TENNIS: Fantastisch! Gigantisch!

Roger Federer kämpft Rafael Nadal nieder und holt bei den Australian Open in Melbourne seinen 18. Major-Titel. Es ist die verrückteste Grand-Slam-Mission in der einmaligen Karriere des Schweizer Superstars.

Jörg Allmeroth
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Roger Federers Sieg in sieben Bildern: Emotionen, Kampfgeist und Freude waren sowohl auf dem Platz wie auch auf der Tribüne spürbar.Bilder: Dean Lewins, Made Nagi, Tracey Nearmy/EPA, Dita Alangkara, Kin Cheung, Aaron Favila/AP (Melbourne, 29. Januar 2017)

Roger Federers Sieg in sieben Bildern: Emotionen, Kampfgeist und Freude waren sowohl auf dem Platz wie auch auf der Tribüne spürbar.Bilder: Dean Lewins, Made Nagi, Tracey Nearmy/EPA, Dita Alangkara, Kin Cheung, Aaron Favila/AP (Melbourne, 29. Januar 2017)

Jörg Allmeroth

Er ist als «Mozart des Tennis» beschrieben worden. Als Künstler, als «Poet der Centre Courts», als Genie, als Ästhet am Ball. Was viele nie in ihm sahen, einen der zähesten Wettkämpfer seines Sports, einen Mann der Standfestigkeit, einen Mann mit eisernen Nehmerqualitäten – genau dieser Roger Federer trat am Sonntagabend in Melbourne, auf der Zielgeraden seiner verrücktesten Grand-Slam-Mission, in ganzer Pracht und Herrlichkeit auf: 1:3 lag Federer im fünften Satz des «Gigantenkampfs von Melbourne» gegen Rafael Nadal bereits zurück, er schien geschlagen und zermürbt vom bulligen mallorquinischen Fighter. Doch so unverdrossen und leidenschaftlich, wie er sich zuletzt mit seinen 35 Jahren an das Comeback nach der längsten Verletzungspause seines Tennislebens gemacht hatte, so störrisch weigerte sich Federer auch in der Hitze des Gefechts, die scheinbar besiegelte Niederlage zu akzeptieren.

Und daher lieferte er schliesslich auch die erstaunliche Schlusspointe dieses Turniers der Sensationen und unvorhersehbaren Drehs, war für den dramaturgischen Kniff im Nostalgie-Endspiel verantwortlich: Nicht nur die nächsten fünf Spiele gewann der beeindruckende Fighter Federer mit aller gebotenen Entschlossenheit in Folge, sondern auch die unvergesslichen Australian Open 2017 mit dem 6:4, 3:6, 6:1, 3:6 und 6:3-Sieg über Nadal. Grand-Slam-Titel Nummer 18, dem er so lange als Favorit und Mitkandidat auf die Höchstpreise im Tennis nachgejagt war – nun holte er ihn als dezenter und doch unübersehbarer Aussenseiter, als Nummer 17 der Welt.

«Es ist eine unglaubliche Geschichte», sagte Federer nach seinem finalen Entfesselungsakt, den er im 100. Australian-Open-Match auf dem Centre Court schrieb. Rod-Laver-Arena heisst dieser Hauptplatz in Melbourne offiziell, und jener Rod Laver, Australiens Legende und Federers Idol, war es auch, der den glückstrunkenen und zu Tränen gerührten Eidgenossen mit dem Siegerpokal beschenkte.

Szenen des kompletten Glücks

Federer, ganz der Gentleman, der er ist, vergass in all seiner augenblicklichen Freude nicht den Mann, der diesen Final zu einem Klassiker gemacht hatte, zu einer faszinierenden Leistungsschau der alten, ewigen Meister – Rafael Nadal. «Er hätte es genauso verdient gehabt», sagte Federer, «Tennis ist brutal, es gibt nur einen Sieger. Aber heute wäre ich auch mit einem Unentschieden zufrieden gewesen.» In den allerletzten Sekunden hatten sich Spannung und Aufregung noch einmal verdichtet: Federer vergab den ersten Matchball etwas leichtfertig, ehe dann beim zweiten Siegpunkt das «Hawk-Eye» (das elektronische Linienüberwachungssystem) Schicksal spielte. Ein paar bange Augenblicke starrten alle auf die Anzeigetafeln, dann wurde Federers Schlag gut gegeben. Und dann war es auch um die Beherrschung des Magiers geschehen: Erst hob er zum Luftsprung ab, ballte danach die Fäuste und sank schliesslich mit einem langgezogenen, lauten «Yeeeees» hinab auf die Erde – Bilder und Szenen des kompletten, vollständigen Glücks.

