Reportage
Winti macht sein Ding: Der Aufsteiger will in der Super League sich selbst bleiben - gegen Basel gelingt das schon mal gut

Der FC Winterthur, nach 37 Jahren wieder erstklassig, feiert sich beim 1:1 zum Saisonauftakt gegen Basel selbst - und zeigt, dass das beides gehen könnte, Kultklub und Erstklassigkeit.

Dominic Wirth
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Eine Stadt meldet sich an: Winterthurer Spieler und Fans nach dem 1:1 gegen Basel.

Eine Stadt meldet sich an: Winterthurer Spieler und Fans nach dem 1:1 gegen Basel.

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Schaffhausen, das ist vorbei, Winterthur fährt da erst mal nicht mehr hin. Das wissen auf der Schützenwiese natürlich alle längst, aber die Fans in der Bierkurve wollen das an diesem besonderen Abend noch einmal gesagt haben. Zürich und St. Gallen statt Schaffhausen, Bern und Basel, das sind jetzt die Ziele, so verkündet das die Choreographie, die sich über dem Winterthur-Fanblock aufspannt. Erstklassigkeit, endlich wieder, nach 37 Jahren.

Samstagabend, kurz vor halb neun, auf der Schützenwiese, diesem Stadion mitten in der Stadt, wo die Super League nun auch zu Hause ist, zum ersten Mal. Der Speaker hat das schon mehr als einmal gesagt an diesem Abend, ganz so, als könnte er es selbst nicht recht glauben. Vor 37 Jahren hiess die Super League noch Nationalliga A.

Unten auf dem Platz laufen sie jetzt ein, die Winterthurer Aufstiegshelden, und neben ihnen der grosse FC Basel. Aus den Lautsprechern Höllenglocken, Hells Bells von AC/DC. Auf den Rängen viel rot und weiss, 8400 Zuschauer - ausverkauft. Die meisten von ihnen stehen und sitzen schon länger da, 45, sogar 60 Minuten früher sind sie ins Stadion gekommen, sie konnten einfach nicht mehr warten.

Wie die drei Freunde, die eben auf der Haupttribüne die Schnupfkurve ins Leben gerufen habe, ein Schnupf bei jedem Tor. Wie Hans Franz, der mitgespielt hat, als Winterthur das letzte Mal erstklassig war. Saison 1984/85, ein kurzer Spass, aber Franz, der Deutsche, ist in Winterthur geblieben und erzählt, dass es unbeschreiblich sei, diese Euphorie, diese Vorfreude.

Freis Fehler und Ramizis Ruhe

Und dann rollt der Ball, er kommt bald einmal zu Fabian Frei, dem Basler Routinier, was für ein Fehlpass. Und dann zu Samir Ramizi, was für eine Ruhe, dritte Minute, 1:0 für Winterthur, auch auf der Anzeigetafel, die über der Bierkurve thront, altehrwürdig, von Hand betrieben, ein Symbol für diesen Klub, man findet auf der Schützenwiese an jeder Ecke ein weiteres.

Samir Ramizi, Schütze des ersten Super-League-Tors von Winterthur.

Samir Ramizi, Schütze des ersten Super-League-Tors von Winterthur.

Keystone

1:0 also, was für ein Traumstart auf dieser Mission, die für den FC Winterthur an diesem Abend beginnt und die etwa so lautet: Sich selbst bleiben, aber auch erstklassig. Klingt einfach, aber geht es auch?

So genau weiss das niemand, auch nicht Andreas Mösli. Es ist der Mittwoch vor dem Spiel, eben hat Mösli seine erste Pressekonferenz organisiert, 20 Jahre ist er schon dabei beim FC Winterthur, aber so viel Interesse, das gab es noch nie. Mösli sagt, der Klub sei sein Baby, sein Leben. Wenn in den Zeitungen von ihm die Rede ist, dann fehlt selten der Satz, dass er der Mann sei, der dem Klub ein Gesicht gegeben habe. Viele Jahre hat Mösli vieles alleine gemacht auf der Geschäftsstelle. Das war anstrengend, und offiziell ist er nun seit ein paar Monaten nur noch Leiter Kommunikation, Pensum: 60 Prozent, auf dem Papier zumindest.

Andreas Mösli.

Andreas Mösli.

