Die französischen Fans versuchten am Sonntag noch einmal alles. Gegen einen Roger Federer in Glanzform war aber kein Kraut gewachsen. Nicht einmal das Auspfeifen wollte so richtig gelingen.
Zu den Klängen des Guns N' Roses-Knallers «Welcome to the Jungle» marschierte Roger Federer einem Gladiatoren gleich in die mit 27'448 Tennisfans noch einmal bis über den letzten Platz hinaus gefüllte Fussballarena in Lille ein. Mit 1:2 standen die Franzosen mit dem Rücken zur Wand, die in Blau gekleideten Supporter wollten aber nochmals alles versuchen, die Wende herbeizuschreien. Erstmals an diesem Wochenende wurde Federer bereits beim Einspielen ausgebuht - zumindest ein bisschen. Richard Gasquet, der den am Arm verletzten Jo-Wilfried Tsonga ersetzen musste, erhielt frenetischen Applaus.
Es nützte jedoch alles nichts. Zu dominant trat der Basler auf, dem noch am Freitag wegen der Folgen seiner Rückenbeschwerden gegen Gaël Monfils kaum etwas gelingen wollte, der sich aber im Doppel vom Samstag an der Seite - und mit viel Unterstützung - Stan Wawrinkas wieder in Form gespielt hatte. Als sich Gasquet Mitte des zweiten Satzes bei Aufschlag Federers endlich einmal einen 15:30-Vorteil verschaffte, hallten die «Richard»-Rufe noch einmal durchs Rund. Doch Federer blieb cool. Wie überall auf der Welt, wurde die Atmosphäre nie feindselig, wenn er spielt.
Dazu liessen sich die mehrere tausend Schweizer Fans in ihren unübersehbaren roten Trikots nie unterkriegen und hielten stimmlich dagegen. Schon bald war klar, dass der schmächtige Gasquet, immerhin einst die Nummer 7 der Welt, nicht zum Riesen werden würde. Nachdem der Schweizer nach nur 112 Minuten beim ersten Matchball einen unerreichbaren Stoppball gespielt hatte, sank er in die Knie, dann auf den Bauch. Er erster Gratulant war Captain Severin Lüthi bei Federer, als nächster rannte Stan Wawrinka, dessen Dienste gestern Sonntag nicht mehr gebraucht wurden, auf den Sandplatz.
«Das ist ein Sieg für das Team und unsere Fans, die uns immer unterstützt haben», sagte der 33-jährige Basler mit Freudentränen in den Augen. «Am meisten freue ich mich aber für Stan. Das ist sein Sieg. Er hat in all den Jahren so viel gegeben für diese Mannschaft.» Dieser lobte dafür seinen Teamkollegen, mit dem er sich noch am Samstag vor einer Woche im Masters-Halbfinal in London einen Marathon geliefert hatte, der anschliessend für etwas böses Blut gesorgt hatte. «Vor dem Wochenende dachten die Leute, wir hätten eine Krise, aber wir sind immer ruhig geblieben», stellte Wawrinka fest. «Roger hat unglaublich gespielt. Wir verstehen uns gut und sind glücklich, wenn wir zusammen spielen können. Wenn wir Probleme haben, dann reden wir miteinander.»
Zu den Klängen von «I Gotta Feeling» der Black Eyed Peas erhielten die Schweizer Davis-Cup-Helden schliesslich die silberne «Salatschüssel». Von der Hallendecke schwebten rot-weisse Konfetti, ein Feuerwerk sorgte für einen würdigen Abschluss des Feuerwerks, das die Schweizer in Lille gezündet hatten. Auch die französischen Fans applaudierten fair. Und das Gefühl, dass die Nacht im Norden Frankreichs lang und feucht-fröhlich wurde, ist sicher nicht falsch.
Marcel Hauck (si), Lille