Frankreich
Aufruhr im Stammland der Foie gras: Warum der Stopfleber-Markt derzeit verrücktspielt

Den Herstellern von Foie gras machen billige EU-Importe zu schaffen. Das ist aber nicht das einzige Problem. Die Vogelgrippe, die vor zwei Jahren nach Frankreich kam, bescherte den hiesigien Produzenten einen grossen Ertragseinbruch.

Stefan Brändle aus Paris
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Kleinbauern benötigen für das Stopfen einer Gans bis zu einer Minute, grosse Industriebetriebe erledigen dies in drei Sekunden.

Kleinbauern benötigen für das Stopfen einer Gans bis zu einer Minute, grosse Industriebetriebe erledigen dies in drei Sekunden.

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Sie kommen am helllichten Tag. In Saint-Aunès im Süden Frankreichs stürmte ein Kommando von sieben Entenhaltern zur besten Einkaufszeit den dortigen Supermarkt. Sie klebten Etiketten mit Totenköpfen auf diverse Produkte wie Foie gras, Geflügelterrine oder eingelegte Entenschenkel. «Das sind alles Produkte aus Osteuropa», meinte Didier Lapoule vom Organisationskomitee «canards en colère», zu Deutsch wütende Enten. «Schauen Sie hier dass Kürzel ‹BG›, das bedeutet Bulgarien, aber es steht ‹EU-Herkunft›.»

Der Stopfleber-Markt spielt derzeit verrückt. Schuld ist die Vogelgrippe, die vor zwei Jahren wohl mit Zugvögeln nach Frankreich kam. Der Virus H5N8 ist für den Menschen ungefährlich. Hoch ansteckend ist er hingegen für das Federvieh. Für die 100 000 Entenzüchter im Südwestens Frankreichs zwischen Atlantik und Mittelmeer, das heisst entlang der Pyrenäen von Biarritz über Toulouse bis nach Montpellier, war es eine Katastrophe. Sie mussten auf einen Schlag 150 000 Enten und Gänse notschlachten.

Frankreich hat seit anderthalb Jahren drastische Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um die Ausbreitung zu verhindern. Ganze Agrarbetriebe kamen unter Quarantäne. Die Landwirte musste Hygieneschleusen einrichten und zehnmal am Tag die Gummistiefel wechseln. Watschelte auch nur eine Gans schief herum, landete der ganze Bestand im Schlachthof. Der Branchenumsatz von rund zwei Milliarden Euro, die Hälfte davon wird an den Festtagen erzielt, brach zeitweise um die Hälfte ein.

Ertrag bricht um 40 Prozent ein

Dank dem rigorosen Vorgehen wurde die Geflügelpest im Südwesten Frankreichs bis im Mai dieses Jahres offenbar völlig eingedämmt. Im Sommer hat die Foie-Gras-Produktion wieder eingesetzt. Der Ertrag von 2017 wird aber 40 Prozent tiefer als vor der Grippezeit liegen.

Entsprechend ziehen die Preise an: Der Branchenverband Cifog meint zwar, pro Familie werde die zusätzliche Auslage nur einen oder zwei Euro betragen. Gourmetexperten schätzen aber, dass feinste Stopfleber in französischen und anderen Auslagen bis zu 20 Prozent teurer sein dürfte.

Wütend sind die kleinen Entenzüchter, die sich für die Branchenkrise nicht verantwortlich fühlen. Ihre oft entlegenen Landgüter verbreiteten die Geflügelpest kaum, viel weniger jedenfalls als die industriellen Grossbetriebe. Letztere transportieren ganze Lastwagenlandungen von Enten zwischen Brutstätten, den Stopforten und Schlachthöfen.

Im letzten Jahr wichen viele dieser Massenproduzenten nach Polen, Bulgarien oder Ungarn aus, wo die Vogelgrippe weniger wütete – und wo die Sicherheitsbestimmungen weniger genau kontrolliert werden. «Man kann sich fragen, wie dort Foie gras hergestellt wird», erklärt François Ferdier von der «Coordination rurale», die sich an den Kommandoaktionen im Supermarkt beteiligt. «Auf jeden Fall bedrohen diese industriellen Billigproduzenten die Kleinbetriebe in Frankreich. Nach dem Schock der Vogelgrippe werden die meisten Mühe haben, langfristig zu überleben.»

Die Tierschützer weinen ihnen keine Träne nach. Im Südwesten Frankreichs freuen sie sich zwar nicht öffentlich über das Malheur der ansässigen Foie-Gras-Produzenten. Auf Anfrage halten sie aber mit ihren Argumenten nicht hinter dem Berg zurück: «Die Kleinbauern nehmen letztlich die gleiche Grausamkeit wie die Grossindustriebetriebe in Kauf», meint Barbara Boyer vom Kollektiv Stop Foie Gras kategorisch.

Dafür oder dagegen?

Doch sind Kleinbauern nicht empfänglicher für die Argumente der Tierschützer, weil sie immerhin in direktem Kontakt mit dem Geflügel stehen? «Sie gehen handwerklicher an die Arbeit und brauchen für das Stopfen eines Halses bis zu einer Minute, während Fabriken dies in drei Sekunden erledigt haben», räumt Boyer ein. «Tierquälerei bleibt es allemal.»

Stop Foie Gras verweist auf eine Umfrage, wonach 51 Prozent der Franzosen gegen das Gänsestopfen seien. Erstellt wurde sie unter dem Jahr. Der Branchenverband Cifog führt dagegen eine neue Erhebung ins Feld, laut der über 80 Prozent der Bevölkerung Foie gras als unerlässlich für den Festschmaus bezeichnen. Zum Jahresende scheint die Lust auf Foie gras grösser als die Sorge um die Schnattertiere.