Viele Spitzenschwinger verpassen diesen Sonntag verletzungsbedingt das Bergkranzfest auf dem Brünig. Hat dies vor allem mit Pech zu tun, oder machen die Athleten etwas falsch? Eine Ursachenforschung.
Claudio Zanini
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Die Saison nähert sich allmählich dem Höhepunkt, dem Unspunnen-Schwinget am 27. August in Interlaken. Auffallend viele Topathleten pausieren momentan wegen einer Verletzung. So verpassen etwa Matthias Sempach, Philipp Laimbacher, Joel Wicki oder Mike Müllestein den Bergklassiker auf dem Brünig. Christian Schuler und kürzlich auch Bruno Nötzli beendeten gar die Saison. Meist sind es Sehnen- und Bänderverletzungen an Knie, Schulter oder Sprunggelenk, die den Athleten zu schaffen machen.
Die lange Verletztenliste zieht Erklärungsversuche nach sich. Der ehemalige Spitzenschwinger und Funktionär Eugen «Geni» Hasler vertrat jüngst die Ansicht, Krafttraining an Fitnessgeräten, wie es heutzutage betrieben werde, sei vielleicht nicht das Richtige. «Ich habe das Gefühl, dass Sehnen und Bänder mit den Muskeln nicht mehr mithalten können», sagte der Schwyzer gegenüber Radio SRF. Ein Training bei der täglichen körperlichen Arbeit, wie es Hasler selbst bei der Ertüchtigung auf dem heimischen landwirtschaftlichen Betrieb absolvierte, sei besser, da sich die Bänder in einem natürlichen Gleichschritt mit den Muskeln weiterentwickeln. Insofern könne sich das Teilzeitarbeiten, welches bei den Besten der Branche längst Einzug hielt, negativ auswirken.
Für Henning Ott vom Swiss Sportmedizin Center Rheinfelden, sind die Gründe für die häufigen Sehnenverletzungen vielschichtiger. Ott ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie – er behandelt regelmässig Schwinger. «Körperliche Arbeit kann sehr belastend für Sehnen und Bänder sein, da sie meist einseitig ist und nur einzelne Muskelgruppen beansprucht.» Derweil können an Fitnessgeräten Muskelgruppen sehr gezielt trainiert werden. Ott räumt jedoch ein: «Aber auch an den Geräten können schwerwiegende Trainingsfehler gemacht werden. Eine differenzierte Trainingsplanung ist daher unerlässlich für die Schwinger.»
Doch wie muss man sich das genau vorstellen? Kann die Sehne gar nicht anders, als irgendwann zu reissen, sobald der anhängende Muskel zu gross geworden ist? Henning Ott sagt: «Die Dicke der Sehne richtet sich nach der Last, die sie aufnehmen muss. Dabei spielt die Grösse des Muskels eine Rolle, ist aber nicht der alleinige Faktor. Vielmehr sind es die umliegenden Strukturen und vor allem die einwirkende Kraft, die entscheidend sind.»
Die Verletzungen nur auf ein Fehltraining abzuschieben, greift also zu kurz. Vorstellbar wäre aber, dass es grundsätzlich gefährlicher geworden ist im Ring. Denn wenn zwei bis ans Maximum trainierte Kolosse aufeinander losgehen, sind logischerweise die wirkenden Kräfte grösser. Dies sei durchaus möglich, sagt Sportmediziner Ott. Andererseits habe das auch Vorteile: «Mit einer eigenen guten Kraft können entstehende Kräfte besser abgefangen und das Skelett stabilisiert werden. Problematisch sind die Kräfte vor allem für die Gelenke.»
Eine weit verbreitete Meinung ist indes, dass heute statischer geschwungen werde als früher. Und wenn sich Athleten auf Biegen und Brechen gegenseitig wie in einem Schraubstock fixieren, sei folglich die Gefahr eines Risses höher. Thedy Waser, technischer Leiter des Innerschweizer Verbands und im Einteilungskampfgericht auf dem Brünig, hält gegen diese These: «Ich sehe viele junge und arrivierte Athleten, die voll auf Angriff schwingen. Von statisch kann also nicht die Rede sein.» Waser führt noch eine weitere mögliche Ursache für die lange Verletztenliste an. «Heute hat man die Möglichkeit, eine MRI-Untersuchung zu machen, somit geht man der Verletzung schneller auf den Grund, und es können Vorsichtsmassnahmen ergriffen werden. Früher wurde oftmals nur ein Verband umgewickelt, und es wurde weiter geschwungen. Die medizinische Betreuung der Schwinger hat sich sicher zum Positiven entwickelt.»
Ob es tatsächlich mehr Verletzungen als früher gibt, ist nicht bekannt, denn verlässliche Statistiken existieren nicht. Gut möglich, dass die Anzahl Blessuren immer etwa gleich war – nur werden sie durch die gesteigerte Berichterstattung zusätzlich akzentuiert.
Brünig-Schwinget. Sonntag, 30. Juli. Programm. 8.00: Anschwingen. – 9.30: Sonntagsgruss. – 12.00: Mittagessen. – 13.15: Ausschwingen. – 17.00: Schlussgang. – 18.00: Rangverkündigung.
Sieger der letzten Jahre: Thomas Sempach (2016), Bernhard Kämpf (2015), Kilian Wenger (2014).