Fünf Schweizer-Meister-Titel hat Lea Fischer (15) in den letzten 13 Monaten gewonnen. Die Engelbergerin ist damit die erfolgreichste Schweizer U-16-Athletin bei den Nordischen.
Die bald 16-jährige Engelbergerin Lea Fischer ist keine Zeitgenossin, die in der Öffentlichkeit durch lautes Gebaren auffällt. Auf fremde Personen wirkt sie mit ihrer sympathisch bescheidenen Art fast ein bisschen schüchtern. Sie lacht. «Schüchtern würde ich nicht gerade sagen. Es ist aber schon so, dass ich einen Menschen beim ersten Treffen zuerst einmal beobachte und versuche, mir ein Bild von ihm zu machen. Wenn ich jemanden dann näher kennen lerne, bin ich eine offene und auch humorvolle Gesprächspartnerin.» Das kann der Verfasser dieser Zeilen nur bestätigen. Er hat Lea Fischer in jüngster Vergangenheit in zwei komplett unterschiedlichen Situationen erlebt. Im Langis, an der U-16-Schweizer-Meisterschaft im Biathlon, verpasste sie nach einer schwachen Schiessleistung die erfolgreiche Titelverteidigung im Einzel trotz bester Zeit in der Loipe um winzige 1,3 Sekunden. Die Enttäuschung im ersten Moment war verständlicherweise gross. Nur eine Woche später strahlte sie dagegen übers ganze Gesicht. An der U-16-Schweizer-Meisterschaft im Langlauf in Davos schaffte sie, was ihr eine Woche zuvor verwehrt geblieben war: die erfolgreiche Verteidigung ihres Meistertitels.
Es war nach drei Goldmedaillen im Vorjahr (zwei im Biathlon, eine im Langlauf) und nach Biathlon-Staffelgold im Langis ihr insgesamt fünfter Meistertitel. Damit machte sie sich zur erfolgreichsten Schweizer U-16-Athletin bei den Nordischen in den letzten 13 Monaten. Das machte sie zu einer gefragten Interviewpartnerin. Diese Aufgabe erledigte sie souverän. Egal, ob nach der Enttäuschung im Langis oder nach dem Triumph in Davos, Lea Fischer beantwortete bescheiden alle Fragen. Wieder lacht sie: «Ich fühle mich zwar in der Loipe wohler als vor dem Notizblock eines Journalisten. Die Interviews waren aber trotzdem eine interessante und spannende Erfahrung.»
Die Karriere der Engelberger Gymnasiastin begann vor vielen Jahren an der Schweizer Meisterschaft der Biathleten in Realp. Als achtjähriges Mädchen startete sie in der Kategorie U 10 zu ihrem allerersten Wettkampf – und hatte dabei auch zum ersten Mal überhaupt ein Gewehr in der Hand. Respekt hatte sie davor, Angst jedoch keine. «Ich wusste, dass ich gut betreut werde. Es wird schon gehen, dachte ich mir.» Es klappte sogar sehr gut. Von zehn Schüssen gingen nur deren zwei daneben, und das reichte im ersten Rennen auf Anhieb zum Sieg. Das nennt man einen Karrierestart nach Mass.
Eng verbunden mit der Geschichte der fünffachen Schweizer Meisterin ist das Engagement ihrer Mutter Helen für den Langlauf- und Biathlonsport in Engelberg. Vor rund 20 Jahren begann sie, Kinder zu diesem Sport zu animieren, und betreute sie auch dabei. Die ersten zaghaften Versuche entwickelten sich immer weiter. Ohne eine Klubzugehörigkeit war es jedoch schwierig, Wettkämpfe zu bestreiten. Erneut war Helen Fischer die treibende Kraft: Dank ihr kam es im April 2008 zur Gründung des Vereins Nordic Engelberg. Ihm gehören aktuell rund 120 Mitglieder an. Ganz logisch, liess sich auch Lea irgendwann vom Spirit ihrer Mutter anstecken. «Ich war schon immer ein Bewegungstalent und betrieb viele Sportarten, vom Schwimmen im Sommer bis zum alpinen Skifahren im Winter. Doch irgendwann entdeckte ich den Langlauf und spürte: Es gibt fast nichts Schöneres, als durch die Natur zu gleiten und zu spüren, wie schnell man dabei vorwärtskommen kann.»
