Die US-Cerealien-Herstellerin Kellogg's möchte ihre Angestellten bei privaten Herausforderungen stärker unterstützen - und auch ein bekannter Konzern in der Romandie bekennt sich zu neuen Zusatzleistungen. Aber was sagen Migros, Swisscom, UBS und Co.?
Es ist noch nicht lange her, da hat das Schweizer Stimmvolk ja zum erweiterten Vaterschaftsurlaub gesagt. Zwar gibt es einige Grosskonzerne wie Novartis oder Credit Suisse, die mehr als das neue Minimum von zwei Wochen an bezahlter Auszeit bieten. Doch insgesamt gilt die Schweiz nicht als Vorzeigeland, wenn es um neue progressive Zusatzleistungen geht.
Dass es neben dem Vaterschaftsurlaub noch andere Themen gibt, zeigt die US-Cerealien-Herstellerin Kellogg's. In Grossbritannien hat der Konzern kürzlich bekannt gegeben, dass die Angestellten bezahlten Urlaub erhalten, wenn sie sich einer Fruchtbarkeitsbehandlung unterziehen, eine Fehlgeburt erleiden oder wegen der Menopause eine Auszeit benötigen. Wie viele Tage diese Lösung beinhalte, sagt Kellogg's auf Anfrage nicht.
Man wolle dafür sorgen, dass sich alle Mitarbeitenden «psychologisch sicher» fühlten, begründet die Firma den Schritt, die zuletzt in den USA mit negativen Schlagzeilen zu kämpfen hatte, weil Angestellte wegen der Arbeitsbedingungen streikten. Zudem wolle man Themen öffentlich zur Sprache bringen, über die sonst nicht diskutiert würde, schreibt Kellogg's. Manager würden geschult, über Menopause und Fehlgeburten zu sprechen. Und wer eine Hormonbehandlung macht, erhält drei Mal einen Ferienblock sowie einen separaten Raum, um sich die Hormone ungestört verabreichen zu können.
Die Ankündigung hat auch den Chef eines Schweizer Grosskonzerns begeistert. Bracken Darrell, CEO des Computerzubehör-Herstellers Logitech in Lausanne, begrüsste die Massnahme auf der Social-Media-Plattform Linkedin und schrieb dazu: «Sie sind wirklich fortschrittlich und überfällig. Ich bin nicht sicher, wo wir diesbezüglich stehen, aber ich werde es herausfinden.»
Auf Anfrage tönt es beim IT-Konzern etwas zurückhaltender. Bei den Sozialleistungen sei es wichtig, die richtige Balance zwischen Regeln und Flexibilität zu finden, sagt Kirsty Russell, Chefin des Bereichs «People & Culture» (Deutsch: Menschen und Kultur) bei Logitech. Bei zu strikten Richtlinien-Definitionen bestehe die Gefahr, dass gewisse Personen und Leistungen ausgeschlossen würden. So sei der Verlust einer Schwangerschaft explizit in den globalen Trauerrichtlinien enthalten bei Logitech. Freitage würden aber auch für nicht festgelegte Fälle bewilligt, sei es für die Menopause, Fruchtbarkeitsbehandlungen oder die Altenpflege.
CH Media hat rund zwanzig grosse Schweizer Arbeitgebende wie UBS, Swisscom, Migros, SBB oder Richemont gefragt, was sie von Kellogg's Massnahmen halten. Viele antworteten gar nicht, wie die Migros, Zurich, Emmi, UBS oder Nestlé. Andere wie die SBB, ABB, Coop, Roche, Victorinox oder Swiss fassen sich kurz und verweisen auf die Regelungen in ihrem Gesamtarbeitsvertrag oder darauf, dass ein Arztzeugnis ohne Grundangabe genüge, wenn jemand arbeitsunfähig sei. Spezielle Änderungen seien nicht vorgesehen. Ein Swiss-Sprecher begrüsst zwar Kellogg's Schritt, sagt aber: «Es gibt unzählige Themen, mit denen sich ein Unternehmen befassen könnte und wir müssen hier Prioritäten setzen.»
Bei der Swisscom sagt Sprecherin Sabrina Hubacher, man unterstütze das Personal in schwierigen Situationen und setze auf eine Vertrauenskultur. «Mitarbeitende bleiben der Arbeit fern, wenn sie krank oder nicht arbeitsfähig sind. Dazu können Wechseljahrbeschwerden genauso gehören wie Situationen, die persönlich schwierig sind, wie zum Beispiel eine Fehlgeburt.» Angaben zum Grund der Krankheit oder Abwesenheit seien nicht nötig. Erst wenn die Arbeitsverhinderung mehr als sieben Tage daure, werde ein Arztzeugnis fällig.
