Roger Geissberger
Aargauer Reiseanbieter zur Thomas-Cook-Pleite: «Ein Ende mit Schrecken ist in diesem Fall die richtige Strategie»

Der traditionsreiche Reiseanbieter Thomas Cook hat heute seine Insolvenz bekanntgegeben. Steckt die gesamte Branche in einer Krise? Der CEO des Aargauer Reiseanbieters Knecht Reisen entwarnt, spricht über die Folgen tiefer Margen und erklärt, mit welcher Strategie er diese Risiken umschifft.

François Schmid-Bechtel
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Roger Geissberger hat einen Weg gefunden, in der Schweizer Reisebranche zu bestehen.

Roger Geissberger hat einen Weg gefunden, in der Schweizer Reisebranche zu bestehen.

CH Media

Welchen Einfluss hat die Pleite von Thomas Cook auf das Geschäft von Knecht Reisen?

Roger Geissberger: Für uns hat Insolvenz kaum einen Einfluss. Als Fernreise-Spezialist sind wir selber Veranstalter. Wir vermitteln nur Reisen in Europa von dritten Veranstaltern. Dabei arbeiten wir eher mit Kuoni, Hotelplan und Tui zusammen. Wir haben aber etwa 40 Kunden, die von der Insolvenz von Thomas Cook betroffen sind. Für diese Touristen sind wir verantwortlich und werden sie im Rahmen unserer Möglichkeiten zurückholen. Die Kunden, die bei uns gebucht haben, sind selbstverständlich versichert und tragen keinen finanziellen Schaden.

40 Kunden, die irgendwo auf der Welt verstreut sind, müssen Sie zurückführen?

Veranstalter sind nicht wir, sondern Thomas Cook. Derzeit laufen mit den Regierungen von England und Deutschland Rückholaktionen, wie immer die ausfallen werden. Jeder Kunde, der in einem Schweizer Reisebüro gebucht hat, kommt schadlos aus der Sache raus, beziehungsweise das Reisebüro haftet innerhalb des Bundesgesetzes für Pauschalreisen.

Musste Knecht Reisen auch Buchungen sistieren?

Da laufen Abklärungen. Wie gesagt: Wir haben sehr wenige Thomas-Cook-Kunden. Es werden aber sicher Dossiers auftauchen, die von uns umgebucht werden.

Thomas Cook war weltweit die Nummer 2 im Bereich Pauschalreisen. Wieso funktioniert deren Geschäft nicht?

Weil die Margen sehr tief sind. Und weil Thomas Cook schon 2012 durch eine Rettungsaktion britischer Banken vor dem Konkurs gerettet werden musste. Kurzfristig ging das zwar auf. Doch die Schulden drückten schwer. Und wenn man wie Thomas Cook vornehmlich auf den margenschwachen Rennstrecken zu Hause ist, wird es schwierig, aus dem Loch herauszufinden.

Rennstrecken?

Wir reden von Rennstrecken im Zusammenhang mit Massendestinationen. Zum Beispiel Zürich – Mallorca, oder Zürich – Gran Canaria oder Zürich – Südtürkei.

Geht es auch anderen Pauschalreise-Anbietern schlecht?

Dafür kenne ich Situationen der einzelnen Unternehmen zu wenig gut. Es ist einfach ein sehr schwieriges Geschäft. Wir haben uns vor 20 Jahren aus diesem Massengeschäft zurückgezogen und fortan nur noch als Vermittler und nicht mehr als Operator agiert.

Warum?

Weil die Schweiz ein zu kleiner Markt ist. Internationale Konzerne wie Thomas Cook und Tui können dank ihrer Grösse ganze Flugzeuge füllen. Tui Schweiz hiess früher mal Jelmoli Reisen und war in Schweizer Händen. Kuoni war mal selbständig, hatte aber irgendwann zu wenig Mengengerüst aus der Schweiz und gehört jetzt zu 100 Prozent der deutschen „Dertour“. Die Schweiz ist einfach zu klein, um im Massengeschäft Pauschalreisen mithalten zu können. Und deshalb haben wir uns auf Fernreisen als Operator spezialisiert.

Haben sich die Bedürfnisse der Touristen geändert?

Nein, eigentlich nicht. Badeferien und Pauschalreisen werden nach wie vor häufig gebucht. Aber mithalten können in diesem Geschäft nur die grossen Player - und selbst die kriegen Probleme.

Die britische Transportgewerkschaft kritisiert die englische Regierung, weil sie Thomas Cook eine 150-Millionen-Pfund schwere Stütze verwehrte.

Von diesem Vorwurf halte ich gar nichts. Denn Thomas Cook konnte schon die Darlehen, die das Unternehmen 2012 aufgenommen hat, nicht über das ordentliche Ergebnis abbauen. Jetzt noch mehr Geld reinpumpen? Nein, ein Ende mit Schrecken ist in diesem Fall die richtige Strategie.

Die These wird herumgereicht, dass der Grund für die Thomas-Cook-Pleite beim Brexit zu finden ist. Es heisst, die Briten würden kaum mehr in den EU-Raum reisen und deshalb sei das Geschäft eingebrochen.

Fakt ist: Der Brexit hat einen Einfluss auf das Reiseverhalten der Briten. Aber nicht ausschliesslich was Reisen in den EU-Raum betrifft. Unsere Firma Diethelm Travel, die 13 Niederlassungen in Südostasien betreibt, verzeichnet ein Minus von 40 Prozent bei britischen Touristen.

Wie beurteilen Sie den Zustand der Reisebranche?

Solid. 2019 schliesst sicher niemand mit einem Rekordergebnis ab. Der Geschäftsgang 2019 ist leicht schlechter als im Vorjahr.

Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen Klimadebatte und der Insolvenz von Thomas Cook?

Es gibt eine Wechselwirkung, wenn auch nur indirekt. Seit der letzten Finanzkrise vor etwas mehr als zehn Jahren ist das Geschäft permanent gewachsen. Dieses Jahr verzeichnet die gesamte Branche einen kleinen Rückgang im Bereich von fünf bis sechs Prozent. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass die Klimadebatte einen gewissen Effekt hat. Aber dieser ist sicher nicht so stark, um wie in England für einen Rückgang von 40 Prozent zu sorgen. Deshalb glaube ich, dass der Brexit und die wirtschaftlich unsichere Situation in Grossbritannien eher ausschlaggebend sind, dass die Briten nicht mehr so häufig reisen.

Welchen Einfluss hat der Thomas-Cook-Konkurs auf die gesamte Branche?

Das muss man differenziert betrachten. Badeferien-Hotels, die teilweise sogar im Besitz von Thomas Cook sind, kriegen Probleme. Systemrelevant ist die Pleite indes nicht, obwohl Thomas Cook weltweit die Nummer 2 war.

Müssen einzelne Hotels geschlossen werden?

Die Thomas-Cook-Hotels werden unter den Hammer kommen. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich Konkurrenten in der Konkursmasse bedienen wird. Dass Hotels geschlossen werden, glaube ich nicht. Denn es wird nach wie vor sehr viel gereist.