sportlers. Beharrlichkeit und Ausdauer sind es, was Athleten auf dem Weg zum Erfolg auszeichnen», sagte sie. Sie schätze es ausserordentlich, dass genau diese Leistungen vom Panathlon-Club Luzern geehrt und anerkennt werden. Panathlon ist eine Service-Organisation mit über 11 000 Mitgliedern aus zirka 60 Sportarten. Sie fördert die Ethik und Kultur des Sports mit dem Ziel, Solidarität und Freundschaften zwischen Menschen und Völkern zu pflegen und das Verständnis für einzelne Sportarten und für die Belange des Sports allgemein zu vertiefen. Schwerpunkte sind unter anderem Fairplay, Kampf gegen Doping, Sport im Kindes- und Jugendalter und Sport als Teil der Kultur. (T. B.)