Sunrise-UPC-Sprecherin Therese Wenger sagt, die krankheitsbedingten Abwesenheiten seien im Schweizer Gesundheitssystem zwar klar geregelt. «Aber ja, die Sensibilisierung in der Gesellschaft ist absolut wichtig.» Bei der Grossbank Credit Suisse heisst es, die physische und psychische Gesundheit des Personals habe oberste Priorität und man halte sich an die geltenden, rechtlichen Vorschriften.
Anna Schäfers, Sprecherin des Pharma-Riesen Novartis, betont, dass die Firma vermehrt auf die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf setze. So werde in der Schweiz die Elternauszeit über 18 Wochen hinweg für beide Elternteile bezahlt. Die Themen Menopause und Fruchtbarkeitsbehandlung seien zwar nicht explizit geregelt. Fehle aber jemand deswegen, würde dies grosszügig akzeptiert, auch ohne Arztzeugnis. Bei Fehlgeburten offeriere man zudem ebenfalls 18 Wochen bezahlte Elternauszeit ab der 23. Schwangerschaftswoche. Kommt es vorher zu einer Fehlgeburt, sei dies zwar nicht Teil der Richtlinien, doch auch hier sei man grosszügig. Und auch Menopausen-Absenzen würden nicht hinterfragt oder geprüft.
Die Arbeits- und Organisationspsychologin Rita Buchli, die Firmen beim betrieblichen Gesundheitsmanagement berät, begrüsst das Bekenntnis von Kellogg's. Dieser trage zur Enttabuisierung der drei Themen bei. «Für die Betroffenen ist es eine grosse Entlastung, wenn diese Lebensereignisse nicht im Versteckten passieren und vor dem Eingang zum Betrieb abgestreift werden müssen.» Allerdings könnten und sollten die Massnahmen laut Buchli umfassender gedacht werden und auf möglichst alle individuellen Lebenssituationen ausgeweitet werden wie Adoption, unerfüllter Kinderwunsch, Trennung vom Partner oder die Pflege von Angehörigen.
In Bezug auf die Fehlgeburt und die Hormontherapie sei offene Kommunikation zwar entlastend, sagt Buchli. Das brauche aber oftmals Überwindung und Vertrauen in die Führungsperson. Denn als Mitarbeiterin lege man damit einen Kinderwunsch offen. Da stellten sich rasch Fragen wie: Wie sicher ist dann mein Arbeitsplatz noch? Werde ich noch für die Beförderung vorgeschlagen?
Wichtig ist laut Buchli auch die Sensibilisierung und Schulung der Vorgesetzten, da diese Themen viel Fingerspitzengefühl und medizinisches Wissen benötigten. Gerade die Fruchtbarkeitsbehandlung könne ein jahrelanger Prozess sein.
Firmen empfiehlt Buchli generell die arbeitsfreie Zeit möglichst offen zu formulieren, «um den mannigfaltigen, individuellen Lebenssituationen und Lebensevents gerecht zu werden, welche die Mitarbeitenden zu meistern haben.» Eine Möglichkeit wäre demnach, dass man Freitage für familiäre oder persönliche Ereignisse hinzukaufen kann oder gratis erhält. «So fühlen sich alle Mitarbeitenden abgeholt, auch diejenigen, die keine Kinder haben oder möchten, und natürlich auch Männer, denn auch sie sollen eine Auszeit benötigen dürfen, um zu trauern, wenn zum Beispiel die Partnerin eine Fehlgeburt erleidet.»
Doch was ist mit der Haltung der Mehrheit der Firmen, wonach all das schon heute kein Problem ist, wenn man ein Arztzeugnis vorweisen kann und eine Grundangabe nicht nötig ist? Das sei durchaus eine Möglichkeit, sagt Buchli. «Aber es ist gleichzeitig auch eine Unmündigkeitsbehandlung oder ein Misstrauen gegenüber meiner Wahrnehmungsfähigkeit, wenn ich mir vom Arzt bescheinigen lassen muss, dass ich nicht fähig bin zu arbeiten, weil es mir emotional schlecht geht, auch wenn ich keine Depression habe.» Unternehmen täten laut Buchli gut daran, Lebensthemen nicht an die Ärzte zu delegieren, sondern die Mitarbeitenden als Menschen mit Emotionen und individuellen Bedürfnissen wahrzunehmen, die auch noch ein Leben neben der Arbeit zu meistern haben.