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Mösli war früher Journalist und Musiker, Punkrocker, um genau zu sein, und der FC Winterthur, das kann man getrost so sagen, ist der Punk unter den Schweizer Fussballvereinen. Er macht sein eigenes Ding. Im Stadion gibt es viele Stehplätze und Kunst zu sehen, in Erikas Salon, es gibt neben der Bier- auch eine Sirupkurve für die kleinen Fans. Es gibt ein kulinarisches Angebot, das sich diesen Namen redlich verdient, die legendäre Libero Bar. Es gibt Regenbogenfahnen, auf denen FCW steht, und den Slogan «Friede, Freiheit, Fussball».

Und dann, als letztes kleines Bild, gibt es auch dieses T-Shirt, das im Fanshop neuerdings aufliegt, der Kopf von Alex Frei ist darauf gedruckt und der von Davide Callà, daneben das Wort «Legände». Frei und Callà, Cheftrainer und Assistent, haben Winterthur letzte Saison in die Super League geführt. Und sich dann umgehend verabschiedet, als sie den Ruf aus Basel hörten. Der Grossklub hat die beiden mehr gereizt als die Saison mit Aufsteiger Winterthur. Aber dort liegt das T-Shirt mit ihrem Konterfei jetzt trotzdem im Fanshop.

Der Winterthurer Stolz, es ohne Investor geschafft zu haben

Das eigene Ding machen, und das bei den Grossen, ob das beides geht, weiss auch Andreas Mösli nicht, aber weiss, dass sie es versuchen wollen. Er sagt, er sei unglaublich stolz, dass sie das geschafft haben in Winterthur, Aufsteiger, aus eigener Kraft, mit Geld aus der Region, mit eigenen Werten. «Ohne Chinesen oder Amerikaner oder andere Investoren», sagt er noch.

Vor dem ersten Spiel gingen 4300 Saisonkarten weg, und es wären noch mehr geworden, aber das war nicht im Sinn des Vereins. «Wir wollen, dass möglichst viele Leute ein Spiel besuchen können», sagt Mösli. Der FC Winterthur soll ein nahbarer Verein sein, einer ohne Grenzen, und das gilt eigentlich auch für das Stadion. Nach dem Aufstieg gibt es dort aber eine Sektorentrennung, weil die Liga das vorschreibt, und Videoerkennung. Für Mösli sind das «Super-League-Kompromisse», nicht schön, aber nötig.

Die Winterthurer bleiben noch ein wenig

In dieser Super League liegt Winterthur immer noch 1:0 in Führung, und bald ist schon Pause. Vor der Basler Bank steht Alex Frei, und er sieht etwas ratlos aus. Hinter ihm sitzt Sayfallah Ltaief, ein Winterthur Aufstiegsheld wie Frei, und jetzt wie Frei beim FC Basel. Dass es dort keinen Platz in der Startformation für ihn gibt, sagt schon einiges darüber aus, wie die Kräfteverhältnisse an diesem Abend aussehen, auf dem Papier zumindest.

Winterthur hat mit seinen elf Millionen Franken mit Abstand das kleinste Budget der ganzen Super League, alles andere als Platz zehn wäre eine Überraschung. Aber so lange sie oben sind, wollen die Winterthurer mutig sein, das hat Bruno Berner, ihr neuer Trainer, angekündigt.

Und der Aufsteiger hält gegen Basel Wort: Er spielt wie ein Team, das ziemlich genau weiss, wann es was zu tun hat. Irgendwann gleichen die Basler noch aus, 1:1, aber die besseren Chancen hatten die Winterthurer, und in der Schlussphase wechselt Trainer Berner sogar noch zwei frische Stürmer ein.

Zum Schluss gibt es eine Ehrenrunde.

Zum Schluss gibt es eine Ehrenrunde.

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Als es auf das Ende zugeht, besingt das Publikum sein Stadion, «Schützewiese, Schützewiese - hoi, hoi,». Nach dem Schlusspfiff gibt es eine Standing Ovation und eine Ehrenrunde. Granit Lekaj, der Winterthurer Captain, berichtet später, wie geil alles gewesen sei. Sein Basler Gegenüber Fabian Frei wagt die Prognose, dass man nicht das letzte Team gewesen sei, das hier Punkte lassen müsse.

Und die Winterthurer? Die bleiben noch ein bisschen, auch lange nach dem Spiel drängen sie sich noch um die alte Haupttribüne der Schützenwiese, in der Hand ein Bier, in den Augen ein wenig Glanz.