RUDERN: Mission Gold geht in die wichtige Phase

An den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro zählt der Leichtgewichtsvierer zu den grossen Medaillenhoffnungen. Um das Ziel zu erreichen, hat das Quartett den Winter zum Sommer gemacht.

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Vorfreude auf die Olympischen Spiele, von links: Lukas Tramèr, Simon Niepmann, Mario Gyr und Simon Schürch beim Ruderzentrum in Sarnen mit dem Reiseführer über Rio de Janeiro. (Bild: Corinne Glanzmann / Neue LZ)

Vorfreude auf die Olympischen Spiele, von links: Lukas Tramèr, Simon Niepmann, Mario Gyr und Simon Schürch beim Ruderzentrum in Sarnen mit dem Reiseführer über Rio de Janeiro. (Bild: Corinne Glanzmann / Neue LZ)

Jonas von Flüe

Es sind rosige Zeiten, die der Schweizerische Ruderverband momentan erlebt. Mit mindestens vier Booten und elf Athleten wird er an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro (5. bis 21. August) vertreten sein – so viele wie seit Sydney 2000 nicht mehr. Damit stellen die Ruderer eine der grössten Schweizer Delegationen. Mit dem Leichtgewichtsdoppelzweier um die Baarerin Patricia Merz und Frédérique Rol kann sich zudem ein weiteres Boot noch qualifizieren (siehe Box). Die starke Breite wirkt sich auch finanziell aus: Von Swiss Olympic erhielt der Ruderverband mehr Beiträge, weil dieser Sportart für den aktuellen Olympiazyklus viel Potenzial attestiert wurde.

Dieses Potenzial schlummert vor allem im Leichtgewichtsvierer ohne Steuermann, der als Weltmeister, Europameister und Gesamtweltcupsieger nach Rio reisen wird. «In Brasilien wollen wir unseren Lebenstraum erfüllen», sagt Simon Schürch (25), der gemeinsam mit Mario Gyr (30), Simon Niepmann (30) und Lucas Tramer (26)eine Medaille, ja gar die goldene anstrebt. «Wir treten auch in diesem Jahr an, um alle Wettkämpfe zu gewinnen», ergänzt der Luzerner Gyr. 2015 war ein zweiter Rang ihr schlechtestes Ergebnis. In Rio zählt nur Gold.

Perfekte Trainingsbedingungen

Das Quartett ist ein eingespieltes Team, das im Gegensatz zum Vorjahr bei der Vorbereitung keine grundlegenden Sachen geändert hat. 2015, während der bislang erfolgreichsten Saison, wurde die Sitzordnung im Boot umgestellt – ein Risiko, das sich ausgezahlt hat.

2016 war dennoch anders. Denn dank den Beziehungen des Trainers Ian Wright und zusätzlichen finanziellen Mitteln hat es der Ruderverband dem Nationalteam ermöglicht, den Winter zum Sommer zu machen. Von Anfang Januar bis Mitte Februar weilten die Schweizer Spitzenruderer in Neuseeland, massen sich in der Ruderhochburg mit der dortigen Elite und profitierten von perfekten Trainingsbedingungen. «In den letzten Jahren hatten die Ruderer der südlichen Hemisphäre einen grossen Vorteil uns gegenüber. Sie konnten in ihrem Sommer viel intensiver auf dem Wasser trainieren als wir hier im europäischen Winter», erklärt Gyr. Im Olympiajahr kann das ein grosser Vorteil sein, den die Schweizer ihren ärgsten Konkurrenten aus Neuseeland nicht zugestehen wollten.

Kompliment des Superstars

Doch trotz der grossen Konkurrenz, trotz der nahenden Olympischen Spiele wurden die Schweizer in der Heimat ihres Trainers wie gern gesehene Gäste behandelt. Sie durften auf demselben See wie die Neuseeländer trainieren und gar an ihrer Meisterschaft mitrudern. In der offenen Kategorie wurden die Leichtgewichtsruderer nur von einem Team geschlagen, um 0,79 Sekunden. Eric Murray, einer der weltbesten Riemenruderer der Gegenwart, der im Siegerboot sass, schrieb danach auf Facebook: «Bloody tough little lighties!» Für die Schweizer war das wie ein Ritterschlag. Gyr schwärmt: «Das Rudern hat in Neuseeland einen derart hohen Stellenwert, dass für das Nationalteam alles getan wird.»

