Kulturredaktor Hansruedi Kugler über «Amerikanisches Idyll», das Meisterwerk von Philip Roth.
Für diesen Roman hätte Philip Roth 1998 neben dem Pulitzerpreis auch den Nobelpreis bekommen müssen. Wie hier amerikanische Zeitgeschichte in den 1960er-Jahren eine Familie zerreisst, ist atemberaubend und lässt einen noch heute keine Ruhe. Die Hauptfigur muss man einfach mögen: Seymour Leviv ist ein sympathischer Vorzeige-Demokrat: ein sportlicher Produzent von Handschuhen, verheiratet mit einer Schönheitskönigin, anständig, liberal – eine für Philip Roth untypische Figur. Kein jüdischer Intellektueller, kein Sex-Maniac. Alle lieben ihn, den netten Blonden. Levivs Idyll wird komplett aufgerieben, machtlos muss er zuschauen. Seine pummelige Tochter wendet sich vom Idyll ab, wird aus Protest gegen den Vietnamkrieg zur Bombenwerferin, verwahrlost komplett. Und Leviv begreift in seiner Gutmütigkeit die Welt nicht mehr. Das hat die Wucht einer Tragödie, enthält eine intime und präzise zeitgeschichtliche Analyse und bringt eine quälende Irritation liberaler Werte. «Der Vietnamkrieg machte die Leute verrückt», sagte Roth über seinen Roman. Er hat das Kunststück vollbracht, einen politischen Roman ohne Politik, sondern als Seelenbild einer zerrissenen Generation zu schreiben. Eine bittere Idylle.