Dass er viereinhalb Jahre nach seinem letzten Major-Sieg noch einmal eine Grand-Slam-Anstrengung mit dem Pokaltriumph abschliessen würde, hatten viele in der Branche Federer nicht mehr zugetraut – schon gar nicht, nachdem er in der Saison 2016 wie nie zuvor mit hartnäckigen Verletzungsproblemen konfrontiert war. Nach dem Wimbledon-Aus erwies sich Federer allerdings wieder einmal als heller strategischer Kopf – statt eines holprigen Weiter-So-Lavierens in dem verfluchten Tennisjahr machte der Maestro einen radikalen Schnitt und verfügte eine Zwangspause. Sechs Monate nahm er sich Zeit, um wieder zu Kräften zu kommen, um Körper, aber auch Geist aufzuladen. Relativ gelassen und ohne Entzugserscheinungen schaute er zu, wie seine Kollegen um die olympischen Medaillen, den US-Open- und später noch den WM-Titel spielten. «Hätte ich nicht so lange ausgesetzt, könnte ich jetzt wahrscheinlich keinen Topspieler mehr schlagen», sagte Federer in den letzten Tagen einmal in Melbourne, «es war harte Arbeit, dieses Comeback. Aber eben auch eine Kur für den Körper.»

Der Künstler und Malocher

Geschenkt wurde dem sentimentalen Publikumsfavoriten allerdings nichts. Zwei vergleichsweise angenehme Auftaktmatches gaben ihm Gelegenheit, seine Wettkampftauglichkeit abzuklären, Vertrauen in die Schläge und die körperliche Belastbarkeit zu finden. Doch bis zum Titelstreich hatte er Schwerstarbeit zu leisten, der Künstler und der Malocher in Federer waren gleichermassen gefragt, als es gegen Top-Ten-Spieler wie Tomas Berdych, Kei Nishikori und erst recht seinen Landsmann Stan Wawrinka ging. Federer brillierte dabei auch alterslos und wie in Zeiten der grössten Tennis-Dominanz in seiner Paraderolle – als Mann der Big Points, als einer, der in entscheidenden Momenten volles Risiko geht. Und nicht auf Fehler seines Gegenübers wartet. «Ich habe nie lähmenden Druck bei diesem Turnier verspürt», sagte Federer, «ich wäre ja auch glücklich gewesen, wenn ich zwei, drei Runden und etwas Selbstbewusstsein mitgenommen hätte.»

Doch Federer musste seine Hoffnungen auf bessere Resultate, den Traum gar von spätem Grand-Slam-Ruhm erst gar nicht auf ein ungewisses Morgen vertagen. Er schaffte das eigentlich Unmögliche im Hier und Jetzt, in Melbourne, wo er schon vier Mal mit dem Titel im Gepäck nach Hause gefahren war. Nummer 5 bei den Australian Open – und damit Nummer 18 auf allen kostbaren Grand-Slam-Schauplätzen – hielt indes noch die für Federer stets heikelste Karriere-Aufgabe bereit, den Schlagabtausch mit Rafael Nadal, der Kampfmaschine aus Manacor. Dessen Attitüde, nie, nie, niemals aufzugeben, führte Federer im Final dann aber selbst in Perfektion vor – in jener Schlusssequenz vom 1:3 zum 6:3 im letzten Satz. Vielleicht war diese verblüffende Wendung auch der Grund dafür, dass Nadal später dieses Endspielfazit zog: «Roger hat es etwas mehr verdient als ich.» Nadal, auch in der Niederlage wieder einmal ein Vorbild an Fairness und Charakterstärke, wirkte in diesen Minuten nach dem Knock-out schwer angeschlagen, kaum jemals blickte er enttäuschter und grimmiger drein. Und auch Federers Worte konnten ihn nicht trösten: «Ich bin sicher, dass du noch grosse Siege feiern wirst. Mach weiter so, das Tennis braucht dich.»

Federer lässt zum Schluss aufhorchen

Aber das Tennis braucht auch noch Federer. Und er das Tennis. Bei seiner Schlussansprache liess er aufhorchen, als er vom nächsten Turnier sprach, von Melbourne 2018. Er freue sich, zum Turnier zurückzukehren, sagte Federer, fügte dann aber hinzu, «aber wenn nicht, dann war es eine herrliche Sache hier über all die Jahre». Das rückte er später, bei seinem Stafettenlauf durch Pressesäle und Fernsehstudios, aber wieder gerade und zurecht. Man wisse nie, «was alles geschieht», sagte Federer, «das habe ich im letzten Jahr ja mehr als einmal erlebt. Ausserdem wird man ja nicht jünger.»

Allerdings sei seine Planung darauf ausgerichtet, schon noch zwei, drei Jahre zu spielen.

«Ich riskierte und wurde belohnt»

Roger Federer, wie haben Sie diesen späten Umschwung im fünften Finalsatz geschafft?

