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Länger, schneller, steiler: In den Schweizer Alpen versucht man mit Rekorden, die Aufmerksamkeit der Touristen zu erhaschen. Und das mitten in der Krise.
Und wieder wird in den Schweizer Alpen ein Superlativ angepriesen. Am Freitag wurde, wie die Zermatt Bergbahnen vermelden, die «höchste 3S-Bahn der Welt» eröffnet. 52 Millionen Franken seien für die «neue Bergbahn der Superlative» verbaut worden, 38 Unternehmen beteiligt gewesen, drei Sommer lang musste gebaut werden. Künftig könnten pro Stunde über 2000 Personen hinauf zum «Matterhorn glacier paradise» transportiert werden, das ganze Jahr über. Dort können die Gäste die Aussicht auf der «höchsten Bergbahnstation Europas» geniessen. Noch ein Rekord.
Die Jagd nach Superlativen scheint sich in den Schweizer Alpen zu häufen. In Adelboden BE zum Beispiel soll eine 2200 Meter lange Hängebrücke künftig Gäste anlocken, es wäre weltweit die Längste ihrer Art. Rund 19 Millionen Franken müssten dafür investiert werden, damit die Gäste am höchsten Punkt dann 365 Meter über dem Boden schwebten. Letzten Dezember wurde die steilste Standseilbahn der Welt eröffnet, die Gäste von der Talstation im Kanton Schwyz auf den Stoos bringt. Ist das nun das neue Mittel zur Krisenbekämpfung im alpinen Tourismus: immer noch höher, grösser, teurer?
Denn die Krise hat den alpinen Tourismus nach wie vor fest im Griff, auch wenn es zuletzt wieder leicht aufwärtsging. Die Zahl der Skitage lag in der Saison 2016/17 noch immer 25 Prozent tiefer als zwölf Jahre zuvor. Die Logiernächte liegen in alpinen und ländlichen Regionen nach wie vor 12 Prozent unter dem Niveau von vor neun Jahren. Obendrein verdient das einzelne Hotel auch noch weniger mit einer einzelnen Übernachtung. Damit gerät die alpine Schweizer Tourismusindustrie auch ins Hintertreffen zur Konkurrenz. Die Konkurrenten in Österreich konnten ihre Skitage immerhin konstant halten und die Zahl der Logiernächte deutlich steigern.
All diese Kennzahlen zeigen eines: in den alpinen und ländlichen Regionen ist der touristische Kuchen kleiner geworden. In diesem verschärften Wettbewerb trumpfen nun die Grossen auf mit technologischen Höchstleistungen und einem Feuerwerk an Marketing. Das zeigt sich zum Beispiel bei den Zermatter Bergbahnen im üppigen Begleitprogramm. Als Moderator war die Fernsehgrösse Rainer Maria Salzgeber zugegen. «Showacts» liefert Freddy Nock, Hochseilartist und Stuntman. Die politische Würdigung kam von der zurückgetretenen Bundesrätin Doris Leuthard. Zum Schluss der Zeremonie folgt «Einweihung und Segnung» der Bahn durch «Pfarrer Roth». Doch muss die finanzielle Power der Grossen im alpinen Tourismus nicht zwingend bedeuten, dass deswegen die Kleinen das Nachsehen haben.
Sie hatten schon immer ihre Nischen fernab aller Rekorde. Vielmehr kommt es zu einem «Schweizer Tourismus der drei Geschwindigkeiten», wie der Luzerner Tourismusprofessor Jürg Stettler sagt. «Es gibt die Städte wie Zürich, Basel, Bern oder Luzern. Sie hatten in den letzten fünfzehn Jahren die wesentlich bessere Entwicklung als der alpine Tourismus», sagt Stettler. Ihnen verhalfen Gruppenreisende aus Asien zu Wachstum, Kulturtouristen oder Geschäftsleute. «Im alpinen Tourismus finden sich einige wenige grosse Leuchttürme, denen es gut oder sehr gut läuft: Zermatt oder Engelberg etwa, natürlich auch die Jungfraubahnen.» Zumeist gründe der Erfolg auf einem starken Zuwachs an Sommergästen, oftmals aus Asien oder dem Nahen Osten.
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In der Gruppe mit der geringsten Geschwindigkeit findet sich der grosse Rest des alpinen Tourismus. Stettler sagt: «Ausser den wenigen Leuchttürmen stehen heute fast alle schon unter grossem Druck, der für einige nur noch zunehmen wird.» Zu kämpfen hätten diese zumeist kleinen oder mittelgrossen Destinationen vor allem mit dem Klimawandel, schwindender Popularität des Wintersports, steigenden Kosten für Beschneiung und höheren Ansprüchen an den Komfort der Bergbahnen.
So gesehen ist aller Gigantismus eher ein Nebenschauplatz in der alpinen Krise. Wie man beim Verband «Seilbahnen Schweiz» sagt, sind Superlative eine Form des Wettbewerbs um Aufmerksamkeit und Gäste, wie es sie schon immer gab. So wie auch Automobilhersteller neue Finessen bewerben. Und meist wird nicht nur Glamour-Marketing betrieben, sondern sonst wo Rendite herausgeschlagen. So auch in Zermatt. Man hat für den Chick der Kabinen das italienische Büro Pininferina geholt, das Designs für Ferrari- und Maserati entwarf. Man hat mit Swarovski «Crystal-Ride-Kabinen» entworfen, mit Tausenden Kristallen dekoriert.
Andererseits ist die neue Bahn der erste Schritt, um Zermatt zu einem europäischen Fixpunkt für Gruppentouristen zu machen. Eine durchgehende Verbindung soll entstehen zwischen Zermatt und Mailand. Dafür wird es eine weitere Bahn brauchen vom «Matterhorn glacier paradise» zur Station «Test Grigia», an der Grenze zu Italien. Damit könnte Zermatt vom wachsenden Strom asiatischer Gruppengäste etwas zu sich holen. Gäste besichtigen Mailand, machen den Tripp aufs Klein Matterhorn und reisen nach Paris.