Sport ist denn auch bei der Familie Fischer ein zentrales Thema, zumal sich Leas jüngere Schwester Anja ebenfalls bereits zweifache Staffel-Schweizer-Meisterin nennen darf. Auch ihr fussballbegeisterter Bruder Julian ist ab und zu an Wettkämpfen anzutreffen. «Natürlich wird bei uns viel über Sport geredet. Aber nicht nur.» Ganz klar ist dagegen, dass Fischers letzte Woche mit ihrer Dorfmitbewohnerin Dominique Gisin mitgefiebert haben. «Es gibt wohl keine Athletin, die den Olympiatitel mehr verdient als Dominique», ist Lea überzeugt.
Auf der Suche nach Gründen für ihre nationale Dominanz landet man bei Lea Fischer schnell einmal beim Begriff «harte Arbeit». Sie präzisiert das: «Es ist wichtig, nicht einfach nur Stunde um Stunde zu trainieren, um die Trainingsbücher mit möglichst vielen Einträgen zu füttern. Viel wichtiger ist es, mit Kopf zu arbeiten. Die Qualität ist entscheidender als die Quantität.» Diesbezüglich wird sie geprägt von ihrem täglichen Balanceakt zwischen Schule und Sport. Als Gymnasiastin der Stiftsschule Engelberg steht während des Tages Lernen auf ihrem Programm. Erst am Abend hat sie Zeit für ihr Training. «Das ist manchmal eine Herausforderung. Nach einem langen Schultag ist es nicht immer einfach, sich noch für eine harte Trainingseinheit zu motivieren. Und noch schwieriger ist es, nach dem Training nochmals die Bücher durchzugehen und zu lernen. Man muss die Zeit gut einteilen, sonst bringt man nicht alles unter einen Hut. Ich betrachte es aber als gute Lebensschule.» Spielraum bleibt wenig. «Stehen in der Schule wichtige Prüfungen an, reduziere ich höchstens im Sport ein wenig. Stehen dort wichtige Wettkämpfe an, fällt das Lernen etwas knapper aus.»
Eigentlich sind mit den beiden Schweizer Meisterschaften im Biathlon und Langlauf ihre Saisonhöhepunkte bereits vorbei. Dank ihrer Erfolge kommt jetzt aber noch ein ungeplantes Highlight dazu. Zusammen mit ihren drei ZSSV-Kollegen Valérie Glanzmann und Janik Riebli (beide Schwendi-Langis) sowie Marco Briker (Unterschächen) bestreitet sie am kommenden Wochenende mit den OPA-Spielen (Organisation der Alpenländer-Skiverbände) in Zwiesel am Arbersee (De) den einzigen internationalen Wettkampf, bei dem sich die JO-Kategorien im Langlauf messen können. «Ich sehe diese Selektion als Belohnung für meine Leistungen in diesem Winter.» Lea Fischer war schon letztes Jahr an den OPA-Spielen dabei und gewann damals die Bronzemedaille. «Für mich kam der dritte Rang damals überraschend. In diesem Jahr will ich wieder an der Spitze mitlaufen.»
Und dann bleibt noch eine Entscheidung offen – eine ganz wichtige: Wo sieht die Engelbergerin ihre Zukunft: im Biathlon oder im Langlauf? In beiden Sparten vorne mitzulaufen, geht ab dem Juniorenalter nicht mehr. Sie lässt die Frage noch unbeantwortet. «Das verrate ich erst Ende Saison. Es wird ein Entscheid des Herzens sein, wo ich in Zukunft grössere Chancen sehe.» Man darf gespannt sein ...