Ich habe mir gesagt: spiel frei drauflos. Suche deine Chance, denk nicht daran, was dein Gegner macht. Es ist halt so, dass der Tapfere belohnt wird, derjenige, der Wagnisse eingeht. Du kannst in einer solchen Situation zweierlei machen. Den Ball im Spiel halten, vorsichtig sein. Oder selber etwas unternehmen. Ich habe was riskiert, und ich bin dafür belohnt worden. Ich kämpfte weiter, ich glaubte an mich. Das beste Tennis kam zum Schluss, es war fantastisch.

Wie wichtig ist es, mit 18 Titeln Distanz zu Nadal geschaffen zu haben? Der Spanier hat nach wie vor 14 Grand-Slam-Siege auf seinem Konto.

Das ist das Unwichtigste jetzt. Mir bedeutet dieses Comeback, dieser epische Final am meisten. Und dann so ein Erfolg in Australien, wo eigentlich alles begann für mich als Grand-Slam-Spieler. Dort, wo mein grosses Idol Rod Laver herkommt. Dort, wo meine früheren Trainer Peter Carter und Tony Roche herstammen.

Titel Nummer 18, diesen besonderen Titel in Ihrer Karriere, gewannen Sie nun gegen Nadal. Gegen den Spieler, der Sie so lange begleitet hat, vielleicht Ihr grösster Rivale.

Die Rivalität mit Rafael ist besonders, ich denke, wir haben uns gegenseitig zu immer besseren Leistungen angetrieben. Zu besseren Spielern gemacht. Es ist natürlich ein süsser Sieg für mich, weil ich lange auf einen vergleichbaren Erfolgsmoment gegen ihn warten musste. Wir kamen beide ohne Titelerwartungen nach Melbourne, haben uns übertroffen in diesem Turnier. Die Dimension, der Charakter des Sieges ist nur vergleichbar mit dem French-Open-Erfolg 2009. Auch darauf habe ich so endlos lange hingearbeitet, habe es immer wieder versucht, bin gescheitert. Bis es dann klappte. Nun fühlt es sich sehr ähnlich an, es ist ein Augenblick der ganz grossen Genugtuung.

Es war ein wundervolles Turnier, mit Ihnen, mit Nadal und den Williams-Schwestern in den Finals. Millionen Menschen in aller Welt sahen auch etwas, das ihnen ein gutes Gefühl gab, etwas Schönes in unsicheren Zeiten.

Am Ende des Tages ist es Sport. Aber Sport kann grosse Macht entwickeln. Er macht Menschen glücklich, vertreibt manche Sorgen – zumindest zeitweilig. Es waren grosse Festtage des Tennis, ganz sicher, wie ein Super Bowl.

Sie haben bei Ihrer Siegeransprache auf dem Centre Court für Spekulationen gesorgt, es hörte sich so an, als sei Ihre Rückkehr nach Melbourne unklar.

Man weiss nie, wie viel Tennis noch in einem drinsteckt. Man weiss nie, ob man sich noch mal verletzt. Niemand kann das vorhersehen – und so habe ich das auch gemeint. Es gibt keinen Plan, nicht 2018 nach Melbourne zu reisen. Ich wünsche mir diese Rückkehr, ich hoffe auf diese Rückkehr. (all)

Die 18 Grand-Slam-Titel von Federer

  • 2003 Wimbledon s. Philippoussis (AUS) 7:6, 6:2, 7:6
  • 2004 Australian Open s. Safin (RUS) 7:6, 6:4, 6:2
  • 2004 Wimbledon s. Roddick (USA) 4:6, 7:5, 7:6, 6:4
  • 2004 US Open s. Hewitt (AUS) 6:0, 7:6, 6:0
  • 2005 Wimbledon s. Roddick (USA) 6:2, 7:6, 6:4
  • 2005 US Open s. Agassi (USA) 6:3, 2:6, 7:6, 6:1
  • 2006 Australian Open s. Baghdatis (ZYP) 5:7, 7:5, 6:0, 6:2
  • 2006 Wimbledon s. Nadal (ESP) 6:0, 7:6, 6:7, 6:3
  • 2006 US Open s. Roddick (USA) 6:2, 4:6, 7:5, 6:1
  • 2007 Australian Open s. Gonzalez (ESP) 7:6, 6:4, 6:4
  • 2007 Wimbledon s. Nadal (ESP) 7:6, 4:6, 7:6, 2:6, 6:2
  • 2007 US Open s. Djokovic (SRB) 7:6, 7:6, 6:4
  • 2008 US Open s. Murray (GBR) 6:2, 7:5, 6:2
  • 2009 French Open s. Söderling (SWE) 6:1, 7:6, 6:4
  • 2009 Wimbledon s. Roddick (USA) 5:7, 7:6, 7:6, 3:6, 16:14
  • 2010 Australian Open s. Murray (GBR) 6:3, 6:4, 7:6
  • 2012 Wimbledon s. Murray (GBR) 4:6, 7:5, 6:3, 6:4
  • 2017 Australian Open s. Nadal 6:4, 3:6, 6:1, 3:6, 6:3