Die Ermordung des Afroamerikaners George Floyd durch einen weissen Polizisten in Minneapolis war vor einem Jahr der Katalysator für eine weltweite Protestbewegung. Was ist von den ambitionierten Zielen der Demonstranten geblieben? Fünf Erkenntnisse, ein Jahr später.
Die Bilder seiner Ermordung gingen um die Welt. Am 25. Mai 2020 starb der Afroamerikaner George Floyd (46) in Minneapolis (Minnesota), nachdem der weisse Polizist Derek Chauvin ihn 9 Minuten und 29 Sekunden zu Boden gedrückt hatte. Diese kaltblütige Tat sorgte rund um den Globus für Empörung – und warf ein Schlaglicht auf die Polizeiarbeit in Amerika.
Ein Geschworenengericht verurteilte den 45 Jahre alten Chauvin im April nach einem mehrwöchigen Prozess in allen drei Anklagepunkten. Dem ehemaligen Stadtpolizisten droht nun eine Haftstrafe von bis zu 30 Jahren; der zuständige Richter will das Strafmass Ende Juni bekanntgeben. Chauvins Verteidiger allerdings will sich mit dem Urteil nicht abfinden. Er verlangt eine Wiederholung des Prozesses, weil das Verfahren in Minneapolis angeblich nicht fair gewesen sei. Die Erfolgschancen dieses rechtlichen Manövers sind gering. Hinzu kommt: Chauvin droht, nach dem Verfahren in Minneapolis, ein zweiter Prozess auf Bundesebene, weil er die Bürgerrechte Floyds verletzt und im Dienst übermässige Gewalt angewendet habe. Angeklagt wurden auch die drei anderen Polizisten, die Chauvin bei der Festnahme Floyds assistierten.
Eigentlich hätte Präsident Joe Biden am Dienstag ein neues nationales Polizeigesetz, das an George Floyd erinnert, mit seiner Unterschrift in Kraft setzen wollen. Doch: Bisher konnten sich Demokraten und Republikaner im Parlament in Washington nicht auf einen Kompromiss einigen. Die hochrangigen Verhandlungsführer, zu denen der konservative Tim Scott und die linke Karen Bass gehören, glauben aber weiterhin an den baldigen Durchbruch. Ein Knackpunkt in den Verhandlungen stellt die Frage dar, ob Polizisten im Dienst weiterhin Immunität geniessen sollen – oder ob dieses zivilrechtliche Schutzschild landesweit abgeschafft werden soll, um Schadenersatzklagen zu erleichtern.
Im Nachgang zur Ermordung von George Floyd beschlossen linke Politiker in amerikanischen Grossstädten, die lokale Polizei abzuschaffen oder ihr zumindest die Mittel stark zu kürzen – aus Ärger über das brutale Vorgehen der Ordnungshüter, unter dem insbesondere Menschen mit dunkler Hautfarbe leiden. In den meisten Fällen handelte es sich dabei aber um eine reine Absichtserklärung. So entschied eine Mehrheit des Stadtparlaments von Minneapolis im vorigen Jahr zwar, künftig solle ein neues Sicherheitsdepartement, zu dem auch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter zählen würden, für Ruhe und Ordnung sorgen. Zu Jahresbeginn aber folgte die Kurskorrektur: Das Stadtparlament stockte das Budget der Stadtpolizei um 6,4 Millionen Dollar auf, um die Rekrutierung neuer Polizeioffiziere anzukurbeln.
Für das vorzeitige Ende der Debatte über «Defund the Police» verantwortlich ist auch die Welle der Gewalt, unter der Metropolen wie New York City, Chicago oder Baltimore leiden. Zwar lässt sich trefflich über die Gründe der starken Zunahme von Schiessereien und Diebstählen spekulieren – ist es eine Spätfolge des Coronalockdowns, oder eher eine Reaktion auf die Grossdemonstrationen gegen die Polizei im vorigen Jahr? Tatsache aber ist, dass zum Beispiel in Chicago in den ersten fünf Monaten des laufenden Jahres bereits 195 Menschen ermordet wurden, oder 22 Prozent als im Zeitraum Januar bis Mai 2020. In New York City stieg die Zahl der Mordfälle von 127 (2020) auf 155 (2021). Die Politik scheint auf diese Entwicklung eher hilflos zu reagieren.
Das Fazit, ein Jahr nach der Ermordung von George Floyd, ist gespalten. Einerseits hat die Tat eine landesweite Debatte über Rassismus und Gewalt angeschoben, die überfällig war. «Black Lives Matter», die lose Volksbewegung, mobilisierte Tausende von Menschen, mitten in einer Pandemie. Andererseits waren viele Schritte, die im Nachgang zu dieser Straftat beschlossen wurden, nur symbolischer Natur – so wurden (endlich) Denkmäler von rassistischen Bürgerkriegs-Generälen abgeräumt, und Schulhäuser umbenannt. Das eigentliche Grundproblem, die Gewalt in der amerikanischen Gesellschaft und die starke Verbreitung von Schusswaffen, aber harrt weiterhin einer Lösung.