Das Trainingslager war auch gut für den Kopf. «Es ging uns nicht nur um die besseren Trainingsbedingungen, sondern auch darum, die Umgebung zu ändern», erklärt Trainer Wright. Denn in Sarnen, wo die Ruderer die meiste Zeit des Jahres von Mittwoch bis Sonntag in Zweierzimmern untergebracht sind, ist die Gefahr des Lagerkollers gross.

«Ein neuer See, neue Leute – das war genial», sagt Simon Schürch. Der Schenkoner hat allerdings genauso wie der Luzerner Gyr das Privileg, so nahe am Ruderzentrum zu wohnen, dass er abends jeweils nach Hause fahren und dort übernachten kann. «Aber für die anderen, vor allem für die Westschweizer, ist das Leben auf so engem Raum schon nicht einfach. Man hat immer dieselben Leute um sich herum, und alles dreht sich ums Rudern», erzählt Schürch.

Rückschlag nach Trainingslager

Doch so erfolgreich der Leichtgewichtsvierer in Neuseeland auch war, so tolle Bedingungen das Quartett vorfand und so viele Wasserkilometer es auch absolvierte – es gab in der Vorbereitung auch Rückschläge. Kaum wieder zurück in der Schweiz, suchte den einen oder anderen Athleten eine Erkältung heim, die zumindest Gyr bis heute nie ganz losgeworden ist. Vor ein paar Wochen zog sich Schürch zudem eine Sehnenscheidenentzündung im Sprunggelenk zu und fiel zehn Tage aus. Ausgerechnet im Monat vor dem Weltcup-Start in Varese. «Wir werden nun sehen, wo wir im internationalen Vergleich stehen. Doch wir sind sicher viel weiter als vor einem Jahr», sagt Schürch. Damals, im März 2015, musste sich Gyr einem operativen Eingriff an der Niere unterziehen. Seine Karriere und damit auch das Olympiaprojekt standen vor dem Aus. Angesichts der Erfolge scheint das bereits weit weg zu sein.

Und so startet der Schweizer Leichtgewichtsvierer nächste Woche in Varese in eine Saison, die mit Olympiagold ihren Höhepunkt finden soll. Mario Gyr, der neben dem Sport noch in einer Anwaltskanzlei arbeitet, war am Montag zum letzten Mal beim Gericht, nun will er sich voll und ganz der Mission Olympiagold widmen. «Die Arbeit war eine schöne Abwechslung zum Alltag als Spitzensportler, weil ich mit alltäglichen Problemen konfrontiert wurde, die ich als Ruderer nicht erlebe», erzählt Gyr.

Hohe Erwartungen

Die Erwartungen sind nach der letzten so erfolgreich verlaufenen Saison hoch. Dessen ist sich das Quartett bewusst. «Wir werden versuchen, das ganze Drumherum in Rio auszublenden», sagt Simon Schürch, «für uns soll es ein ganz normaler Wettkampf werden – mit derselben Vorbereitung und hoffentlich demselben Ausgang wie im Vorjahr.»

Eine goldene Medaille: Sie würde die rosige Zeit des Schweizer Rudersports nicht nur verlängern, sondern die Popularität zusätzlich verstärken.

