Rücktritt
Absprung in den Hörsaal – Aerials-Athlet Mischa Gasser tauscht Ski gegen Kugelschreiber

Der 27-jährige Ski-Akrobat Mischa Gasser gibt nach siebenjähriger Karriere und zwei Olympia-Teilnahmenbereits seinen Rücktritt aus dem Profisport.

Natasha Hähni
Drucken
Olympia-Finalist Mischa Gasser studiert ab Herbst Betriebswirtschaft. Rainer Sommerhalder

Olympia-Finalist Mischa Gasser studiert ab Herbst Betriebswirtschaft. Rainer Sommerhalder

Rainer Sommerhalder

Auf die Frage, wieso er im Mai zurückgetreten ist, hat der ehemalige Aerials-Athlet keine eindeutige Antwort. «Ich denke, es war eine Mischung aus persönlichen und sportlichen Gründen.» In den vergangenen zwei bis drei Jahren habe er immer mehr Mühe damit gehabt, sich zu Sprüngen in schwindelerregender Höhe zu überwinden. «Man geht bei jedem Sprung ein Risiko ein. Da hat jeder mal Angst. Wer behauptet, er habe in diesem Sport noch nie Angst verspürt, der lügt dir ins Gesicht.» Bis Anfang Jahr seien die Olympischen Spiele jedoch Motivation genug gewesen. «Nach Pyeongchang war ich mir nicht sicher, ob ich mich weitere vier Jahre hätte zu Bestleistungen überwinden können.»

Bachelor statt Olympia

Zudem hatte sich Gasser bereits ein neues Ziel gesetzt: einen Bachelor in Betriebswirtschaft. «Egal ob Olympia oder ein Bachelor, solange man es wirklich will, sind die Ziele gleichwertig.» Momentan absolviert der Solothurner ein Praktikum in einem Treuhandbüro und besucht Mathematikkurse, um sich auf sein BWL-Studium im Herbst vorzubereiten.

Zeit, seinen Entscheid zu bereuen, habe er bis jetzt noch nicht gehabt. «Im Moment fehlt mir fast die Zeit für Sport», erzählt der Olympia-Finalist 2018 lächelnd. «Wenn ich nicht arbeite, dann lerne ich Mathe.» Das sei gut so, denn nur zu Hause rumsitzen, das wolle er auf keinen Fall.

Emotionen, die fehlen

Trotz vollem Terminplan gäbe es immer wieder Momente, in denen er den Sport und seine ehemaligen Teamkollegen vermisse. «Natürlich fehlen sie mir. Früher habe ich sie fast täglich gesehen und jetzt ist es, als wäre ich im Ausland. Ich sehe sie viel weniger und die Kommunikation verläuft mehrheitlich über das Handy.» Auch alle Emotionen, die der Sport mit sich bringe, würden ihm fehlen.

«Ich weiss noch, als ich den Bescheid für meine erste Olympia-Teilnahme erhielt, das war ein unglaubliches Gefühl», erinnert sich Gasser mit leuchtenden Augen. «Schon als sechsjähriger Turner habe ich davon geträumt, einmal an den Olympischen Spielen teilzunehmen. An diesen Moment werde ich mich ein Leben lang erinnern.»

Drei von sechs Monaten weg

Das Leben als Profisportler habe aber auch seine Schattenseiten gehabt. «Tage, an denen es besonders schlecht lief, waren weit weg von zu Hause besonders schwierig, da gewisse Bezugspersonen wie Freunde, Familie oder der Mentalcoach fehlten.»

Das Springen werde er dennoch vermissen. In den Skiferien ab und zu 10 Meter hoch zu springen und dabei einen dreifach Salto mit Schaube zu machen, sei logischerweise nicht möglich. Vor allem während des Weltcups werde er die zusätzliche Freizeit wahrnehmen. «Von den sechs kälteren Monaten war ich bis jetzt immer etwa drei weg.»

Der Sport bleibt

Letzten Endes sei der Rücktritt keine Blitzentscheidung gewesen. «Meine Familie und meine Freunde wussten bereits im Februar, dass ich mir überlege, aufzuhören.» Jetzt müsse er sich erst mal in seinem neuen Leben zurechtfinden. «Bis jetzt hat zwar alles funktioniert, aber ich bin mir meinen neuen Alltag einfach noch nicht zu hundert Prozent gewohnt.» Nach dem Studium will Gasser seine sportliche Vergangenheit jedoch nicht vergessen.

«Der Sport hat meine ganze Jugend geprägt. Wäre ja schade, wenn ich nichts davon in meinem Berufsleben weiter verwenden würde.» Am liebsten wäre ihm ein Beruf im Management oder im Marketing. Wer weiss, vielleicht wird Gasser in ein paar Jahren zumindest neben der Piste zu finden sein.