Es gibt noch einige Fragezeichen vor Olympia

Nationalteam jvf. In Varese starten auch die restlichen Boote des Schweizer Nationalteams in die Olympiasaison. Neben dem Leichtgewichtsvierer hat aber nur Jeannine Gmelin einen Olympia-Startplatz auf sicher. Die Zürcherin ruderte im Vorjahr im Skiff mitten in die Weltspitze und wurde gute WM-Fünfte. Die 25-Jährige ist in Rio durchaus ebenfalls zu einem Exploit fähig.
Viele Fragezeichen gibt es bei den restlichen Booten, die zwar einen Quotenplatz für die Olympischen Spiele erreicht haben, deren Besetzung aber noch offen ist. Das betrifft zum einen den Leichtgewichtszweier ohne Steuermann. Der Luzerner Michael Schmid und der Aargauer Daniel Wiederkehr haben der Schweiz den Startplatz gesichert, doch weil Wiederkehr bis vor kurzem verletzt ausfiel, darf sich mit dem Zürcher Silvan Zehnder ein weiterer Athlet Hoffnungen auf einen Platz im Boot machen.
In Varese startet das Trio im Einer, danach werden die beiden Plätze an internen Trials vergeben. Für Schmid keine einfache Situation: «Ich denke noch nicht zu fest an Rio, sondern schaue nun mal bis Varese.» Der 28-Jährige hat einen schwierigen Winter hinter sich. Denn nicht nur sein Bootspartner war verletzt, sondern auch er selbst. Eine Rippenverletzung setzte ihn länger ausser Gefecht, weswegen er die Reise nach Neuseeland nicht antreten konnte. «Das war hart. Während meine Kollegen an der Wärme waren, musste ich allein trainieren», erzählt er. Doch Schmid ist wieder fit, wurde an der Schweizer Ergometermeisterschaft am 5. März Zweiter. Nur Simon Schürch war Schneller.

Röösli muss sich noch qualifizieren
Ähnlich ist die Situation von Roman Röösli. Der 22-Jährige aus Neuenkirch wird aller Voraussicht ebenfalls in Rio starten dürfen. Röösli sass 2015 im Boot, als sich der Doppelvierer für die Olympischen Spiele qualifiziert hatte. Doch im Kader stehen fünf Athleten. Und weil Augustin Maillefer und Barnabé Delarze verletzungsbedingt länger ausfielen, konnte die interne Qualifikation auch im Doppelvierer noch nicht durchgeführt werden. Rössli und Co. werden in Kleinbooten in die Saison starten. Der definitive Entscheid soll nach der EM in Brandenburg (6. bis 8. Mai) fallen. Trainer Edouard Blanc sagt: «Die fünf stacheln sich gegenseitig an, und keiner hat einen Platz auf sicher. Das ist sicher kein Nachteil.» Mit Patricia Merz und Frédérique Rol können sich weitere zwei Athletinnen noch Hoffnungen auf einen Startplatz machen. Die Qualifikationsregatta findet auf dem Rotsee statt.

Schweizer Nationalteam. Frauen. Einer: Jeannine Gmelin (Uster). – Leichtgewichtsdoppelzweier: Frédérique Rol (Lausanne), Patricia Merz (Seeclub Zug). – Leichtgewichtseiner: Ladina Meier (Ruderclub Cham), Pauline Delacroix (Vésenaz).

Männer. Leichtgewichtsvierer ohne Steuermann: Mario Gyr (Seeclub Luzern), Simon Niepmann (Zürich/Basel), Simon Schürch (Seeclub Sursee), Lucas Tramèr (Vésenaz/Basel). – Leichtgewichtszweier ohne Steuermann: Fiorin Rüedi (Zürich), Joel Schürch (Seeclub Sursee). – Doppelvierer: Roman Röösli (Seeclub Sempach), Nico Stahlberg (Kreuzlingen), Markus Kessler (Schaffhausen), Augustin Maillefer, Barnabé Delarze (Lausanne). – Leichtgewichtsdoppelzweier: Michael Schmid (Luzern), Daniel Wiederkehr (Baden), Silvan Zehnder (Zürich).

Die wichtigsten Termine

  • 15. bis 17. April: Weltcup in Varese
  • 6. bis 8. Mai: EM in Brandenburg
  • 22. bis 24. Mai: Olympia-Qualifikationsregatta in Luzern
  • 27. bis 29. Mai: Weltcup in Luzern
  • 17. bis 19. Juni: Weltcup in Poznan
  • 6. bis 13. August: Olympische Ruderregatta